# taz.de -- Streit um den Vogel des Jahres: Der Opportunist unter den Vögeln | |
> Die Wahl des Kormorans zum Vogel des Jahres 2010 bringt Naturschützer und | |
> Fischer gegeneinander auf: Er sei eine schützenswerte Kreatur sagen die | |
> einen, als gefrässigen Schädling bezeichnen ihn die anderen. | |
Bild: Stattlich aber nicht unumstritten: Der Kormoran ist zwar Vogel des Jahres… | |
"Schädling" oder "schützenswerte Kreatur" - über das Wesen des Kormorans | |
liegen Tierfreunde und Fischereiwirtschaft seit Jahren im Clinch. Am | |
Freitag zündeten Naturschutzbund (Nabu) und der Landesverband für | |
Vogelschutz Bayern (LBV) eine neue Eskalationsstufe. Sie kürten den | |
Phalacrocorax sinensis zum "Vogel des Jahres 2010". Der Deutsche | |
Fischerei-Verband (DFV) japste wie ein trockengelegter Karpfen und geißelte | |
die Wahl als "außerhalb jeder Vernunft", hatte aber von diesen | |
"Fundamentalisten" und "Negierern von Wahrheit" nichts anderes erwartet. | |
Der Beweis für die Schurkerei des Kormorans, klagt Peter Mohnert, | |
DFV-Vizepräsident, schwimme "stark dezimiert in Flüssen, Teichen und Seen". | |
Dort wüte der Kormoran wie in "Brehms Thierleben" beschrieben: "Die Bäume | |
weißt er mit Unrate", betäubt die Ohren "mit wildem Geschrei", seine | |
"Gefräßigkeit übersteigt unsere Begriffe". Er treibt "die Fischer und | |
Fischwirte an den Rand des Ruins", sagt Mohnert. | |
Das Lamento reicht zurück bis ins 19. Jahrhundert. Damals ließ Kaiser | |
Wilhelm I. seine Füsiliere ausrücken, um die gefürchteten Vielfraße zu | |
dezimieren. Mit durchschlagendem Erfolg: In Brandenburg wurde die letzte | |
Kormorankolonie bereits 1883 zerstört, in Schleswig-Holstein 1905 und in | |
Niedersachsen 1919. Kurz darauf war der Vogel in Mitteleuropa praktisch | |
ausgerottet. Er überlebte auf der roten Liste bedrohter Arten. Seit 1979 | |
ist er EU-weit geschützt. | |
Eigentlich. Denn die Fischereilobby hat es geschafft, kontinentalweit so | |
genannte "Kormoranverodnungen" durchzudrücken. So erlaubt das deutsches | |
Länderrecht (außer im Saarland), den Winterbeständen mit Lasergeräten oder | |
Flinten aufs Gefieder zu rücken. Die Begründung: extreme | |
Populationszunahme. Aber da fangen schon die Kompliziertheiten an. | |
Fischereifunktionär Mohnert schätzt die Zahl der in Deutschland lebenden | |
Kormorane auf 320.000, der Nabu spricht von nur 24.000 Brutpaaren. | |
Umstritten sind auch die Auswirkungen der Bejagung. Während Niedersachsens | |
Umweltminister Hans-Heinrich Sander herausgefunden haben will, dass sie | |
"auf die Brut- und Rastbestände des Kormorans keinen messbaren Einfluss" | |
hat, warnen Nabu und LBV vor Aktionen wie dem "Kormoranmassaker von | |
Anklam", wo 2005 rund 7.000 Tiere abgeschossen wurden. Im Rahmen der | |
"genehmigten Bestandsregulierung" wie das auf Amtsdeutsch heißt. | |
Andreas von Lindeiner, LBV-Artenschutzreferent, hält "die Ballerei außerdem | |
für völlig sinnlos". Sie störe die Brutpflege anderer Arten und "dem | |
Fischbestand hilft es auch nicht". Eine diskutable These. Christian Budde, | |
Sanders Sprecher, beziffert den Schaden, den Kormorane zwischen Elbe und | |
Ems pro Jahr und Hektar fischereiwirtschaftlich genutzter Teichfläche | |
anrichten auf 500 Euro. Bei 34.000 Hektar Gesamtfläche komme "da einiges | |
zusammen". | |
Doch Naturschützer bezweifeln, dass die "Meisterschwimmer" ein Wässerchen | |
nachhaltig trüben können. Sie fressen vor allem "häufige und wirtschaftlich | |
unbedeutende Weißfische", heißt es in der Nabu-Laudatio. "Edelfische" wie | |
Forellen, Felchen oder Äschen ständen eher selten auf dem Speiseplan. Das | |
sei "wissenschaftlich" belegt. Der DFV präsentiert Gutachten, die genau das | |
Gegenteil beweisen. An der Technischen Universität München habe man | |
herausgefunden, dass die Verluste unter Bayerns Äschen zu "96 Prozent" auf | |
das Konto von Kormoranen gehen. | |
Festzustehen scheint nur eines: Kormorane sind wie wir alle Opportunisten. | |
Sie bedienen sich da, wo es am bequemsten ist. Der Homo sapiens aus der | |
Tiefkühltruhe, der Kormoran im Zuchtteich. Daraus könne man "diesen | |
hochinteressanten, schönen und überwiegend nützlichen Vögeln" keinen Strick | |
drehen, befand Tierschützer und Fernsehmoderator Bernhard Grzimek. Im | |
Gegenteil. Schließlich entwickelten Kormorane bei üppigem Nahrungsangebot | |
ausgesprochen menschliche Züge. Sie hätten viel "Freizeit", in der sie gern | |
"ruhen, Körperpflege treiben, balzen und spielen". | |
11 Oct 2009 | |
## AUTOREN | |
Michael Quasthoff | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
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