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# taz.de -- Hipster rund um die Welt: Der Gipfel der Coolness
> Popkultureller Anti-Antiimperialismus: Was es mit dem Phänomen des
> globalen Hipster zwischen Brooklyn, Lima und Mexiko auf sich hat.
Bild: Cool, stylish, unangepasst und trotzdem authentisch: Hipster überall auf…
Im Frühjahr war ich einen Monat auf Tour. Eine Woche habe ich in
Mexiko-Stadt verbracht und an dem Soundtrack für den neuen Film von Jem
Cohen mitgearbeitet. Jem hatte Guy Picciotto von Fugazi, T. Griffin, Andy
Moor von The Ex und mich gebeten, eine Live-Begleitung für den Film zu
schreiben. Im Prinzip hat mich also Jem nach Mexiko eingeladen. Doch waren
es zunächst die Hipster, die Jem eingeladen hatten.
Der verantwortliche Ober-Hipster war ein freundlicher Typ. Er trug gern
enge Jeans und Flanellhemden, kannte jedes gute Restaurant und verfügte
über einen Humor, der sich irgendwo zwischen trocken und staubtrocken
bewegte. Doch bei der ersten Begegnung gab es vor allem eine Sache, die
jedem im Gedächtnis haften blieb - sein Schnurrbart. Ein dicker,
mexikanischer Schnurrbart, den er wie eine Fliege trug, eine
Gesichtsbehaarung, die Burt Reynolds neidisch gemacht hätte.
Nach ein paar Tagen bemerkte ich, dass eine Handvoll mexikanischer Hipster
ähnlich beeindruckende, anachronistische Schnurrbärte trug. Diese
Haarbalken schienen direkt aus den 70er-Jahren zu stammen, waren
retro-cool. In den Vereinigten Staaten hätte man sie wohl sofort als "gay"
interpretiert. Doch in Mexiko-Stadt drückten sie eine ironische
Hipster-Haltung gegenüber der Geschichte aus.
Ich sprach mit ihm über Mexiko, und er erklärte: "Mein Viertel ist zu …
hip. Deshalb ziehe ich nach La Roma." Das Hipstertum - und sein
unmittelbares Nebenprodukt, die Abneigung gegen Hipster - stellen
offensichtlich heute ein globales Phänomen dar.
Der unerbittlichste Anti-Hipster, dem ich je begegnet bin, kam aus Lima,
Peru. Nennen wir ihn einfach "Carlos". Im letzten Dezember war ich für ein
paar Gigs in Lima, und er erzählte mir von den Hipstern dort. Peruanische
Hipster sind ein neues Phänomen, kaum zwei Jahre alt. Carlos sah vor allem
die Musik-Website Pitchfork als Grund für die Geburt des Limeño-Hipsters.
Das peruanische Hipstertum zeichnete sich dadurch aus, dass
Mittelschichtkids, die sich ihr Leben lang über Cumbia lustig gemacht
haben, plötzlich Partys feierten, auf denen zu dieser Musik getanzt wurde.
Das alles nur wegen einer CD-Compilation mit dem Titel "Roots of Chicha:
Psychedelic Cumbias from Peru". "Roots of Chicha" wurde auf Barbès, einem
von Franzosen geführten Label aus Brooklyn, veröffentlicht. Da die alte
Musik jetzt auf einem coolen New Yorker Imprint erschien, konnten diese
Kids sie in einem neuen Licht sehen; das war nicht einfach nur
Rekontextualisierung, vielmehr war es die Erkenntnis, dass dieser
altbackene und zutiefst unhippe Aspekt ihres eigenen peruanischen
Hintergrundes in einen globalen Austausch getreten war - zu der Gitarren,
Drogen, 70er-Jahre-Mode, tragische Flugzeugabstürze und andere schicke
Dinge gehören.
Heute ist der Marketingbegriff, den Barbès erfunden hat - "cumbias
psicodelicos" -, ein fester Eintrag im Lexikon des Limeño-Hipsters. Ich
wurde gefragt, ob ich nicht einen Stapel "Roots of Chicha"-CDs mit nach
Lima bringen könnte, da die Preise für eine Import-CD dort sehr hoch sind.
Die Sache ist nur, dass man immer noch jede Menge original Cumbias, die auf
der Barbès-Compilation enthalten sind - und tonnenweise ähnliche Platten -
in den Secondhandläden der Stadt kaufen kann. Zwar sind die Preise dafür
gestiegen, dennoch sind sie weit erschwinglicher als die Compilation.
Nach kleinlicher Interpretation haben die Hipster aus Peru zu viel Geld und
neokolonialisierte Köpfe. Diese oberflächlichen reichen Kids wüssten ihre
eigene Kultur erst dann zu schätzen, wenn sie von anderen, cooleren Ländern
neu verpackt wird. Carlos war dieser Meinung, ja, er ging sogar noch einen
Schritt weiter, denn er war ganz vernarrt in die Tochter eines Drogenbarons
aus der Dschungelstadt Iquitos - für ihn gab es nichts "Echteres" als sie.
Wofür die Hipster auch immer standen, aus seiner Sicht repräsentierte sie
das genaue Gegenteil. Dieses Mädchen, das er im Sommer kennengelernt hatte,
verkörperte für ihn Authentizität und Erfahrung - auch wenn er beim Warten,
dass sie ins Internet ging, damit sie via AIM chatten konnten, einschlief …
Da sehnt man sich nach der guten alten ironischen Hipster-Haltung zurück.
Wie dem auch sei, ich sehe die Limeño-Hipster in einem anderen Licht.
Sobald sie merken, dass ein Teil der peruanischen Musik in eine globale
Phase tritt, verwandelt sich dieser für sie von einem kleingeistigen,
altmodischen, örtlich begrenzten Phänomen in etwas Offenes, Zeitgemäßes,
Kosmopolitisches. Die Tür hat sich einen Spalt weit geöffnet. Und nun kann
man versuchen, sie noch weiter aufzustoßen. Wegen einer coolen Compilation
aus Brooklyn hat sich in den reicheren Vierteln Limas ein diskursiver Raum
klanglicher und sozialer Möglichkeiten eröffnet. Das kann man einfach nicht
schlecht finden.
Der Aufstieg des Hipsters ist mit der weiten Verbreitung des Internets
verbunden und mit der immer kürzer werdenden Zeit, in der sich eine Mode
vom Ausdruck eines individuellen Stils in etwas verwandelt, das
fotografiert, im Internet gebloggt, weiterverbreitet, in einen Trend
verwandelt, vermarktet und verkauft wird. Insofern ist der Limeño-Hipster
noch relativ neu, da das Internet in Lima noch immer langsam und teuer ist.
Die Renaissance des Hipsters bezeugt heute ganz einfach, dass jeder Mensch
beinahe von allen Seiten einsehbar geworden ist. Man sieht das vor allem
auf den Websites sozialer Netzwerke wie Facebook und auf Seiten wie
LastNightsParty.com. Aber man kann es auch auf der Ebene durchorganisierter
Unternehmen beobachten.
Ein chilenischer Freund betreibt eine beliebte Website, auf der Modefotos
von Streetwear gezeigt werden. Sie wird von einer weltweit bekannten
Turnschuhmarke gesponsert. Das ist so üblich. Auch andere Marken zahlen ihr
wahrscheinlich Geld dafür, dass dort Fotos von der "Straße" platziert
werden, auf denen ihre neuesten Modelle getragen werden. Doch in den
meisten Gesprächen unter Hipstern scheint eine Sehnsucht nach der Zeit zum
Ausdruck zu kommen, als es noch wesentliche Unterschiede zwischen
Underground und Mainstream gab.
Wie dem auch sei: Je nachdem, wo man sich befindet, sehen auch die Hipster
anders aus. In Nordeuropa oder Dubai entspricht das Bild des Hipsters eher
demjenigen, das auch ein New Yorker sofort wiedererkennt. Die Kids aus
Dubai sind ständig in London, L.A., New York oder Tokio, und die
Skandinavier haben genetisch bedingt ein ausgeprägtes Gespür für Design.
Als ich in Graz, Österreich, als DJ arbeitete, habe ich etwas Seltsames
erlebt. Der Backstage-Bereich sah aus wie die Bedford Avenue - fast alle
trugen enge Hosen, auffällige Turnschuhe, bunte T-Shirts und Kapuzenpullis,
Käppis - das volle Programm. Es waren allerdings nicht nur Kids aus
Österreich da, sondern auch ein paar aus Kroatien und der Slowakei. Unter
den Nichthipstern in Graz war ungefähr ein Dutzend weißer Jungs mit
Dreadlocks (ohne weitere Rastafari-Merkmale) und andere erschütternd
unhippe europäische Subkulturanhänger.
Übt man Kritik am Hipster, spricht man oft über dessen Vorreiterrolle bei
der Gentrifizierung, den Wandel von Wohnvierteln - wobei man sich selbst
von diesem Prozess immer ausnimmt. In der Rolle des Sündenbocks zerstört
der Hipster ganze Viertel, indem er die Mieten mithilfe der elterlichen
Zuwendungen in die Höhe treibt, während die Nichthipster einfach nur … dort
wohnen. Interesselos und sympathisch. Was für eine absolut lächerliche
Lüge.
Die vehemente Anti-Hipster-Haltung ist ein eher uncooler Ansatz, vor allem
auch in der Gentrifizierungsdebatte. Künstler sind nicht die Stoßtrupps der
Gentrifizierung. Bevor sich die Künstler überhaupt überlegen, in ein
bestimmtes Viertel zu ziehen, sind es in vielen Fällen die Kinder seiner
ursprünglichen Bewohner, die sich abmühen, dort Häuser zu kaufen und neue
Märkte, neue Einkommensgruppen und neue Verkaufsstandorte zu erschließen.
Wenn der Hipster dann tatsächlich im Viertel auftaucht, ist der
Gentrifizierungsprozess längst in vollem Gang. Und die Präsenz von coolen,
unabhängigen Coffeeshops, deren Personal aus weißen Bedienungen mit
Tätowierungen, die man leicht bei einem Bewerbungsgespräch verstecken kann,
besteht, bedeutet nur, dass ein Viertel bald den Gipfel seiner Coolness
erreicht haben wird.
Ich stelle mir vor, wie Leute, die nach Bushwick ziehen, ihren
Kleiderschrank öffnen und denken: "Ich bin kein Hipster, meine Eltern
zahlen mir nicht die Miete, ohne die leiseste Spur von Ironie höre ich mir
gern klassische Countrymusik an." Danach sind sie immer noch die gleichen
arroganten und überprivilegierten Menschen mit der selbstgefälligen
Zufriedenheit darüber, dass es nur die Hipster sind, die das Viertel kaputt
machen, nicht etwa sie selbst oder ihre Freunde. Meiner Meinung nach reicht
es nicht, über den Hipster nur in Begriffen der "Schichtzugehörigkeit" zu
sprechen - der wichtigere, übergeordnete Zusammenhang wäre die soziale
Mobilität - oder deren Fehlen. Allein die Tatsache, dass man fürn Appel
undn Ei bei einer Zeitung als Praktikant arbeitet und versucht, möglichst
billig zu leben, macht einen noch lange nicht zu einem Teil der
Arbeiterklasse. Doch die Figur des Hipsters scheint die Erkenntnis zu
erschweren, dass wir alle mit daran beteiligt sind, öffentliche Räume zu
schaffen oder zu zerstören - und dafür nur einem Sündenbock in engen Jeans
die Schuld daran geben.
Übersetzung: Harriet Fricke
17 Oct 2009
## AUTOREN
Jace Clayton
## TAGS
Woody Allen
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