# taz.de -- Koalitions-Karussel im vorbildhaften NRW: Bahn frei für Schwarz-Gr… | |
> Selbst der linke Flügel der Grünen beginnt, sich mit der Möglichkeit von | |
> Schwarz-Grün zu arrangieren. Die Wahlen in NRW könnten den Weg festlegen. | |
Bild: Mit ihm würden es die Grünen vermutlich liebend gern machen: Armin Lasc… | |
MÜNSTER/GELSENKIRCHEN taz | In Münster hat das Semester begonnen, und die | |
ganze Innenstadt ist voller radelnder Studierender, deren Fahrverhalten | |
selbst hartgesottene Berlinerinnen zur Seite hupfen lässt. | |
Erstsemestler laufen in Gruppen umher, tragen T-Shirts, auf denen sie sich | |
als "Erstis" bezeichnen lassen, und skandieren Sätze, die man vielleicht | |
lieber gar nicht verstehen will - "Ohne Schnitten seh'n wir aus wie zwölf". | |
Maria Klein-Schmeink weicht mit geschmeidigem Hüftschwung einem weiteren | |
Fahrradfahrer aus und steuert das "Cuba Nova" an, einer ganzseitig bemalten | |
Restaurantkneipe in einem Haus voller Kultur- und Politik- und sonstiger | |
Initiativen. | |
"Dass es dieses Haus geben kann, dafür habe ich mit gekämpft", sagt sie. | |
"Ich habe mit dem Herzen für rotgrüne Projekte gefochten. Die rotgrüne Zeit | |
hier war für mich prägend." Als Münster 1994 bis 1999 rotgrün regiert | |
wurde, haben Klein-Schmeink und ihre Grünen die Stadt zur | |
"Fahrradhauptstadt Deutschlands" gemacht. "Das konnten die Schwarzen gar | |
nicht mehr ändern, als sie dann drankamen." Ihr Grünen-Arbeitskreis | |
Sozialpolitik habe im Schummerlicht des Cuba Nova lange Abende getagt. | |
Klein-Schmeink hat 15 Jahre lang der grünen Ratsfraktion vorgesessen. In | |
diesen Tagen verlässt sie das schöne, satte, akademische, katholische | |
Münster gen Berlin - sie hat ein Bundestagsmandat erobert und wird als eine | |
der 26 "Neuen" die Bundestagsfraktion der Grünen anreichern. Klein-Schmeink | |
ist eine derjenigen, die zur Vermutung Anlass geben, dass die neue Fraktion | |
im Bundestag linker sein wird als die alte - und damit die | |
Linksverschiebung personell abbildet, die die Partei seit vier Jahren, | |
Parteitag für Parteitag, vollführt. | |
Klein-Schmeink hat an diesem Linksruck mitgearbeitet. Jetzt möchte sie | |
Gesundheits- oder Rentenpolitik machen. Als Mitarbeiterin der | |
Grünen-Landtagsfraktion in Düsseldorf las sie ab 2002 all die Briefe der | |
Menschen, die dank der Gesundheitsreform die Medikamente für ihre Kinder | |
nicht mehr bekamen. Sie sagt: "Gerhard Schröder war ein Kanzler, den ich | |
nicht ertragen konnte." | |
Ob Angela Merkel noch eine Kanzlerin wird, die solche linken Grünen | |
ertragen können? Wenn am Wochenende die Grünen zu ihrem Parteitag in | |
Rostock zusammenkommen, wollen sie sich Anschub geben für eine weitere | |
Legislaturperiode in der Opposition - diesmal eben gegen Schwarz-Gelb. | |
Dieser Gegner ist einerseits leichter anzugreifen als die Große Koalition. | |
Andererseits haben jetzt die Saar-Grünen beschlossen, in eine | |
schwarz-gelb-grüne Jamaika-Koalition zu marschieren. Dadurch so etwas wird | |
der zünftige Angriff auf Schwarz-Gelb nicht unbedingt überzeugender. | |
Fraktionschefin Renate Künast tut einfach, als warte sie mitsamt dem | |
Realoflügel der Grünen nicht schon seit vier Jahren darauf, dass es | |
irgendwo endlich eine "Jamaika"-Gelegenheit gibt. Sie kündigt für Rostock | |
Kampfansagen gegen Schwarz-Gelb an. "Für den Bund haben wir Jamaika aus | |
politischen Gründen ausgeschlossen. Das wird so bleiben", lässt sie sich | |
zitieren. | |
Tatsächlich ist das Saarland klein und fern, und es liegt auf der Hand, | |
dass die politische Debatte sich ab sofort wieder polarisieren wird: Dort | |
Schwarz-Gelb. Hier Rot, Rot und Grün. Und doch könnte es sein, dass am | |
Ende, 2013, kein rot-rot-grünes Bündnis gegen Merkel und Westerwelle | |
antritt. Sondern dass stattdessen die Grünen die FDP in der Rolle des | |
kleinen Koalitionspartners ablösen wollen - und werden. Die "knallgrüne | |
Opposition" (Parteichefin Claudia Roth) könnte plötzlich in eine kleingrüne | |
Fortsetzung der Regierung Merkel umschlagen. | |
Oder auch gar nicht so plötzlich. Im Mai 2010 wird in Nordrhein-Westfalen | |
gewählt. Jede Koalition im Bund wird wahrscheinlicher, wenn das größte | |
Bundesland vorweg geht. Das gilt auch für Schwarz-Grün. Sollten die | |
FDP-Wähler bis zum Mai von Guido Westerwelle ihre Steuersenkungen nicht | |
bekommen, könnten sie sich in NRW beleidigt abwenden - und | |
Ministerpräsident Jürgen Rüttgers bei den Grünen vorstellig werden. Diese | |
hoffen, im Mai ihr sparsames 2005er Ergebnis von 6,2 Prozent auf 10 Prozent | |
verbessern zu können. Und alle NRW-Grünen sagen, dass Rot-Rot-Grün | |
angesichts der konfusen Haltung der Linkspartei an Rhein und Ruhr wenig | |
wahrscheinlich aussehe. | |
Maria Klein-Schmeink hat gern mit der Münsteraner SPD zusammen gearbeitet. | |
Jüngst bei den Kommunalwahlen haben die Grünen keine eigene | |
Bürgermeisterkandidatin aufgestellt, sondern den SPD-Kandidaten | |
unterstützt. Doch im Job im Düsseldorfer Landtag hat sie eine "behäbige, | |
unengagierte, von kurzfristigen Motiven geleitete SPD erlebt", sagt sie. | |
"Das hat sich erst in der Opposition wieder verändern." Die mächtige | |
Ruhrgebiets-SPD sei anders als die in Münster. "Ich kann über Grüne im | |
Ruhrgebiet nicht den Stab brechen, die dort Schwarz-Grün machen." | |
Schwarz-Grün in NRW - sie zögert. "Zuerst einmal gibt es mit de SPD und | |
auch mit der Linken mehr Gemeinsamkeiten. Wenn man aber Minister Karl-Josef | |
Laumann in der Sozialpolitik sieht: Ja". Schul- und Energiepolitik seien | |
freilich etwas anderes. Entscheidend sei, dass die Grünen ihrem Programm | |
treu blieben. Jamaika, nein: "Da könnte man den ganzen Kreisverband Münster | |
abschreiben." Schwarz-Grün im Bund - wenn Rot-Rot-Grün aus roten und roten | |
Gründen nicht ginge? Am Ende, meint sie, wäre Merkel wohl kaum schlimmer | |
als Schröder. Auf jeden Fall aber könne man auch aus der Opposition heraus | |
viel bewirken, schiebt sie hinterher. | |
Weniger als eine Stunde im Regionalzug entfernt steht Robert Zion im | |
Gelsenkirchener Nieselregen und erklärt erst einmal, dass er gar nicht aus | |
Gelsenkirchen kommt, sondern aus Kassel. Er sei nur hergezogen, weil seine | |
Freundin eine Stelle als Lehrerin bekommen habe. Zion trägt eine | |
retroschicke Lederjacke und ist freischaffender Publizist, Mitglied des | |
"Cognitariats" nennt er sich, des gebildeten Prekariats. Der Fußgängerzone | |
in Gelsenkirchen ist anzusehen, dass in dieser bettelarmen Stadt das | |
Prekariat in seiner bildungsfernen Originalversion klar die Mehrheit hält. | |
Kein Ort für Grüne, eigentlich. | |
Vielleicht aber für Grüne wie Zion: Der Vorsitzende des | |
Grünen-Kreisverbands Gelsenkirchen schreibt Pamphlete, politische Analysen, | |
und bisweilen auch Parteitagsanträge, die der Parteiführung die Wut den | |
Hals hoch treiben. Der Parteitagsbeschluss zu Afghanistan 2007, in dem die | |
komplette Parteiführung als unentschlossen und uneins vorgeführt wurde, | |
ging auf Zions Konto. | |
Zion ist niemand, der sich durch den Kampf für irgendein "Cuba Nova" oder | |
den Verlauf von Fahrradwegen von der politischen Theorie ablenken lässt. | |
Während eine Klein-Schmeink stolz vom jüngsten Bürgerentscheid in Münster | |
gegen die Musikhalle berichtet, mündet ein Gespräch mit Zion alle paar | |
Sätze in Fragen des Postfordismus, des Keynsianismus, der Religion im | |
Spätkapitalismus. | |
Keinesfalls sei die rotgrüne Zeit ausreichend aufgearbeitet, selbst wenn es | |
den grünen Linken gelang, das Programm nach links zu ziehen. "Dafür braucht | |
es neues Personal an der Spitze." Die Grünen müssten jetzt in der zweiten | |
Oppositionsrunde endlich formulieren lernten, wie eine systemische | |
Umstellung jenseits des veralteten Wachstumsbegriffs gelingen könne, dem | |
SPD wie Linkspartei verpflichtet blieben. Das Grundeinkommen sei hierzu ein | |
Weg, die neuen Wertkonservativ-Linken in der Fraktion wie die Schwäbin | |
Beate Müller-Gemmeke schüfen da Perspektiven. | |
Wobei Hoffnung nicht gerade Zions maßgebliche Regung zu sein scheint. | |
Schwarz-Grün in NRW, und dann am Ende im Bund? "Boh", macht er und zuppelt | |
an der zehnten oder zwölften selbstgedrehten Zigarette. "Vielleicht." Dann | |
müssten sich eben auch die linken Grünen fragen lassen, warum es nicht | |
gelungen ist, ein Projekt für eine vereinte, rot-rot-grüne Linke zu | |
entwerfen, das das Lager rechtzeitig zusammengeschweißt und mit einer | |
gesellschaftlich überzeugenden Vision versehen hätte. "Das kann gut sein, | |
dass es jetzt dafür zu spät ist." | |
Bestes Wahlergebnis aller Zeiten und doch kleinste Partei im Bundestag. | |
Angetreten gegen die Schwarzen und Gelben - und doch selbst am linken | |
Flügel ohne Hoffnung für Rot-Rot-Grün. Vier Jahre lang nach links geschoben | |
und gezerrt - und doch mit Kurs auf ein Bündnis nach rechts. Es sieht aus, | |
als gewännen die Grünen in dieser Legislaturperiode noch einen Pokal für | |
politische Ironie. | |
18 Oct 2009 | |
## AUTOREN | |
Ulrike Winkelmann | |
Ulrike Winkelmann | |
## TAGS | |
Grüne | |
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