# taz.de -- ALLEIN ODER EINSAM: "Angst hatte ich keine" | |
> Sieben Monate war Janina Spalke Vogelwartin auf der Insel Trischen - um | |
> überrascht zu merken, wie gut sie mit dem Alleinsein zurechtkommt. Und | |
> dass es lohnt, sich über Bedenken hinwegzusetzen. | |
Bild: Eine Hütte mitten in den Salzwiesen: hier lebt die Vogelwartin der Insel… | |
taz: War das Alleinsein auf der Insel Anreiz oder Abschreckung, sieben | |
Monate dort zu verbringen? | |
Janina Spalke: Ich dachte, es wird einsam sein, aber ich mache mich | |
trotzdem auf. Ich wollte es auf jeden Fall tun und dazu gehörte es eben, | |
zum größten Teil alleine zu sein. Und das, was ich hier erleben durfte, hat | |
es auf jeden Fall ausgeglichen. | |
Ist Besuch erlaubt? | |
Ja, schließlich soll man hier ja nicht in Isolationshaft sein. Es soll aber | |
so wenig wie möglich auf der Insel gestört werden, deswegen gibt es die | |
Auflage, dass nur der Vogelwart und eine andere Person gleichzeitig dort | |
sein dürfen. Meine Familie ist dann einzeln mal mit herüber gefahren, mein | |
Freund war auch mal zwei Wochen am Stück da. | |
Haben sich eher Frauen oder eher Männer auf diese Herausforderung | |
eingelassen? | |
Es gab hier zwanzig Jahre lang einen Vogelwart, danach wurde es ein-bis | |
zweijährig vergeben. Zuerst waren es Männer, dann hat eine Vogelwartin zwei | |
Saisons gemacht und damit den Damm gebrochen. Mir erzählte eine | |
Mitarbeiterin, dass sie damals schluckte: Eine Frau alleine auf der Insel - | |
können wir das verantworten? Es gab ein großes Medienecho mit Bild-Zeitung | |
und allem Drum und Dran, aber sie hat es ziemlich tough durchgestanden, und | |
nächstes Jahr wird es wieder eine Frau sein. | |
Hatten Sie Angst auf der Insel? | |
Ich halte mich eigentlich nicht für eine besonders mutige Person, aber | |
Angst hatte ich nicht. Früher konnte man einfach so auf die Insel | |
rüberlaufen, aber inzwischen hat sich das Watt so verändert, dass das nicht | |
mehr so einfach geht. Und gerade in den dunklen Nächten, wo es stürmisch | |
und regnerisch war, und ich mich tatsächlich mal gegruselt habe, war mir | |
eigentlich klar: bei dem Wetter kommt sowieso keiner. Am Anfang habe ich | |
mich allerdings nicht getraut, Krimis zu lesen, aber nach drei Monaten ging | |
das dann auch. | |
Was war das Schöne auf der Insel? | |
Es ist das Draußen-und-mitten-drin-Sein. Ohne Deich, ohne irgendwelche | |
Befestigung mit der Hütte mitten in den Salzwiesen zu stehen. Die | |
Flussseeschwalben haben fast direkt an der Hütte gebrütet und als vor | |
anderthalb Wochen eine Sturmflut kam und ich gemerkt habe, das Wasser steht | |
unter der Hütte, ich bin so richtig den Elementen ausgesetzt: das war | |
wirklich Wahnsinn. | |
Wie groß ist die Insel? | |
Die Insel ist ungefähr 180 Hektar groß, von der Hütte bis zur Nordspitze | |
fünf Kilometer, und von der Süd- bis zur Nordspitze läuft man sieben | |
Kilometer. | |
Und wie groß ist die Hütte? | |
Die Hütte ist nur 15 Quadratmeter groß, sie hat aber eine umlaufende | |
Veranda mit Bänken in allen Richtungen und auch Fenster in alle Richtungen. | |
Ich habe mich darin nie eingesperrt gefühlt. | |
Wie komfortabel ist es drinnen? | |
Es ist eine Blockhütte mit einem Raum, einem Holzofen zum Heizen und einem | |
Gasherd. In einer Ecke steht ein Hochbett, und es gibt einen großen | |
Schreibtisch. Es ist alles drin, was man braucht, aber es ist nicht gerade | |
luxuriös. | |
Gibt es Strom? | |
Es gibt eine Solaranlage auf dem Dach. | |
Vorbildlich. | |
Ich fand es super, ich habe hier sieben Monate im Grunde bis auf das Gas | |
CO2-frei gelebt. Das Holz, das ich verheize, ist Treibholz, und wenn die | |
Sonne scheint, ist es egal, ob ich das Radio laufen lasse oder nicht - | |
diese Unabhängigkeit war total schön. Klar, sie war nicht vollständig: Der | |
Inselversorger bringt mir Trinkwasser und Lebensmittel. | |
War das Vogelbeobachten schon vor Trischen Ihr Hauptinteresse? | |
Es war nie ein Schwerpunkt in meinem Studium, sondern ein Hobby daneben. Es | |
war eigentlich eher ein Traum. Ich habe das Projekt hier auf Trischen immer | |
verfolgt und als die erste Frau hier war, dachte ich, das muss eine tolle | |
Frau sein, aber das hatte nie etwas mit mir zu tun. Es war etwas, von dem | |
ich dachte, ich sei ihm nicht gewachsen. | |
Dem Alleinsein nicht gewachsen? | |
Dem Alleinsein, aber auch dem Fachlichen - ob ich gut genug bin, die | |
Verantwortung für eine ganze Insel zu übernehmen. Alleine zu arbeiten, | |
alles termingerecht hinzukriegen, alles mitzubekommen und alle Arten zu | |
finden. Im Studium war ich gewohnt, in Gruppen zu arbeiten und sich immer | |
noch einmal absichern zu können. Ich habe dann aber viel mit meiner | |
Vorgängerin gesprochen und die meinte, es sei keine Hexerei, weil man so | |
nah dran ist. | |
Was genau mussten Sie denn mitbekommen? | |
Fragen wie: Wo fliegen die Vögel hin? Wo haben sie ihr Nest? Die meisten | |
Arten kannte ich schon, aber ich hatte noch nicht viel Erfahrung damit, wie | |
sie sich im Brutgeschäft verhalten. Die zweite große Aufgabe ist, die | |
Rastvogelbestände zu erfassen, also die Vögel, die das Wattenmeer als | |
Zwischenstopp nutzen. | |
Geht es bei den Zugvögeln auch um Veränderungen im Zuge des Klimawandels? | |
So dass die Arbeit auch eine politische Dimension bekommt? | |
Das ist nicht unbedingt nur der Klimawandel. Alles, was ich hier erfasse, | |
kann eine politische Dimension bekommen. Die Daten, die ich sammle, werden | |
wattenmeerweit, also in Deutschland, Dänemark und den Niederlanden | |
zusammengefasst. Da gibt es regelmäßig Berichte, wie es den einzelnen Arten | |
geht und darüber kann man zum Beispiel versuchen aufzuzeigen: Unsere Möwen | |
sind nicht erfolgreich in der Brut - kann es sein, dass Futtermangel ein | |
Problem ist, wie steht es mit dem Beifang der Fischer? Direkt in der | |
Nachbarschaft von Trischen liegt die Mittelplate, die Ölbohrinsel im | |
Nationalpark, wenn die etwas bauen, um die Insel zu sichern, muss | |
festgestellt werden, was das für Auswirkungen hat. | |
In England hat Vogelbeobachtung eine lange Tradition, können Leute in | |
Deutschland diese Faszination nachvollziehen? | |
Ich stehe dem Ganzen in England ein bisschen skeptisch gegenüber, weil es | |
oft nur noch darum geht, eine neue Art für die Liste zu finden. Da bin ich | |
bei manchen Leuten nicht sicher, ob es die Faszination für die Art oder | |
eine Art Jagdfieber ist - aber das gibt es in Deutschland auf jeden Fall | |
auch. Ich habe hier einerseits Rückmeldung von Leuten, die sagen: Wir haben | |
dazu nicht viel Bezug, aber es bedeutet uns etwas, wenn wir etwas über die | |
Insel lesen. Aber es gab auch Leute, die sagten: Was ist das für eine | |
Spinnerei, sieben Monate auf eine einsame Insel für die Vögel, und das noch | |
ohne Fernsehen. | |
Wenn Sie jetzt am Wochenende aufs Festland zurückkehren, ist das Schrecken | |
oder Verheißung? | |
Ich habe ein bisschen Angst vor der großen Altbauwohnung, in der ich mit | |
meinem Freund wohne. Es wird mir sicher auch fehlen, vor die Tür zu gehen | |
und es riecht sofort nach Meer. Aber ich freue mich auch auf Kino und Cafés | |
und darauf, mich in den Zug setzen zu können, um Freunde zu besuchen. Wenn | |
jetzt der Winter kommt, muss ich auch nicht auf der Insel bleiben: draußen | |
sind es jetzt drei Grad und in der Hütte neun. | |
Haben Sie sich manchmal gefragt, wie es der Vogelwart wohl aushielt, der 20 | |
Jahre auf Trischen war? | |
Natürlich. Vor allem, weil er viel strikter mit Besuch war: Ab und zu kam | |
seine Frau, aber ansonsten kam kaum jemand. Das war eine sehr spezielle | |
Person, der Vogelwart, und je länger er hier war, desto stärker hatte er | |
das Gefühl, dass es seine Insel war. Eindringlinge wurden nicht gerne | |
gesehen. | |
Hat Sie Ihre Reaktion auf das Alleinsein überrascht? | |
Ich habe bei manchen Sachen viel emotionaler reagiert. Zum Beispiel, wenn | |
sich Besuch angekündigt hatte und das Schiff wegen schlechten Wetters einen | |
Tag später kam. Aber eigentlich war ich erstaunt, wie gut es ging, weil ich | |
immer angenommen habe, dass ich ein sehr geselliger Mensch bin. Vorher | |
dachte ich: Ein schönes Erlebnis ist für mich nur dann etwas wert, wenn ich | |
es mit jemand anderem zusammen erlebe. Aber hier konnte ich schöne Momente | |
ganz alleine für mich genießen. | |
Waren Sie allein oder einsam? | |
Einsam habe ich mich nur gefühlt, wenn das Schiff nicht kam. Ansonsten | |
wusste ich, es sind Leute auf dem Festland, die an mich denken, bei jedem | |
Sturm und jedem schlechten Wetter. | |
Sind Sie unabhängiger geworden? | |
Unabhängiger, ja, aber vor allem hat mir die Zeit viel Selbstvertrauen | |
gegeben. Dass ich, wenn ich so eine Entscheidung treffe, darauf vertrauen | |
kann, dass es gut funktioniert. Viele Leute, die mich gut kannten, haben | |
vorher gesagt: Das ist doch nicht wirklich etwas für dich. Aber für mich | |
fühlte es sich gleich richtig an. | |
18 Oct 2009 | |
## AUTOREN | |
Friederike Gräff | |
## TAGS | |
Einsamkeit | |
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