# taz.de -- Verfahren gegen Karadzic: Späte Suche nach Gerechtigkeit | |
> Er gilt als Hauptverantwortlicher des Massakers von Srebrenica. In Den | |
> Haag wird ihm nun der Prozess gemacht. Doch Radovan Karadzic weigert | |
> sich, vor Gericht zu erscheinen. | |
Bild: Radovan Karadzic bei seinem ersten Auftritt in Den Haag, im August 2008. | |
SARAJEVO taz | Hotel Holiday Inn in Sarajevo, im März 1992, kurz vor dem | |
Krieg in Bosnien. Umringt von schwer bewaffneten serbischen Milizionären | |
zeichnet Radovan Karadzic auf ein Blatt Papier, wie er sich die ethnische | |
Aufteilung Sarajevos vorstellte. Nach den Vorstellungen des damaligen | |
Vorsitzenden der "Serbischen Demokratischen Partei" sollte die Altstadt den | |
Muslimen vorbehalten bleiben, die Hochhaussiedlungen Novo Sarajevo, Novi | |
Grad und Grbavica den Serben und der westliche Streifen den Kroaten. | |
Karadzic wollte die Bevölkerung in ganz Bosnien und Herzegowina zugunsten | |
eines ethnisch reinen serbischen Teils auseinanderreißen. "Wir Serben | |
können nicht mit anderen zusammenleben", erklärte er damals. Die gemischte, | |
multinationale und multireligiöse Gesellschaft konnte jedoch nur mit Gewalt | |
zerstört werden. Als am 6. April 1992 serbische Soldaten auf Sarajevo | |
vorrückten und damit der Krieg begann, wurde sogleich das politische | |
Konzept des aus Montenegro stammenden Psychiaters umgesetzt. Serbische | |
Milizen und Soldaten eroberten in der Folge zwei Drittel Bosnien und | |
Herzegowinas. | |
In den großen Städten waren Listen von Menschen vorbereitet, die verhaftet | |
werden sollten. Ziel war es vor allem, die kroatische und muslimische Ober- | |
und Mittelschicht auszuschalten. Zehntausende wurden verhaftet und in | |
Konzentrationslager - so Omarska, Keraterm, Manjaca - gesteckt. Tausende | |
wurden dort gefoltert, getötet und vergewaltigt. Die serbische Soldateska | |
rückte überall brutal vor und "säuberte" ganze Landstriche von den zumeist | |
völlig überraschten Nichtserben. Über zwei Millionen Menschen, fast die | |
Hälfte der Gesamtbevölkerung, mussten fliehen. Fast 80.000 Menschen | |
verloren in diesem Sommer 1992 ihr Leben. | |
Wegen dieser Taten muss sich jetzt Karadzic vor dem | |
UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag verantworten. Auch wegen der über | |
dreijährigen Belagerung Sarajevos, wo 14.000 Menschen starben, darunter | |
1.800 Kinder. Und des im Juli 1995 erfolgten Angriffs auf die Enklave | |
Srebrenica, wo Karadzics Oberkommandierender, General Ratko Mladic, 8.300 | |
Männer ermorden ließ. Gleich nach dem vom Gericht als "Genozid" | |
eingestuften Massaker von Srebrenica, am 25. Juli 1995, wurde die erste | |
Anklage gegen Radovan Karadzic von der Staatsanswaltschaft des | |
UN-Kriegsverbrechertribals veröffentlicht. Sie klagte Radovan Karadzic und | |
Ratko Mladic wegen Genozid, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, schwerem | |
Verstoß gegen die Genfer Konvention und Zuwiderhandlungen gegen Kriegs- und | |
Gewohnheitsrecht an. Nach der Anklage tauchte er in den Untergrund ab. | |
Heute wissen wir, dass Karadzic als Alternativheiler Dragan Dabic lange | |
Jahre in Belgrad gelebt und gearbeitet hat. Um seine Verhaftung am 21. Juli | |
2008 ranken sich noch einige Gerüchte. Während die offizielle Version | |
lautet, er sei in einem Bus erkannt und von serbischen Polizisten verhaftet | |
worden, geben Geheimdienstquellen in Sarajevo eine ganz andere Version an. | |
Danach soll Dragan Dabic selbst einen Hinweis auf seine Identität gegeben | |
haben. Auf seiner damaligen Website hatte er einen Link "young man" | |
gesetzt. Klickte man diesen Link an, zeigte sich das Gesicht des | |
17-jährigen und gut erkennbaren Radovan Karadzic. Der durch Bart und Haare | |
verunstaltete Karadzic war also eitel genug, sich in voller Schönheit | |
zeigen zu wollen. Wahrscheinlich, so diese Version, haben Kopfgeldjäger die | |
Arbeit übernommen, ihn in Belgrad festzunehmen. | |
Karadzic stützt selbst diese Version, er erklärte gleich nach seiner | |
Ankunft in Den Haag, er sei tagelang in einer Wohnung festgehalten worden. | |
Wie dem auch sei: Karadzic muss sich ab Montag wegen der begangenen | |
Verbrechen verantworten. | |
Serge Brammertz, Chefankläger des Jugoslawien-Tribunals in Den Haag, will | |
die Fehler des Milosevic-Prozesses vermeiden. Der Prozess gegen den | |
ehemaligen serbischen Präsidenten war nach seiner Ansicht viel zu breit | |
angelegt, Milosevic starb nach jahrelangem Prozess 2006 in Den Haag. So | |
legte Brammertz den zuständigen Richtern eine rundum überarbeitete | |
Anklageschrift vor, die deutlich enger gefasst ist als die frühere Anklage. | |
In der ursprünglichen Fassung war dem früheren Führer der bosnischen Serben | |
Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen im | |
Zusammenhang mit dem Massaker in Srebrenica und der Belagerung Sarajevos | |
sowie in 41 weiteren Gemeinden in Bosnien vorgeworfen worden. Brammertz hat | |
die Anklage auf 27 Orte verringert. Karadzic dagegen will nach der Taktik | |
Milosevic den Prozess hinauszögern. Deshalb weigert er sich wegen angeblich | |
zu geringer Vorbereitungszeit für seine Verteidigung, zu Prozessbeginn zu | |
erscheinen. | |
Politisch hat er ohnehin gewonnen. Nach einer Gegenoffensive kroatischer | |
und bosnischer Truppen im September 1995 schrumpfte das serbisch besetzte | |
Gebiet zwar auf 50 Prozent der Fläche des Landes. Doch in dem im November | |
1995 verhandelten Friedensvertrag von Dayton wurden die serbisch besetzten | |
Gebiete Bosnien und Herzegowinas als serbischer Teilstaat, als "Republika | |
Srpska", bestätigt. Und damit war seine Absicht, die multiethnische | |
Gesellschaft Bosniens zu zerstören, verwirklicht. | |
26 Oct 2009 | |
## AUTOREN | |
Erich Rathfelder | |
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