Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Gedenkkultur: Täter und Opfer auf einem Stein
> SS-Männer und Nazi-Opfer gleichberechtigt auf demselben Mahnmal: Ein
> Gedenkstein im Wohnort von Ministerpräsident Christian Wulff sorgt
> weltweit für Empörung.
Bild: Das Mahnmal auf dem Großburgwedeler Friedhof soll am Volkstrauertag enth…
Ikea, Kind-Hörgeräte, Wohnsitz von Ministerpräsident Christian Wulff (CDU)
- das war es, was man bisher mit Großburgwedel verband. Jetzt steht der
Vorort von Hannover weltweit am Pranger. Am Volkstrauertag soll ein Mahnmal
enthüllt werden, das Nazi-Opfer und SS-Männer gleichberechtigt
nebeneinander stellt. Jüdische Medien und Verbände protestieren weltweit
gegen die "Verunglimpfung" ihrer Toten, die Stiftung niedersächsische
Gedenkstätten sieht das Ansehen Deutschlands gefährdet, und Antifa-Gruppen
drohen zur Einweihung mit Randale.
Wer in der 7.500-Seelen Gemeinde herumfragt, wie es zu diesem Schlamassel
kommen konnte, wird auf eine Tafel verwiesen, die nach Meinung der meisten
Beteiligten die politische Correctness des Mahnmals sicherstellt. Dort
heißt es: "Unseren Gefallenen der beiden Weltkriege, den Opfern der
nationalsozialistischen Gewaltherrschaft 1933 bis 1945, von Flucht und
Vertreibung".
Dass man sich erst nach monatelangen Querelen auf den Text einigen konnte,
erzählt man nicht so gern. Ebenso wenig, wie das Mahnmal zustande kam.
Daran wollen sich nämlich die wenigsten erinnern.
Auch nicht Hendrik Hoppenstedt, Verwaltungschef der übergeordneten Gemeinde
Burgwedel. Der 36-Jährige wurde eben erst zum Chef des CDU-Kreisverbandes
Hannover-Land gewählt und gilt als schwarzer Shootingstar. Nun kratzt die
Affäre an seinem Sieger-Image. Hoppenstedt umschreibt die Gedenkstätte als
"Bürgeranliegen, das an mich herangetragen wurde", spricht von
demokratischen Beschlusslagen und davon, wie sehr ihn der Vorwurf, man ehre
SS-Männer, "persönlich getroffen hat". Schließlich habe man nur das Beste
gewollt.
Das Beste, sagt Sozialdemokrat Rudolf Gutte, hieß 2007 allerdings noch
nicht "Mahn"-, sondern "Ehrenmal", und zwar ausschließlich für die im
Zweiten Weltkrieg gefallenen Soldaten. Das gab es in sechs Burgwedeler
Ortsteilen, aber eben nicht in Großburgwedel. Ein unhaltbarer Zustand, nach
Guttes Version vor allem für die "Soldatenkameradschaft Burgwedel". Von ihr
sei der Großburgwedeler CDU-Ortsbürgermeister Otto Bahlo aktiviert worden,
der die Sache ins Rollen gebracht habe.
Bahlo nennt Guttes Darstellung "falsche Anschuldigungen". Dass er gern in
Kameradschaftskreisen verkehrt, ist allerdings stadtbekannt. Gutte verweist
auf die Protokolle diverser Arbeitsgruppensitzungen, da sei alles
nachzulesen. Die Familie des 71-Jährigen war im Widerstand, eine Großmutter
wurde von den Nazis ermordet, weshalb für ihn fest stand: Wenn ein Mahnmal
errichtet wird, dann nur für alle Opfer der Tyrannei. Eine Ansicht, der
sich letztlich der Ortsrat anschloss, wenn auch nur auf Druck von
Hoppenstedt. Der will davon nichts mehr wissen. Verständlicherweise. "Das
blöde Gesamtbild" seiner Gemeinde hat schon genug Brauntöne.
Hoppenstedt kann dafür wenig. Er war es, der immerhin dafür sorgte, dass
die Angelegenheit öffentlich diskutiert wurde. Er band die Geschichts-AG
des örtliche Gymnasium ein, die, gestützt von einer Historikerin, den
Hintergrund recherchieren sollte. Und er wies den Ortsrat nochmals in die
Schranken, als der sich weigerte, 27 Säuglinge polnischer
Zwangsarbeiterinnen auf dem Mahnmal zu verewigen, die in einem
Großburgwedeler Heim verhungert waren.
Darüber hinaus ermittelten die Schüler 180 Menschen, die, so die Kriterien,
im Ort geboren und hier während des Nazizeit ermordet wurden: darunter
Euthanasie-Opfer, die in der Pestalozzi-Stiftung starben, drei jüdische
Mitbürger und drei Sinti. So weit war alles auf einem guten Weg, und die
Stadt beauftragte den Bildhauer Peter Lechelt, eine Stele zu entwerfen.
Bis sich herausstellte, dass unter den 142 Soldaten fünf SS-Männer und ein
Scherge des Gestapo-Sicherheitsdienstes waren. Gutte und Genossen bestanden
darauf zu überprüfen, ob die SS-Männer Verbrechen begangen hatten. Als der
Ortsrat nach langem Gezänk einwilligte, kündigte die Soldatenkameradschaft
ihre Teilnahme am Volkstrauertag auf, wegen "Verletzung der Werte des
Soldatentums". Die "(Schützen)gräben" müssten endlich "überwunden werden",
mahnte die Lokalzeitung Nord-HAZ. Vergeblich.
Denn mittlerweile protestierten weltweit jüdische Medien und Organisationen
wie die Simon-Wiesenthal-Stiftung oder die Deutsch Israelische
Gesellschaft. Auch die Stellungnahme der jüdischen Gemeinden Niedersachsens
ließ an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. SS-Männer auf demselben
Mahnmal wie jüdische Opfer, das sei "nicht vertretbar", sagte der
Vorsitzende Michael Fürst. Er bat darum, die Juden nicht zu nennen.
Die Stadt kam dieser Forderung zähneknirschend nach, doch die Sache wurde
dadurch nicht besser. Mittlerweile haben die Recherchen des
Niedersächsischen Instituts für Historische Regionalforschung ergeben, dass
vermutlich mindestens zwei der SS-Männer in Kriegsverbrechen verwickelt
waren. Der Ortsrat beschloss daraufhin, die Namen aller SS-Männer
unkenntlich zu machen. Im Rathaus fürchtet man dennoch einen heißen
Volkstrauertag. Im Internet kursiert ein mit "Lindener Butjer" gezeichneter
Aufruf: "Deutsche Täter sind keine Opfer! Nieder mit dem Denkmal für Nazis!
Kommt am 15. 11. 09 zum Großburgwedeler Friedhof!"
Um den Gottesanger patrouilliert der Staatsschutz. Vom Großburgwedeler
Bürger Christian Wulff war zu der Affäre bisher kein Wort zu hören.
12 Nov 2009
## AUTOREN
Michael Quasthoff
## TAGS
NS-Verfolgte
## ARTIKEL ZUM THEMA
Rechtsradikale im Beirat von Bergen-Belsen: Darf man die AfD aussperren?
Die AfD-Fraktion hat Anspruch auf einen Sitz im Stiftungsrat der
Niedersächsischen Gedenkstätten. SPD und CDU erwägen, das zu verhindern. Zu
Recht?
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.