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# taz.de -- Verzicht auf Politik der Assimilierung: Türkei beantwortet Kurdenf…
> Die türkische Regierung will den Kurden erstmals gleiche Rechte
> zugestehen. Eine Gratwanderung: Nationalisten und Säkularisten wittern
> Verrat, die Kurden sind skeptisch.
Bild: "Ich will meine Sprache".
Die Szene wäre noch vor nicht allzu langer Zeit undenkbar gewesen. Ahmet
Türk, Vorsitzender der kurdischen DTP, steht am Rednerpult des türkischen
Parlaments in Ankara und kritisiert in einer einstündigen fulminanten Rede
die Politik der türkischen Republik gegenüber der kurdischen Minderheit des
Landes. Vor ihm hatte Innenminister Besir Atalay die Debatte mit
Anmerkungen dazu eingeleitet, mit welchen politischen Schritten die
Regierung den schwierigsten Konflikt des Landes zu lösen gedenkt.
Unter dem Motto "Mehr Freiheit für Alle" soll den Kurden erlaubt werden,
ihre Sprache zukünftig auch im öffentlichen Leben, in Wahlkämpfen und in
der Arbeit der Kommunen zu benutzen. Dörfer und Städte könnten ihre alten
kurdischen Namen zurückbekommen und außerdem soll eine unabhängige Behörde
zukünftig Beschwerden über Diskriminierungen annehmen.
Vor allem aber will die Regierung eine neue Verfassung, in der die
Freiheitsrechte für alle in einem Grundrechtskatalog verankert werden soll,
der bislang fehlt. Doch dafür braucht sie die Opposition und die machte in
der Debatte gestern erneut deutlich, dass mit ihr nicht zu rechnen ist. Der
Chef der ultranationalistischen MHP, Devlet Bahceli, redete eine Stunde
lang fast nur über den "Terror der PKK", den Schmerz der Angehörigen der im
Kampf gegen die Kurdenguerilla gefallenen Soldaten, den die Regierung mit
Füßen treten würde und dem Verrat Ministerpräident Erdogans, der mit seiner
Kurdenpolitik das Land aufteilen wolle. Aber auch Deniz Baykal,
Vorsitzender der CHP, denunzierte die Reformvorschläge als ein Komplott,
dass die regierende AKP mit dem inhaftierten PKK-Chef Abdullah Öcalan
abgesprochen hätte.
Neben der erwartbaren Kritik aus dem nationalistischen Lager machte aber
auch Ahmet Türk in seiner Rede deutlich, dass die bisherigen Ankündigungen
der AKP-Regierung noch weit davon entfernt sind, für die Kurden eine Lösung
zu sein. Er nutzte seinen historischen Auftritt, um im Parlament an die
Verbrechen der türkischen Politik gegenüber den Kurden in den letzten
sieben Jahrzehnten zu erinnern.
Die Unterdrückung, die Brutalität des Militärs, Folter, willkürliche
Festnahmen und das Verschwinden und Ermorden vermeintlicher PKK-Anhänger:
Türk machte es den Abgeordneten der anderen Fraktionen, von denen etliche
den Saal verließen, nicht leicht. Allerdings bekräftigte er noch einmal,
dass auch die Kurden eine Lösung innerhalb der bestehenden Grenzen
wünschten. "Die Kurdenfrage ist keine Frage der Fahne", war seine eher
versöhnliche Botschaft.
Voraussetzung sei aber, dass auf die Politik der Assimilierung verzichtet
werde und das kurdische und türkische Volk sich zukünftig gleichberechtigt
gegenüber treten würden. Würde das verwehrt, hätten die Kurden gezeigt,
dass sie bereit seien zu kämpfen.
Dass Türk mit seinem grundsätzlichen Angebot zur Gemeinsamkeit aber nicht
für die PKK spricht, hatte diese bereits einen Tag zuvor klar gemacht. In
einer Erklärung bezeichnete die PKK den Vorstoß der AKP zur Lösung der
kurdischen Frage nur als einen weiteren, diesmal verschleierten Versuch zur
"Liquidierung der PKK". Wenn der AKP an einem ehrlichen Kompromiss gelegen
sei, müsse sie PKK- Chef Abdullah Öcalan aus dem Gefängnis entlassen und
als Verhandlungspartner akzeptieren.
Davon ist die Regierung wie der allergrößte Teil der türkischen
Gesellschaft jedoch weit entfernt. Allerdings hat der Justizminister
angekündigt, man werde die Isolationshaft Öcalans beenden und weitere acht
Gefangene der PKK auf die Gefängnisinsel Imrali verlegen.
14 Nov 2009
## AUTOREN
Jürgen Gottschlich
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