# taz.de -- Doku über RAF-Anwälte: Im Bann der Väter | |
> Der Dokumentarfilm "Die Anwälte - eine deutsche Geschichte" folgt den | |
> Lebenswegen Otto Schilys, Hans-Christian Ströbeles und Horst Mahlers. Von | |
> links nach rechts und weiter. | |
Bild: So kommen sie nicht mehr zusammen: Hans-Christian Ströbele, Horst Mahler… | |
Christian Ströbele schaut in die Kamera. Er ist 70 Jahre alt, hat | |
schlohweißes Haar, und diese Geschichte wird er nie vergessen. Er war ein | |
kleiner Junge, der mit seinen Kameraden spielte. Sie hantierten mit | |
Munition und Granaten. Einmal ging er kurz ins Haus, dann gab es einen | |
Knall. Alle seine Freunde waren tot, zerrissen von der explodierenden | |
Granate. | |
Es gibt in den Kindheiten der 70-Jährigen viel Tod. Überleben war im | |
Gewaltorkan des Krieges Zufall. Und irgendwann musste diese verdrängte | |
Gewalt in die sterile, friedliche, vergessliche Bundesrepublik | |
zurückkehren. Auch davon erzählt "Die Anwälte", ein skizzenhaftes Biopic | |
über Horst Mahler, Otto Schily und Hans-Christian Ströbele. | |
Das Erstaunlichste an diesem Film ist, dass es ihn gibt. Das allein ist | |
schon ein Verdienst der Regisseurin Birgit Schulz. Denn es ist lange her, | |
dass diese drei Figuren etwas verband. Vor 40 Jahren waren alle drei | |
aufstrebende Anwälte in Westberlin. Sie waren Anfang 30 und auf Seiten der | |
Studentenbewegung. Der 2. Juni 1967 war das Schlüsseldatum. Der Tod von | |
Benno Ohnesorg, sagt Ströbele, hat "mich politisiert". Otto Schily war 1967 | |
ein forsch auftretender, gut gekleideter Anwalt mit schlankem, fast | |
asketischen Antlitz. Der Kurras-Prozess war sein erstes politisches | |
Verfahren und der Beginn seiner Karriere als Staranwalt in Politprozessen. | |
Horst Mahler sieht man, mit dicker Hornbrille ausgestattet, in flimmernden | |
TV-Bildern 1967 beim SDS, der versucht zu klären, warum Ohnesorg starb. | |
"Mit Ströbele habe ich mich gesiezt, aber wir waren befreundet", sagt Horst | |
Mahler, ein netter älterer Herr mit randloser Brille und sonorer Stimme. | |
Ströbele habe sich rührend um seine Familie gekümmert, als er in den | |
70er-Jahren als RAF-Mitglied im Knast war. Und Otto Schily brachte ihm die | |
Gesamtausgabe von Hegel ins Gefängnis. | |
Heute trennen die drei Welten, Horst Mahler ist Neonazi, Otto Schily war | |
der Law-and-Order-Minister der rot-grünen Koalition, Hans-Christian | |
Ströbele ist noch immer ein freundlicher Linksliberaler. Die drei sind kein | |
einziges Mal gemeinsam vor der Kamera zu sehen. Sie sitzen allein in einem | |
leeren Gerichtssaal und erzählen von früher. Der Ort soll Atmosphäre und | |
Geschichte vermitteln. Aber der Raum spricht nicht, und die Protagonisten | |
wirken wie drapiert. | |
Ästhetisch ist "Die Anwälte" nichts Besonderes. Die Montage verschränkt | |
zeithistorische Bilder und Fotos routiniert mit den Aussagen der drei. Die | |
Regisseurin kommt ihren Figuren nicht nahe. Das ist kein Wunder, es sind | |
Anwälte, Selbstdarstellung, Verschwiegenheit und Kontrollsucht gehen eine | |
schwierige Melange ein. Heikle Punkte - Schilys Wandel vom Linksliberalen | |
zum Stockkonservativen oder Ströbeles mehr als engagierte Verteidigung der | |
RAF-Gefangenen - werden ausgespart. | |
Trotzdem ist "Die Anwälte" eine Fundgrube. Auf einem Tonband aus Stammheim | |
etwa liefert sich Schily mit dem Vorsitzenden Richter ein theaterreifes | |
Rede-, nein Schreiduell. Schily, der Großbürgersohn, war der raffinierteste | |
der RAF-Anwälte. Der kluge Prozessbeobachter der FAZ, Jürgen Busche, hat | |
mal beschrieben, warum. Schily schlug auch dem Richter gegenüber "den | |
herrischen, herablassenden, schnarrenden Ton an, mit dem in seinem | |
Elternhaus das Hausmädchen abgekanzelt wurde, wenn es die Treppe nicht | |
richtig geputzt hatte". | |
Eine eigentümliche Spannung entsteht durch das Nebeneinander der jungen und | |
alten Gesichter. Schily ist 77 Jahre alt, hat die gleiche | |
Prinz-Eisenherz-Frisur wie vor 40 Jahren und das gleiche unerschütterliche | |
Selbstbewusstsein. Ströbele wirkt als RAF-Anwalt und grüner MdB gleich: | |
lässig gekleidet und mit einem wetterfesten Weltbild ausgerüstet. Schon als | |
Kind, sagt er, habe ihn Unrecht aufgeregt. So blieb es. | |
Mahler verändert sich im Laufe der Zeit visuell am deutlichsten. In den | |
60ern ist er ein seriöser Wirtschaftsanwalt mit schwarzem Rolli, im | |
Gefängnis mit Rauschebart die Karikatur eines Revolutionärs. Heute ist er | |
73 und wirkt seltsam juvenil. | |
Mahler ist das schwarze Loch in "Die Anwälte". Er war SPD-Mitglied, | |
DDR-Sympathisant, RAF-Mitglied, der erste Renegat der RAF, Maoist, | |
Liberaler, Deutschnationaler und Nazi. Ein Leben als Achterbahnfahrt durch | |
die Ideologien und Totalitarismen des 20. Jahrhunderts. In dem Film sagt er | |
über sich: "Ich habe nicht das Gefühl, dass ich von links nach rechts | |
gegangen bin." Würde er besonnen erklären, dass die Erde eine Scheibe ist, | |
man würde sich nicht wundern. | |
Vielleicht gibt es für Mahlers Zickzack keine rationale Erklärung. Schily | |
und Ströbele fällt außer Achselzucken nichts ein. Mahlers Vater war ein | |
fanatischer Nazi-Anhänger, der sich nach dem Krieg erschoss, weil er in | |
einer Welt ohne Hitler nicht leben wollte. Schilys Vater war ein | |
preußisch-strenger Bildungsbürger mit anthroposophischer Neigung. Beide, | |
Schily und Mahler, sind ihren Vätern am Ende ihres Lebens ähnlich geworden. | |
Wie ein Kreis, der sich schließt. | |
18 Nov 2009 | |
## AUTOREN | |
Stefan Reinecke | |
## TAGS | |
Vietnamkrieg | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
50. Jahrestag Antikriegsproteste: US-Truppen auf zum Mond! | |
Auch bürgerlicher Ungehorsam will gelernt sein: Am 5. Februar 1966 zieht | |
die erste Vietnam-Demo durch Westberlin zum Amerika-Haus. |