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# taz.de -- Bildhauerei: Die Baumfrau
> Das Bremer Gerhard-Marcks-Haus feiert seine Wiedereröffnung mit einer
> "Daphne"-Ausstellung. Der Mythos von der Verwandlung der Waldnymphe in
> einen Baum ist eine formal faszinierende Vorlage - und aufschlussreich in
> Hinblick auf geschlechtsspezifische Zugriffe.
Bild: Daphnes Verwandlung ist bei diesen Bronze-Plastiken von Helga Föhl schon…
Momentaufnahme - das ist der entscheidende Begriff, wenn es um Daphne geht.
Denn was wäre für einen Bildhauer faszinierender als das Festhalten des
Augenblicks, in dem aus einem menschlichen Körper etwas ganz anderes wird?
Zum Beispiel ein Lorbeerbaum. Ist das ein Arm oder schon Ast? Bein oder
Borke? Das Bremer Marcks-Haus zeigt jetzt 25 sehr unterschiedliche
Skulpturen, die von Daphnes Verwandlung inspiriert sind.
Ihr Mythos, überliefert in Ovids "Metamorphosen", geht in Kurzform so:
Apoll, von Amors Pfeil getroffen, verliebt sich unsterblich in die
Waldnymphe Daphne. Die weist ihn zurück, wird daraufhin verfolgt und bittet
in ihrer Bedrängnis den Flussgott Penëus, ihren Vater: "Vernichte die allzu
begehrte Gestalt durch Verwandlung!" Schon ist sie Baum - und die
Kunstgeschichte um ein hochspannendes Sujet reicher.
Dank seiner endlich erfolgten Nachrüstung mit einer Klimaanlage, deren
Fehlen viele Leihgeber bislang verschreckte, kann das Marcks-Haus sogar mit
der ältesten bekannten dreidimensionalen Daphne aufwarten: Einer um 1530
entstandenen Figurengruppe aus dem Germanischen Nationalmuseum Nürnberg.
Sie spinnt die Verholzung des Nymphenkörpers in vielerlei Facetten fort:
Sogar aus den Brustwarzen wächst Astwerk, das wiederum als Brunnenrohr
dient. Nicht nur die Nacktheit der Hauptdarstellerin machte die
mythologische Vorlage über die Jahrhunderte attraktiv, auch praktische
Aspekte prädestinierten eine Daphne offenbar zur Aufstellung in fränkischen
Patrizierhäusern.
Wer Daphne sagt, denkt an Bernini, dessen lebensgroße Marmor-Gruppe in der
römischen Villa Borghese als Inbegriff der Nymphen-Metamorphose gilt. Das
Marcks-Haus konnte immerhin eine Reproduktion aus Dresden beschaffen, die
August dem Starken gehörte. Sie ist noch voll auf Apoll und den begehrten
Körper fixiert, lediglich Daphnes zweigige Finger zeigen die beginnende
Verwandlung. In anderen Darstellungen umschlingen die Hände des
frustrierten Stalkers bereits stockgewordene Glieder.
Apoll, die Frau, die Verholzung: Für taz- beziehungsweise Touché-Leser ist
es nichts Neues, dass man durchaus auch einen ausgewachsenen Baum umarmen
kann. Nichtsdestoweniger lässt sich kunstgeschichtlich der eindeutige Trend
erkennen, Apoll als Akteur schlicht und einfach wegzulassen. Schon
Émile-Antoine Bourdelles "Dapnée changée en laurier" von 1910 beschränkt
sich auf Frau und Baum. Umkreist man die Bronze im Uhrzeigersinn, lässt
sich die Metamorphose quasi filmisch nachvollziehen: Schritt für Schritt
verschmilzt der Frauenkörper mit dem wuchernden Lorbeer.
Noch auffälliger als das allmähliche kunstgeschichtliche Aussterben des
Apoll ist der sehr geschlechtsspezifische Zugriff, der sich beim
Daphne-Thema ausmachen lässt. Während bei vielen Bildhauern eine
vermeintliche Erotik der Verfolgungssituation herausgearbeitet ist,
konzentrieren sich deren Kolleginnen tendenziell auf Schreck und
Erstarrung. "Es ist auffällig, dass sich die Bildhauerinnen viel stärker
für Füße und Finger interessieren als für die dazwischen liegenden
Körperteile", sagt Kuratorin Veronika Wiegartz. Bei den männlichen
Künstlern spiele "der sinnliche Aspekt" eine größere Rolle.
Renée Sintenis, bekannt als Schöpferin des Filmpreises Bambi, zeigt in der
Tat einen eher androgynen, von unten und von oben in die Länge gedehnten
Körper, der vor allem die Konzentration der Figur auf sich selbst
ausdrückt. Für Markus Lüpertz hingegen ist Daphne Anlass für eine ganze
Reihe sehr selbstbewusster Akte, bei denen selbst das Baum-Motiv nur noch
als Hintergrund oder narrativer Verweis fungiert. Mit viel Gespür für
Raumdramaturgie konterkariert Kuratorin Wiegartz diesen Ansatz mit einer
irritierenden Arbeit von Karin Arink: Direkt gegenüber den prallen
Lüppertz'schen Figuren, auf einem rauen Betonsockel, steht Arinks
zweieinhalb Meter hohe "Daphne after the hunt" - der man sehr genau
ansieht, dass ihre Verwandlung kein poetisch interpretierbarer
pantheistischer Akt ist. Dieser bronzene Strunk mit seinen schmerzhaft
gedehnten Rippen ist keine Studie beseelter Natur, sondern Ausdruck von
Selbstaufgabe in höchster Not, um der Vergewaltigung zu entgehen.
Arinks Daphne stand zunächst in den Außenanlagen eines psychiatrischen
Krankenhauses, wurde dort aber nach Protesten von Patienten entfernt. Im
Marcks-Haus mutiert sie zum emotionalen Dreh- und Angelpunkt. Zwar
beeindruckt die Schau auch durch die stilistische Bandbreite der
Daphne-Darstellungen zwischen Tradition, Avantgarde, Abstraktion oder der
seit den 70ern wieder aufkeimenden Figürlichkeit. Doch die Folgen des laut
Ovid "fruchtbaren Moments" - warum eigentlich nicht "furchtbaren" Moments?
-, in dem Apoll Daphne ergreift, materialisieren sich nirgends
ausdrucksstärker als in Arinks Bronze. Deren Statik ist pures Erstarren.
19 Nov 2009
## AUTOREN
Henning Bleyl
Henning Bleyl
## TAGS
Köln
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