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# taz.de -- Fußballkultur in Italien: Rassisten als Moralapostel
> Mario Balotelli, Inter Mailands streitbarer Jungprofi, ist eines der
> großen Talente des italienischen Fußballs. Weil er nicht weiß ist, wird
> er beschimpft wie kaum ein Zweiter.
Bild: Mario Balotelli ist Jungstar des Inter Mailands und hat mit seinen ghanai…
Viel Feind, viel Ehr. Mario Balotelli ist ein Krieger. Der vor 19 Jahren in
Palermo geborene Sohn ghanaischer Einwanderer frisiert sich die Haare gern
kriegerisch. In der Fußballarena scheut er keine Auseinandersetzung. Auf
Gegenspieler nimmt er wenig Rücksicht. Das Publikum fordert er, wenn es ihn
auspfeift, gern zum Schweigen auf. Vor seinem Arbeitgeber duckt er sich
nicht. Freunde macht er sich damit kaum. Das spricht jedoch nicht gegen ihn
- eher gegen sein angepasstes Umfeld.
Zum Streitobjekt, um das sich seit letzter Saison die Sportrichter und seit
kurzem sogar Parlamentarier kümmern müssen, wird der junge Mann, weil auf
ihn ein wüstes rassistisches Geschimpfe einprasselt. Besonders perfide ist
es, weil es im Windschatten der Verteidigung der guten Sitten dahersegelt.
Gestandene Profis wie der Römer Francesco Totti kritisieren nicht nur gern
öffentlich das zuweilen forsche Auftreten des jungen Stars von Inter
Mailand, sie signalisieren auch Verständnis dafür, dass dieser von den
Rängen mit Affen verglichen, in den Urwald zurückgeschickt und sogar lieber
tot als lebendig gesehen wird. Für Männer wie Totti ist Balotelli der
Auslöser solcher Sprechchöre und Transparente im Stadion und der Ballung
von Hassforen bei Facebook.
Totti, selbst kein Ausbund an guten Manieren auf dem Rasen, war in der
letzten Saison mit Balotelli zusammengerasselt, weil dieser nicht nur einen
umstrittenen Elfmeter im Tor platziert (Endstand 3:3) hatte, sondern auch
seinen Mannschaftskameraden Panucci provoziert und wiederholt "Scheiß
Römer" gerufen habe. Wenn die Sensoren auf den Stadiondächern, die die
Bewegungen der Spieler aufzeichnen und statistisch auswertbar machen, auch
über empfindliche Audioeingänge verfügen würden, dann vernähme man auf den
meisten Plätzen "Shit Talk" jeder Art. Balotelli verhält sich absolut
branchenkonform.
Besonders hoch schlagen die rassistischen Wogen im Turiner Olympiastadion.
Bereits im April hatte der harte Kern des weiß- schwarzen Fanlagers
Balotelli nach dessen Tor für Inter mit beleidigenden Gesängen derart
provoziert, dass er sich erst die Gelbe Karte abholte und von Coach
Mourinho aus Angst vor einem Platzverweis ausgewechselt werden musste.
Inter-Besitzer Massimo Moratti verkündete danach: "Ich hätte die Mannschaft
zurückgezogen, wenn ich im Stadion gewesen wäre."
Am Samstag wird er Gelegenheit zu diesem Schritt bekommen. Inter tritt
wieder bei Juventus an. In den letzten Wochen hatten die Juve-Fans selbst
bei Spielen, an denen Inter nicht beteiligt war, Stimmung gegen Balotelli
gemacht. Im Heimspiel gegen Udinese wünschten sie ihm den Tod. Beim
Auswärtsspiel in der Champions League in Bordeaux wandelten sie die
rassistischen Beschimpfungen erst in die allgemein üblichen
Inter-Verunglimpfungen um, nachdem Torhüter Gianluigi Buffon, der einen
Punktabzug am grünen Tisch fürchtete, auf die Fans eingewirkt hatte.
Wohlgemerkt: Es spielte Bordeaux gegen Juventus.
Angesichts dieses Klimas wurde im Vorfeld eine Austragung des
Schlagerspiels auf neutralem Platz erwogen. Inter-Coach Mourinho wandte
sich dagegen. Er möchte vermeiden, dass die Spielverlegung den Ausschlag
über die Meisterschaft gibt. "Wir wollen sie im Olympiastadion besiegen",
sagte er. Wahrscheinlich wird er bei diesem Unterfangen auf Balotelli
verzichten. Nicht um ihn vor rassistischen Angriffen zu schützen.
Mourinho hatte ihm kühl geraten: "Daran muss er sich gewöhnen. Er muss
lernen, sich zu beherrschen." Der Trainer steckt vielmehr in einer
Dauerfehde mit seinem Jungstar und setzte ihn zuletzt wegen angeblich
mangelnden Trainingseifers auf die Tribüne. Als souverän erweist sich der
Mann, der sich selbst für den besten Psychologen im Fall Balotelli hält,
damit nicht.
Mourinho ist nicht gewillt, bei einem rassistischen Sprechchor gegen den
anwesenden oder abwesenden Balotelli die Mannschaft aus Protest vom Platz
zu nehmen. "Dann verlieren wir die drei Punkte. Das mache ich nicht",
erklärte er. Die Verantwortung wird an die Schiedsrichter abgeschoben. Sie
sollen beim ersten Vorfall das Spiel für zehn Minuten unterbrechen und im
Wiederholungsfalle ganz abbrechen. Das empfahl pikanterweise auch
Ex-Juve-Coach Claudio Ranieri, der während seiner Amtszeit in Turin sehr
zurückhaltend beim Thema Sanktionen gewesen war. Ein Punktabzug, wie es die
Antirassismus-Regel der Fifa vorsieht, wird in Italien übrigens nicht
diskutiert. Da geht es nur um Strafen, die die Klubs aus der Portokasse
begleichen können.
Die Diskussion wird auf dem Rücken eines jungen Mannes ausgetragen, der
über Merkmale verfügt, die bei anderen sehr wohl geschätzt werden. Er hat
den Kampfesmut des Rasenterriers Gennaro Gattuso und die Kaltblütigkeit
eines Filippo Inzaghi. Seine Lust zum Dribbling erinnert an Antonio
Cassano.
Balotelli, der den lombardischen Dialekt beherrscht und wie ein
Lega-Nord-Mann sprechen kann, hat lediglich das Pech, dass er nicht weiß
ist. Bleibt zu hoffen, dass die politische Debatte, die die Fraktion von
Italia dei Valori jetzt ins Parlament trägt, nicht zu einem weiteren
Entschuldigungsdiskurs für sich als Benimm-Onkel gerierende Rassisten wird.
3 Dec 2009
## AUTOREN
Tom Mustroph
## TAGS
Kolumne La Strada
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