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# taz.de -- Wenige Frauen schaffen es bis zur Professur: Königinnen ohne Land
> Deutschland hat im europäischen Vergleich einen besonders niedrigen
> Frauenanteil in der Professorenschaft. Die, die es schaffen, verzichten
> meist auf Kinder.
Bild: Überqualifiziert, beim Aufstieg stecken geblieben: Königinnen ohne Land.
"Das Frausein alleine stört nicht", sagt Bettina Hartmann* resigniert, "was
stört, sind die Kinder." Sie hat zwei. Und acht Abschlüsse und
Zusatzqualifikationen. 16 Jahre hat sich die 45-jährige
Sprachwissenschaftlerin aus Berlin mit befristeten Verträgen an ihrer Uni
durchgehangelt.
In dieser Zeit ihre Kinder zu bekommen – die Erziehungszeit wurde jeweils
angehängt, so dass aus insgesamt zwölf Jahren, die in Deutschland maximal
für die wissenschaftliche Qualifikation vorgesehen sind, bei ihr sechzehn
wurden. Die Habilitation ist in dieser Zeit nicht verpflichtend. Aber ohne
sieht es jetzt schlecht aus für Bettina Hartmann. "Ich war nicht bereit,
für eine Habil das Familienleben zu opfern", sagt die mittlerweile
alleinerziehende Mutter.
Diese Vergeudung von Talenten: Da gibt es so viele kluge und gebildete
Frauen an deutschen Universitäten, die Gefahr laufen zu verkümmern,
abzuspringen und die der Wissenschaft verloren gehen. Der akademische Weg
in Deutschland ist lang: Das statistische Durchschnittsalter bei einer
Erstberufung auf eine Professur beträgt 41 Jahre.
Was passiert in den 20 Jahren zwischen Studienbeginn und Berufung, dass so
viele Frauen nicht dabei bleiben? Schließlich beginnen gleich viele junge
Frauen wie Männer ein Studium. Und beide Geschlechter schaffen zu etwa
gleichen Anteilen den Studienabschluss.
Doch schon bei der Promotion geht der Frauenanteil auf etwa 40 Prozent
zurück, und bei der Habilitation beträgt er nur noch 25 Prozent. Auf eine
feste Professur schafft es von diesen Akademikerinnen nur ein kleiner Teil.
Trotz Frauenförderprogrammen, Genderwissenschaften: Das akademische System
und Milieu erweist sich als verdammt zäh.
Es ist darauf ausgerichtet, Wissenschaftler zu produzieren, die an die
Spitze gelangen wollen, gelangen müssen. Die Aufenthaltsdauer im
akademischen Mittelbau - ein prächtiges Wort, in dem das ständische Element
der akademischen Ordnung noch anklingt - ist befristet. Wer wie Bettina
Hartmann keine Habilitation vorlegt, sollte "habiladäquate Leistungen",
also Veröffentlichungen, vorweisen können, um sich auf eine Professur und
damit eine feste Stelle an einer Uni bewerben zu können.
Hartmanns Publikationsliste ist nicht lang genug, sagt sie bedauernd. "Ich
wäre gerne auf meiner Ebene der wissenschaftlichen Mitarbeiterin geblieben.
Aber ich darf an keiner deutschen Uni mehr auf einer befristeten Stelle in
dieser Position arbeiten." Das sieht das Hochschulgesetz so vor. Hartmanns
Hochschulkarriere steckt damit, nach 16 Jahren Beruferfahrung, in einer
Sackgasse.
"Der akademische Mittelbau ist viel zu sehr Durchlaufsystem", sagt auch
Christine von Oertzen, Historikerin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am
Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte. Von Oertzens
Forschungsthema sind Netzwerke: Frauennetzwerke wie der Akademikerinnenbund
Anfang des 20. Jahrunderts.
Bald 100 Jahre später ist das Thema immer noch aktuell. "Dass man schon
graue Haare hat, bevor man überhaupt ernst genommen wird", findet von
Oertzen absurd. Ihre Habilitation hat sie eingereicht. Aber: "Nach der
Promotion nochmal einen Riesenanlauf zu einem völlig neuen Thema nehmen zu
müssen, tut Frauen keinen Gefallen."
Maximal zwölf Jahre sind nach Studienabschluss für die wissenschaftliche
Qualifikation vorgesehen. Zwölf Jahre, die schlechte Bezahlung, eine
unsichere Perspektive, hohen Leistungsdruck mit sich bringen. "Die
Arbeitsbelastung ist enorm gestiegen", sagt Mechhtild Koreuber, zentrale
Frauenbeauftragte an der FU Berlin. Im Gegensatz zu früher muss man heute
"möglichst früh möglichst viel publizieren, Drittmittel akquirieren und
internationale Erfahrungen haben". Viele Frauen fürchten diesen Druck.
"Junge Wissenschaftlerinnen fühlen sich von ihrer Umgebung oft weniger
motiviert, bekommen weniger persönliche Förderung und sind weniger gut
vernetzt", fasst Dorothea Jansen ihre Erfahrung zusammen. Jansen leitet das
Berliner Mentoring-Programm "[1][ProFil]" (Professionalisierung von Frauen
in Forschung und Lehre), das bereits 225 Wissenschaftlerinnen beraten, auf
Führungspositionen vorbereitet und vernetzt hat. "Wir sind sehr effizient",
sagt sie.
Die 41-jährige Psychologin Inken Lind gehört zu einem
sozialwissenschaftlichen Forschungsteam am Bonner Kompetenzzentrum
[2][CEWS/ GESIS] (Center of Excellence Women and Science), das sich
speziell mit Frauen und Wissenschaft beschäftigt. Sie sagt: "Es sind
kleinere Nachteile, aber sie akkumulieren sich – sie akkumulieren sich in
Kombination mit der Erwartung, dass Frauen eher ausfallen." Oder nicht so
mobil sind. Oder nicht flexibel genug.
Viele Akademikerinnen schieben wegen dieses Erwartungsdrucks ihren
Kinderwunsch auf. Das gilt zunehmend auch für männliche
Nachwuchswissenschaftler – doch die können anders als ihre Kolleginnen die
Phase der Familiengründung "nach hinten schieben", sagt Lind. Laut einer
Umfrage von 2007 bleiben etwa zwei Drittel der Professorinnen kinderlos.
Lind warnt davor, das Thema Kind und Karriere bei Akademikerinnen auf die
übliche "Vereinbarkeitsproblematik" zu reduzieren. Trotzdem glaubt sie: "Es
hat sich schon was getan. Einige Beispiele strahlen."
Caren Tischendorf zum Beispiel. Mathematikprofessorin in Köln, 40 Jahre
alt. Sie war die erste Professorin in ihrem Fachbereich. Nur knapp 37
Prozent der Studienanfängerinnen entschieden sich 2007 für ein
naturwissenschaftliches oder ein Mathematik-Studium. Um so erstaunlicher
ist, dass es – sind die Einstiegshürden erst einmal genommen – dann besser
und schneller mit der Karriere vorangeht.
Tischendorf hat einige Argumente parat, warum: "Es ist in den
Naturwissenschaften leichter, sein eigenes Forschungsfeld zu etablieren.
Experimentieren heißt viel publizieren, es bedeutet Teamarbeit und mehr
internationale Vernetzung. Schon als Doktorandin ist man viel mehr in
Drittmittelprojekten tätig." Und damit weniger vom Doktorvater abhängig.
Auch Inken Lind vom CEWS hält es für ein "tief liegendes Missverständnis,
dass es Frauen in Fächern, in denen es viele Frauen gibt, einfacher haben.
Das Gegenteil ist der Fall." Die Konkurrenz ist größer, zugleich verschafft
der Umstand, in der Minderheit zu sein, den Männern offenbar keinen
Nachteil. In typischen Frauenfächern wie den Sprach- und
Kulturwissenschaften, in denen der weibliche Anteil der Studienanfänger
über 60 Prozent liegt, bricht der Frauenanteil ab der Promotion um bis zu
45 Prozent überproportional ein.
Daniela Lavanger* hat Kulturwissenschaften studiert. Ihre Zeit als
Juniorporfessorin ist fast um. "Ich bin eine Königin ohne Land", sagt die
41-Jährige nüchtern. "Das System Juniorprofessur funktioniert nicht." 2002
eingeführt, um dem wissenschaftlichen Nachwuchs früher und ohne
Habilitation zu einer Professur zu verhelfen, hat sich das Modell nicht
bewährt.
Nur 8 Prozent der Juniorprofessuren wurden mit der Option auf Umwandlung in
eine feste Stelle ausgeschrieben, dafür aber mehr und mehr unbefristete
Mitarbeiterstellen abgeschafft. Und die Habilitation stellt immer noch die
Regel dar. "Die Unis kassieren Geld dafür, kümmern sich aber nicht, was aus
einem wird", sagt Lavanger.
Iris Därmann musste fünf Jahre nach der Habilitation auf eine Berufung
warten. "Wenn man dann keine Mitarbeiterstelle hat und alle
Fördermöglichkeiten ausgeschöpft sind, wird es bedrohlich", erinnert sie
sich. Heute forscht die interdisziplinär arbeitende Philosophin am Berliner
Exzellenzcluster "Topoi" mit Schwerpunkt Altertum. Ihre Mitarbeiterin Anna
Echterhölter findet die Juniorprofessur dennoch nicht ganz unattraktiv, da
sie "mehr in Reichweite" erscheint.
"Man muss sich als Professorin selbst erfinden", sagt Därmann. Sich selbst
erfinden, das heißt: ein Forschungsfeld finden und besetzt halten – gerade
in den Geisteswissenschaften, wo es mehr und mehr als Privileg gilt, vom
Unterrichten befreit zu sein. "Man kommt immer wieder an den Punkt, dass es
doch Habitusfragen sind", sagt Därmanns Mitarbeiterin Echterhölter. Und da
kommt selbst toughen Akademikerinnen das dazwischen, was Därmann die
"Selbstverkleinerungsmechanismen" der Frau nennt: viele
Wissenschaftlerinnen treten weniger offensiv auf, nehmen sich oder ihr
Forschungsvorhaben weniger ernst. Das allerdings ist kein unispezifisches
Problem.
Unispezifisch jedoch ist, dass der Abbau des Mittelbaus durch die
schleichende Abschaffung unbefristeter Stellen das universitäre System für
Frauen noch undurchlässiger macht. "Der Mittelbau hat keine Lobby", sagt
Mechthild Koreuber, von der FU Berlin. "Und ist komplett überlastet."
Koreubers Universität liegt beim Ranking unter Gleichstellungsaspekten ganz
vorn. "Wir sind früh den Weg gegangen, nicht nur auf individuelle
Förderung, sondern auch auf strukturelle Effekte zu setzen", berichtet die
Frauenbeauftragte. "Die Kombination hat's gebracht."
Iris Därmann ist kinderlos, Caren Tischendorf auch, Daniela Lavanger hat
zwei und ist die Hauptverdienerin der Familie. Wie auch Bettina Hartmann.
Wie ließe sich das Unisystem frauen- und familienfreundlicher gestalten?
Inken Lind glaubt: "Durch eine Ausweitung der Altersgrenzen bei der Vergabe
von Stipendien und Professuren." Christine von Oertzen fordert: "Die
Habilitation abschaffen!" Iris Därmann möchte: "Die Quotierung
ausprobieren!" Caren Tischendorf erwartet: "Ein Umfeld, in dem
Kinderversorgung selbstverständlich ist." Daniela Lavanger hofft auf: "Mehr
Flexibilisierung im Mittelbau". Und Bettina Hartmann? Sie wünscht sich,
außerhalb der Uni einen Quereinstieg machen zu können. Bei einem Verlag, in
einer Schule. Doch dafür ist sie nach 16 Jahren Uni maßlos
überqualifiziert. Eine Königin ohne Land.
5 Dec 2009
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[2] http://www.cews.org/cews/index.php
## AUTOREN
Sabine Seifert
## TAGS
Kinderbetreuung
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Um alleinerziehende oder pflegende Studentinnen zu entlasten, hat der
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