# taz.de -- Bundeswehr-Lehrmaterial von der Wehrmacht: Von Stalingrad nach Afgh… | |
> Soldaten der Bundeswehr werden mit Lehrmaterial der Wehrmacht im Krieg | |
> für ihre Einsätze ausgebildet. Der Historiker Detlef Bald hat diese | |
> Praxis kritisch analysiert. | |
Bild: Fackelzug in Berlin, 3.12.2009. | |
Ob es ein Krieg ist, den die Bundeswehr in Afghanistan führt, darüber | |
streiten derzeit Politiker. Innerhalb des Militärs wird nicht gestritten, | |
jedenfalls nicht öffentlich. Richtlinien für die Ausbildung von Rekruten | |
liefern jedoch deutliche Hinweise auf das Selbstverständnis der Armee. | |
Die Befähigung "zum feldverwendungsfähigen Soldaten" ist ein Lernziel der | |
Grundausbildung, nachzulesen in entsprechenden Anweisungen des Heeresamtes | |
aus dem Jahr 2006. Trainiert wird "der einsatzbezogene Gefechtsdienst" der | |
"kleinen Kampfgemeinschaft". | |
Der Historiker Detlef Bald hat im neuen Heft des Instituts für | |
Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg zum | |
Thema "Bundeswehr im Krieg - wie kann die Innere Führung überleben?", das | |
heute veröffentlicht wird, die Ausbildungsrichtlinien und -materialien der | |
Bundeswehr kritisch analysiert, und er kommt dabei zu ebenso überraschenden | |
wie bestürzenden Ergebnissen. | |
Die beiden Bücher "Einsatznah ausbilden" sowie "Üben und schießen", die in | |
der Grundausbildung seit vielen Jahren benutzt werden, dienen Ausbildern | |
als Nachschlagewerke, die ihnen helfen sollen, "an den Erfordernissen des | |
Krieges ausgerichtete Ausbildung" zu gewährleisten. | |
Darin findet sich die Empfehlung: Die "Vorstellung von Kriegswirklichkeit" | |
soll unter anderem durch beispielhafte Erfahrungsberichte des deutschen | |
Heeres im Zweiten Weltkrieg herangezogen werden, die als "zeitlos" gültige | |
Lehren betrachtet werden. | |
Zeitlos? Das ist in mehrfacher Hinsicht seltsam. Zum einen überrascht das | |
Unterrichtsmaterial im Hinblick auf das, was alle deutschen | |
Verteidigungsminister seit Volker Rühe in den 90er-Jahren – unabhängig von | |
ihrer Parteizugehörigkeit – als militärische Anforderungen der Gegenwart | |
bezeichnet haben: den Umbau von einer personal-und materialintensiven | |
Verteidigungsstreitkraft zu einer hoch spezialisierten Interventionsarmee. | |
Da Deutschland "von Freunden umgeben" sei, sei es nicht mehr notwendig, die | |
Reserven für Panzerschlachten auf eigenem Territorium vorzuhalten. So die | |
Minister. Die Rekruten jedoch werden mit Hilfe von Szenarien wie dem | |
Winterkampf in der Sowjetunion oder der Operation der Alliierten in der | |
Normandie ausgebildet: "Zuerst decken 1.700 Bomber den nur 2 km breiten | |
Durchbruchsraum mit ,Bombenteppichen' ein, dann schießen 550 Geschütze eine | |
Feuerwalze, hinter der 877 Panzer hervorbrechen." | |
Die Dramatik ist Programm: Den Ausbildern wird empfohlen, die | |
Kriegswirklichkeit möglichst emotional darzustellen. In den Büchern werden | |
als Lehrhilfen auch kleine gereimte Merksätze der Wehrmacht für die | |
Panzerabwehr zitiert: "Selbst in der äußersten Erregung / bewahre kühle | |
Überlegung." Oder: "Was man von fern besorgen kann / dazu pirscht man sich | |
nicht erst an." Und: "An Nahkampfmitteln gibt es viele / nur ihre Kenntnis | |
führt zum Ziele." | |
Wirken derlei Materialien schon in strategischer Hinsicht befremdlich, so | |
ist die – unausgesprochene – politische Botschaft dahinter noch weit | |
bedenklicher: "Forderungen nach ,Pflichttreue' oder Durchhalteparolen" | |
legten unterschwellig in den Nachschlagewerken ein "Ethos des Soldatischen" | |
zugrunde, "das weder in Einklang mit den Werten der Inneren Führung zu | |
bringen ist noch den Tendenzen zu einem instrumentellen Job-Soldatentyp | |
entgegenwirkt", schreibt Detlef Bald. | |
Die meisten Dienstvorschriften und Merkblätter der Wehrmacht, die heute | |
Bundeswehr-Rekruten als Ausbildungsmaterialien vorgelegt werden, stammen | |
aus Kriegs- und nicht etwa aus Friedenszeiten. Für den "harten Straßen-und | |
Häuserkampf" liefert eine Heeresdienstvorschrift aus dem Jahr 1944 die | |
"Anleitung für den Nahkampf". Der Soldat sei so zu erziehen, dass er mit | |
Handgranate und Schusswaffe den Gegner "niederkämpft". | |
Detlef Bald: "Die ,Ausbildungshilfen' sind ein Machwerk der | |
Legendenbildung." Sie präsentierten die Wehrmacht "als geschichtliches, | |
quasi naturgegebenes Vorbild der Bundeswehr". Und weiter: "Perfide ist der | |
Duktus, Vorschriften und Richtlinien aus der Zeit des Nationalsozialismus | |
in vermeintlich unpolitischer Absicht durch Zitate in die Gegenwart der | |
Bundeswehr zu holen und amtlich zu erklären, diese Lehren seien ,zeitlos'. | |
Damit werden Wehrmacht und ihre Nazi-Ideale ethisch gesäubert und | |
enthistorisiert. Das Gütesiegel des Heeresamtes bestätigt dies." | |
8 Dec 2009 | |
## AUTOREN | |
Bettina Gaus | |
Bettina Gaus | |
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Lesestück Recherche und Reportage | |
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