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# taz.de -- Prozess: Sieg der Prozessökonomie
> Ein Zuhälter und Menschenhändler wird in einem Schnellverfahren
> verurteilt und kommt doch frei. Die Anklage ruhte sechs Jahre am
> Landgericht, ehe sie verhandelt wurde.
Bild: Andree P. war auch einer von 14 Hells Angels, über die das Landgericht V…
Am Ende verlässt Andree P. das Gericht als freier Mann. Obwohl er gerade
eben wegen Zuhälterei, schwerem Menschenhandel und Ausbeutung von
Prostituierten verurteilt wurde.
Und obwohl, nein: weil der 39-Jährige in den vergangenen Jahren mehrfach
verurteilt wurde - wegen Betruges, räuberischer Erpressung, Nötigung und
gefährlicher Körperverletzung. Zuletzt vom Landgericht Verden, als einer
von 14 Hells Angels, die 2006 in Stuhr Rocker der konkurrierenden Bandidos
überfallen und brutal verprügelt haben.
Vier Jahre, so lautete das Urteil gestern - ein Deal. Eine Haftstrafe, die
auch jene aus Verden miteinbezieht. Und von der auch noch ein Jahr
abgezogen wird: Denn die Anklage, die gestern in einem Schnellverfahren
abgehandelt wurde, lag schon seit 2003 beim Landgericht. Unbearbeitet. Weil
andere Fälle Vorrang hatten, sagt das Gericht. Und weil keine Strafkammer
sich der schwierigen Materie annehmen wollte, sagt die Staatsanwaltschaft.
Selbst Richter Christian Zorn musste eingestehen, dass so etwas
"rechtsstaatswidrig" ist. Ein Teil der Vorwürfe ist mittlerweile verjährt,
andere beruhen auf Gesetzen, die so gar nicht mehr gelten.
Die Reststrafe für P., die Zorn ausspricht - drei Jahre ohne Bewährung -
hat der mittlerweile zu zwei Dritteln abgesessen. Er kann also wegen guter
Führung vorzeitig entlassen werden. Auch wenn selbst sein Verteidiger Lars
Wunderlich nicht darauf beharren mag, dass der ehemalige Klosterschüler P.
derzeit lediglich, wie er offiziell angibt, als Getränke-Logistiker sein
Geld verdient. Auf bescheidene 1.100 Euro beziffert er sein Gehalt. Und
machte vor Gericht gestern zugleich demonstrativ deutlich, wer ihm den
Rücken stärkt. "Hells Angels World" steht dort in großen roten Lettern. Bis
ihm sein Anwalt bedeutet, doch lieber einen schlichten schwarzen Pulli
überzuziehen.
Über seine Arbeit als Zuhälter und Menschenhändler schweigt er vor Gericht,
stattdessen verliest sein Anwalt eine dürre Erklärung, in der alle Vorwürfe
pauschal als "zutreffend" beschrieben werden. Die hatte zuvor Staatsanwalt
Hans-Ulrich Kraft länglich aufgelistet. Es geht dabei um Frauen, die als
"Natascha", "Mia" oder "Carina" für Andree P. anschaffen gingen und zumeist
aus Russland oder Litauen stammen. Übers dänische Ålborg kamen sie nach
Bremen, dort wurden sie mit Deutschen verheiratet. Die Anklage spricht von
"Scheinehen", doch all das wird nicht näher erörtert. In Deutschland
jedenfalls durften die Frauen gleichwohl nicht legal arbeiten, damals
zumindest, vor der EU-Erweiterung. Und mussten doch bis zu 100 Euro pro Tag
abdrücken, dazu Geld für Anzeigen in der örtlichen Boulevardpresse. Auch
Kosten für Heirat und Einreisevermittlung galt es "abzuarbeiten", mal
wurden 1.000 Mark, mal 12.000 Euro dafür in Rechnung gestellt. Dazu mussten
sie sich zehn Stunden am Tag Freiern anbieten, durften das Haus nicht
verlassen, ihren Pass nicht behalten.
Drei von ihnen waren bereit, als Zeuginnen auszusagen, eine von ihnen war
Nebenklägerin, ohne selbst vor Gericht zu erscheinen. Sie sei froh, sagt
ihre Anwältin Sonja Briesenick, nicht noch mal aussagen zu müssen, nachdem
sie bereits "stundenlang" vor Polizei und Staatsanwaltschaft vernommen
wurde.
Und "der Gesamtsituation", sagt Briesenick, könne dieses Verfahren ohnedies
"nicht gerecht" werden. Und das Urteil, sagt sie, könne man den Opfern auch
"kaum erklären". Wunderlich nennt das Ergebnis "unbefriedigend", selbst
Zorn wirkt nicht überzeugt, als er schließlich von "später Gerechtigkeit"
redet. Es siegt die Prozessökonomie, ein weiterer Altfall gilt als
erledigt. "Es verändert sich nichts Wesentliches", sagt Zorn schließlich.
"Aber das Verfahren ist abgeschlossen."
8 Dec 2009
## AUTOREN
Jan Zier
## TAGS
Bremen
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