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# taz.de -- Kampfsportler Stockmann: Die Empathie nach dem Fight
> Free-Fight-Veteran Andreas Stockmann über Schläge und Tritte im
> Kampfsport, Pazifismus in der DDR-Armee und seine Malerei.
Bild: Andreas Stockmann: "Was das Schlagen am Boden angeht: Das gehört immanen…
taz: Herr Stockmann, Kämpfen als Sport - was fasziniert Sie so daran? Ist
das nicht Männergetue, wer hat den Längsten?
Andreas Stockmann: Ein Schwanzvergleich ist das nicht gerade.
Kampfsportmeister sehen sich oft als die ewig Lernenden. Und irgendwann
fragst du dich, ob das, was du machst, auch gegen andere Stile
funktioniert. So bin ich zum Free Fight gekommen, was wir heute MMA nennen,
also Mixed Martial Arts, kombinierte Kampfkünste.
Sie sind Chef der deutschen Free Fight Association - eine Sportart, die
immer mehr Politiker verbieten wollen. Woran liegt das?
Das fing dieses Jahr an, mit der Veranstaltung der US-amerikanischen UFC in
Köln im Juni. Es war Wahljahr, und die Masse hat dann das Märchen vom
regellosen Kampf geschluckt, der erst vorbei ist, wenn einer nicht mehr
aufsteht. Wer ein bisschen recherchiert, findet umfangreiche Regelwerke der
unterschiedlichen internationalen Verbände.
Vor ein paar Wochen hat der Landtag in Mecklenburg-Vorpommern einen Antrag
verabschiedet, der auf das Verbot von MMA-Veranstaltungen zielt. Was geht
da in Ihnen vor?
Wenn ich nicht wüsste, dass die Leute das ernst meinen, müsste ich lachen.
Wenn man in der Parlamentsdebatte nicht einmal die Bezeichnung richtig
aussprechen kann und von mehreren Todesfällen spricht, dann ist das
entweder Unwissenheit oder Lüge.
Warum sollten die Politiker lügen?
Wir sind in ihren Augen eine ganz kleine Gruppe, haben aber ein
interessantes Produkt. Man kann sich wahrnehmbar profilieren, wenn man uns
verbietet.
Am stärksten wird immer kritisiert, dass bei MMA Schläge und Tritte auf
Kämpfer am Boden erlaubt sind. Warum ändern Sie das nicht einfach?
Das Regelwerk entwickelt sich ja. Manches, was früher erlaubt war, etwa
Knie zum Kopf auf einen liegenden Kämpfer, ist inzwischen verboten. Was das
Schlagen am Boden angeht: Das gehört nun immanent dazu, und man schlägt ja
keinen Wehrlosen. Das sind zwei Athleten, die darauf vorbereitet sind, und
es gibt viele Stile, die den Kampf aus der Guard bevorzugen, wenn man also
auf dem Rücken liegt und den Gegner zwischen seinen Beinen hat. Das ist
eine strategische Situation, die ich durchaus zum Vorteil nutzen kann, etwa
mit Hebel- oder Würgetechniken.
Aber die Vermarktung von MMA ist oft sehr martialisch und zieht womöglich
Leute an, die tatsächlich nur Blut und Gewalt sehen wollen.
Warum werfen Sie uns das vor und nicht dem Boxen? Arthur Abraham kämpft
sieben Runden mit gebrochenem Unterkiefer und wird als Volksheld gefeiert.
Oder Vitali Klitschko, der mit einem Cut weiterkämpft, also einer
Platzwunde, wo mein Finger reinpasst … Nicht, dass wir nicht mit einem Cut
auch weiterkämpfen würden, aber in so einer Größenordnung, da wäre bei uns
schon lange Schluss. Im Übrigen müssen ja nicht alle MMA mögen - aber sie
sollen es doch bitte als das respektieren, was es ist: ein Sport, Punkt.
Die Verbotsbefürworter sagen, auf diesen Veranstaltungen würde brutale
Gewalt zelebriert und das führe zu einer Verrohung der Gesellschaft.
Wir als Sportler sind doch nicht dafür verantwortlich, wenn die
Gesellschaft verroht. Ich denke, wer uns das vorwirft, hat noch nie so eine
Veranstaltung gesehen, das respektvolle Miteinander der Athleten vor oder
nach dem Kampf. Wer mal hinter die Kulissen schaut, etwa bei der
Regelbesprechung Stunden vorher, sieht, dass sich die Kämpfer teilweise im
selben Raum warmmachen, dass sie nette und umgängliche Menschen sind, unter
denen eine gute Atmosphäre herrscht.
Wer in einen Kampf geht, weiß, dass er verletzt werden kann, dass er
womöglich zwei Wochen mit einem blau geschlagenen Gesicht durch die Gegend
läuft. Man hat Angst und kämpft trotzdem. Warum tut man sich das an?
Das Wort Angst würde ich so nicht stehen lassen. Man hat Respekt, man ist
aufgeregt, man hat Adrenalin, klar. Aber ob ich mit einer Platzwunde
weitermache, ob ich mir das Gesicht blau schlagen lasse - das hab doch ich
in der Hand. Ich kann jederzeit abklopfen. Die Kämpfer, die ich kenne,
wollen sich nicht gerade als Urmenschen präsentieren. Wir überprüfen unsere
Leistung im Wettstreit, es entwickeln sich neue Strategien.
Wenn einem Kämpfer das Blut über das Gesicht läuft, muss es das Ziel seines
Gegners sein, da immer weiter draufzuhauen. Aber als Mensch müsste er doch
sagen: Komm, wir lassens jetzt gut sein. Was lässt einen diese Schwelle
überschreiten?
Ich bin ein bisschen traurig, wenn Sie mir Unmenschlichkeit unterstellen,
weil ich den Gegner haue. Nein, das gehört zu unserem Sport, den wir beide
ausüben und mit dem wir beide einverstanden sind. Das Ziel ist nicht, den
Gegner zu verletzen, sondern den Kampf zu den eigenen Gunsten zu beenden,
und dafür gibt es verschiedene Möglichkeiten, entweder klassische, wie beim
Boxen, oder technische. Sobald der Kampf zu Ende ist, ist die Empathie da.
Empathie. Sie haben also auch eine weiche Seite?
Nach der Schule war ich, was man in der BRD einen Hippie genannt hätte.
Sie sind in der DDR großgeworden …
… in Dessau geboren, in Hoyerswerda aufgewachsen. Ich hatte damals lange
Haare, Blockflöte, Schlaghose, dann per Anhalter durch die Welt und alle
Langhaarigen sind meine Freunde.
Richtig Love & Peace?
Ich war sehr pazifistisch und hatte viele Träume und Vorbilder. Ich wollte
dann unbedingt was für den Frieden tun und bin zur Armee gegangen, hab mich
freiwillig gemeldet und …
Moment! Ein langhaariger Pazifist geht freiwillig zur Armee?
Ich hab halt gesagt, so, ich quatsch jetzt nicht nur, ich mach was gegen
den Kapitalismus oder den Imperialismus. Vollkommen blauäugig. Ich bin in
Plauen zu einem Bahnhofsfriseur gegangen und hab gesagt, er soll mir die
Haare abrasieren. Meine damalige Freundin wollte mich gar nicht reinlassen,
weil sie mich erst nicht mehr erkannt hat.
Wie war es für Sie als Soldat?
Weil ich schon seit meiner Kindheit leistungsorientiert Kampfsport gemacht
hatte und außerdem drei Sätze fehlerfrei sprechen konnte, war ich für die
Armee sehr interessant. Außerdem war ich überzeugt - heute würde ich sagen:
Ich war fanatisch links außen. Aber ich war natürlich Hundefutter für die.
Ich hatte das Gehirn eines 16-Jährigen, der nicht darüber nachgedacht hat,
was eine Armee eigentlich will, dass sie nicht dafür da ist, den Frieden zu
bringen, sondern Menschen zu töten. Ich war dann in diversen
Spezialeinheiten und fand es klasse, den Weltfrieden mit militärischen
Mitteln durchzusetzen.
Was waren das für Spezialeinheiten?
Ach, das Thema ist abgeschlossen. Ich hab damals gesagt, ich rede nicht
drüber, und ich red auch nicht drüber, fertig.
Warum sind Sie denn ausgestiegen?
Solange ich den bösen Imperialisten zu bekämpfen glaubte, war alles in
Ordnung. Hätte ich mein ganzes Leben lang in der Bundesrepublik
Abschussraketen beschnüffeln oder amerikanische Soldaten beobachten oder in
Angola gegen Südafrika helfen können - dann wäre ich immer dabeigeblieben.
Erst als ich in Einheiten im Innern des Landes eingeschleust wurde, hat
sich meine Sicht ganz schnell geändert. Unmenschliche Offiziere, gepaart
mit Dummheit, sind gefährlich für alle Menschen. Das hat dann dazu geführt,
dass ich mich entpflichtet habe, und um der Sache Nachdruck zu verleihen,
hab ich auch gleich einen Ausreiseantrag gestellt.
Und was geschah?
Repressalien, Bespitzelung … Wenn man einen gewissen Erfahrungsschatz hat,
merkt man schon, ob einem jemand hinterherfährt. Oder wenn ich in einem
Café sitze und gegenüber gehen Vorhänge auf, dann weicht jemand zurück, ich
sehe nur noch Umrisse, aber die haben einen Fotoapparat. Die Stasi macht ja
auch Fehler. Ich hatte dann 1988 meinen ersten Fluchtversuch. Der ging
schief, ich bin wieder zurück, hab dann gesagt, ich war besoffen und hab
Party gemacht, und das wurde mir als Fehltage angerechnet und gut wars.
So was ging?
Wenn du mit niemandem redest und allein losgehst, ja. Anfang 1989 hab ich
es wieder versucht, diesmal mit Erfolg.
Wie sind Sie geflüchtet?
Ich war mal in der Tschechei zur Kur gewesen und hatte im Adlergebirge
gehört, dass drei oder vier Förster aus der Bundesrepublik plötzlich in der
Tschechei aufgetaucht waren. Die waren wohl auf einem Jagdausflug, haben
sich zugesoffen und sind in der Tschechei gelandet. Das hab ich
abgespeichert: Wenn vier Leute aus der Bundesrepublik sturzbesoffen in der
Tschechei aufwachen können - dann muss doch ein einzelner Mann durchlaufen
können.
Und, konnten Sie?
Beim ersten Mal hatte ich Pech. Ich hatte meinen Weg zwar genau geplant,
aber irgendwie hatte ich mit dem Einfachsten nicht gerechnet: Ich traf auf
Hunde. Ich weiß nicht, ob die zur Grenzsicherung gehörten oder nicht.
Jedenfalls wurde ich gebissen und konnte nicht weiter, kam aber unerkannt
wieder weg.
Und beim zweiten Mal?
Da hab ich mich anders bewegt und bin durchgelaufen. Erst auf der Westseite
- was ich damals aber zunächst nicht wusste - traf ich plötzlich auf
jemanden in einer Uniform, die ich nicht kannte. Ich hatte keine Waffe
mitgenommen, nur ein paar Bilder, die mir was bedeuteten. Ich war mir nicht
sicher, ob ich nicht gerade einem verdeckten DDR-Greifkommando in die Arme
lief, hob einen Stein auf und dachte: Wenn der meine Fragen nicht positiv
beantwortet, dann hau ich ihm den Stein über den Kopf. Er hat mir dann
einen Ausweis gezeigt, und obwohl ich den nicht kannte, hab ich den Stein
weggeschmissen und gut wars. Ich hab dann erst später erfahren, dass der
Mann vom Technischen Hilfswerk war. Gottlob hab ich ihm nichts getan.
Dann waren Sie im Westen, mit einer NVA-Vergangenheit. Wie konnten Sie denn
an Ihr voriges Leben anknüpfen?
Ich hab einerseits Arbeit gesucht, was recht schwierig war, und
gleichzeitig bin ich in einen Sportverein gegangen, weil es beim Sport
relativ einfach ist, Sozialkontakte zu bekommen. Was mich störte: Die Leute
durften zwar alles trainieren, auch die Sportarten, die in der DDR als
"nicht erwünscht" galten, aber sie hatten eine Trainingsdisziplin, die mich
erschütterte! Man diskutierte mit dem Trainer! Ich merkte, dass es in der
Bundesrepublik genau andersherum war als in der DDR. Dort war kämpfen
normal, und hier wollte die Masse nicht kämpfen und machte den Sport nur
so. Das wirkt sich natürlich aufs Training aus. Meine große Suche war,
jemanden zu finden, der das richtig macht.
Und? Haben Sie jemanden gefunden?
Ja, bei den Vollkontakt-Kampfsportarten. Beim Thaiboxen, beim
Kyokushinkai-Karate - das entsprach meiner Vorstellung vom Trainieren und
Kämpfen. Das ist so eine kleine Sparte, und die das hier in Deutschland
machen, sind sehr traditionell. Respekt, Achtung, Ehre, ein sehr hoher
spiritueller Anteil - das ist genau das, was ich wollte.
Sie sind nicht nur Kämpfer, sondern arbeiten auch als Künstler - führen Sie
ein Doppelleben?
Es gibt doch keinen Menschen, der nur eins ist. Ich lebe beide Seiten
gleichzeitig aus.
Sind Kunst und Kampfsport für Sie getrennte Welten?
Früher war das so. Erst meine inzwischen verstorbene Managerin in
Österreich hat mir gesagt: Andreas, das ist die Geschichte, du
unterscheidest dich dadurch von anderen Künstlern, man muss das
miterzählen.
Wann haben Sie begonnen, sich für Malerei zu interessieren?
Schon als Kind. Im Zeichenunterricht hat man gemerkt, dass ich Talent dafür
hatte, und wenn man Pech hatte, wurde das in der DDR sehr schnell in Bahnen
gelenkt. Ich hab mich da einbinden lassen. Ein Schlüsselerlebnis war in
einem dieser Ferienlager, wo man von Profs unterrichtet wurde, wenn man zu
den Talenten zählte. Als Abschlussarbeit habe ich eine Zeichnung von einem
Gefängnisinnenhof in Lateinamerika gemacht, wo Revolutionäre erschossen
werden. Das Problem: Die Damen und Herren regten sich darüber auf, dass ich
die Täter groß dargestellt habe und nicht die Revolutionäre. Ich war
vollkommen beleidigt und habe aufgehört, in offiziellem Rahmen zu malen.
Ich bin dann zur Jazz-Szene gekommen, die war etwas, was man heute als
Off-Szene bezeichnen würde. Ich fing an, dort auszustellen.
Wer seine Bilder ausstellt, hat etwas mitzuteilen. Was ist das in Ihrem
Fall?
Ich hab zeitig angefangen, meine Bilder nicht mehr zu dokumentieren und
ihnen auch keine Titel zu geben. Die Bilder enthalten meist Zahlen oder
Kürzel, die für mich eine Bedeutung haben, aber dem Betrachter keinen
Hinweis geben. Ich habe drei Grundthemen, die immer da sind: Zeit, Traum
und das was ich "der Zweite" nenne, also der Unterlegene, der Geschundene,
der Getötete. Mich hat nie der Pharao interessiert, sondern wer die
Pyramide gebaut hat. Das ist natürlich politisch, auch wenn ich mich nie
als politischen Künstler verstanden habe.
Sind Sie mit Ihrer Kunst angeeckt?
Die DDR-Offiziellen sind immer davon ausgegangen: Der Typ ist beim Militär,
da kann es ja im Grunde gar keine oppositionellen Gedanken geben. Die
dachten: Ist halt ein Spinner. Ich habe früh gemerkt, dass ich ein Bild mit
einer Aussage malen und dann was ganz anderes behaupten kann.
Haben Sie ein Beispiel?
Ein Polizeistiefel im Gesicht eines Menschen, der am Boden liegt. Das hatte
ich nach einer kleinen Mini-Revolte von Jugendlichen in Hoyerswerda gemalt.
Offiziell habe ich dann erzählt, es ginge um Vietnam.
Aber ist es nicht ziemlich furchtbar, falsch verstanden zu werden?
Es macht nichts, wenn du in dem Bild etwas anderes siehst als das, was ich
dir sagen wollte - denn ich will dir ja auch gar nichts sagen.
12 Dec 2009
## AUTOREN
Bernd Pickert
Anja Weber
## TAGS
Kampfsport
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