# taz.de -- Eiskunstlauf-Meisterschaft: Flüchtige Küsse | |
> Bei den deutschen Meisterschaften ist die Stimmung wie selten. Die | |
> Zuschauer geraten beim Sieg von Stefan Lindemann aus dem Häuschen. Doch | |
> es gibt auch Schattenseiten. | |
Bild: Die neue deutsche Meisterin im Eiskunstlaufen: Sarah Hecken. | |
MANNHEIM taz | Der 29-jährige Wahl-Berliner Stefan Lindemann erkämpfte sich | |
bei den Deutschen Meisterschaften im Eiskunstlauf den Titel und löste damit | |
das Olympiaticket. Lindemann blieb zwar in seiner Kür nach Filmmusiken | |
nicht fehlerfrei, konnte aber mit einem gestandenen Dreifachaxel glänzen | |
und sich mit 184,87 Punkten knapp gegen seinen acht Jahre jüngeren | |
Trainingskameraden Peter Liebers (182,75) durchsetzen. | |
Beide Männer waren mit der Erwartung nach Mannheim gefahren, sich für die | |
Olympischen Spiele in Vancouver zu qualifizieren. Ein Platz war nur zu | |
vergeben. Für den ehemaligen WM-Dritten Lindemann ist es die zweite | |
Teilnahme nach dem für ihn enttäuschenden 21. Platz in Turin vor vier | |
Jahren. Liebers wäre das erste Mal zu Olympiaweihen gekommen, wäre er nicht | |
drei Mal in der Kür gestürzt. | |
Sportlich fair war Liebers der erste Gratulant für Lindemann. "Ich bin zwar | |
sehr enttäuscht über meine Niederlage, aber ich freue mich für Stefan", gab | |
er zu Protokoll. Im gemeinsamen Training hatten sich beide gegenseitig | |
angespornt, so sehr, dass Trainerin Viola Striegler sie zum Schluss | |
getrennt hatte, um keine Verletzungen zu riskieren. Lindemann gab die | |
sportliche Fairness zurück: Am Samstag erklärte er, nach den Olympischen | |
Spielen seine Laufbahn zu beenden und machte damit den einzigen deutschen | |
WM-Startplatz für Liebers frei. | |
Die künstlerisch anspruchsvollste Programme in der mit 600 Plätzen | |
ausverkauften Mannheimer Eishalle lief der 21-jährige Philipp Tischendorf. | |
Nach Flamenco-Melodien, bei denen jede Bewegung auf den Takt stimmte, | |
verzauberte er das Publikum und es kam eine Erinnerung an den Schweizer | |
Eiskünstler Stephan Lambiel auf. Leider musste sich Tischendorf mit dem | |
vierten Platz begnügen, sein Sprungrepertoire ist noch nicht meisterlich. | |
Mannheim hat erstmals seit 1992 deutsche Meisterschaften ausgetragen - und | |
sich einiges einfallen lassen. Eine gute Öffentlichkeitsarbeit sorgte für | |
reges Zuschauerinteresse. Keine Selbstverständlichkeit für eine Sportart, | |
die ihr Publikum fast verloren hat. Ein Hallensprecher erzählte kleine | |
Geschichtchen. Mit Trommelwirbel und Beifallsstürmen kam fast so etwas wie | |
Karnevalsstimmung auf. | |
Das größte Publikumsinteresse lag zweifellos beim Frauenwettbewerb. Nach | |
der kurzfristigen Absage der 26-jährigen Meisterin Annette Dytrt hat | |
bereits im Olympiajahr der Generationswechsel stattgefunden. Auf dem | |
Treppchen standen drei blutjunge Mannheimerinnen. Die international bereits | |
ausgewiesene 16-jährige Sarah Hecken wurde ihrer Favoritinnenrolle gerecht | |
und siegte mit mit riesigem Abstand vor ihren elf Mitbewerberinnen. Der | |
Teenager, der in Mannheim einen eigenen Fankreis hat, erwies sich als | |
mental stark und vermochte es, ihre Freude an ihrem Sport auf das Publikum | |
zu übertragen. | |
Die Deutsche Meisterschaft zeigt, dass eine neue Generation sehr | |
talentierter Mädchen mit beachtlichen Leistungen nachrückt, die Deutschland | |
wieder näher an die Weltspitze bringen können. Die Mädchen waren vom | |
eigenen Erfolg völlig überrascht. Die 16-jährige Shira Willner, die sich | |
mit dem zweiten Platz für die Teilnahme an der Europameisterschaft im | |
estnischen Tallin qualifiziert hatte, hatte sich noch nicht einmal | |
erkundigt, wo Tallin liegt. Und die 14-jährige Julia Pfregle auf Platz drei | |
war nach Autogrammkarten gefragt worden. Sie hatte keine. | |
Überschattet wurden die Deutschen Meisterschaften von einem Konflikt um | |
Sportdirektor Udo Dönsdorf. Ihm wird vorgeworfen, sich an Eistänzer Sascha | |
Rabe sexuell vergangen zu haben. Dönsdorf weist das zurück, räumt aber | |
einen "flüchtigen Zungenkuss" ein, was auch immer das sein soll. Rabe hatte | |
nach einem gelungenen Pflichttanz gemeinsam mit seiner Partnerin Tanja | |
Kolbe seine Teilnahme zurückgezogen: Er hatte Dönsdorf in der Eishalle | |
entdeckt und fühlte sich nicht in der Lage, weiter zu laufen. | |
Deutsche Meister im Eistanz wurden zum vierten Mal die Geschwister | |
Christina und William Beier. Die in Malina geborenen Kinder einer | |
philippinischen Mutter und eines Deutschen hatten ihre Programme von | |
Primaballerina Jutta Deutschland choreografieren lassen. In Abwesenheit der | |
Doppelweltmeister Aljona Savchenko/Robin Szolkowy siegten die Oberstdorfer | |
Maylin Hausch/Daniel Wende mit 147,16 Punkten im Paarlaufwettbewerb. | |
20 Dec 2009 | |
## AUTOREN | |
Marina Mai | |
Marina Mai | |
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