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# taz.de -- Montagsinterview Schwabenwirt Berthold Schöttle: "Als die Mauer fi…
> Berthold Schöttle ist Inhaber des Schwabenlokals Weitzmann in
> Berlin-Moabit, liebt Maultaschen und die schwäbische Mundart. Dennoch
> würde er manche seiner Landsleute am liebsten wieder heimschicken.
Bild: Berthold Schöttle
taz: Herr Schöttle, wann fahren Sie denn an Weihnachten nach Hause?
Berthold Schöttle: Gar nicht. Ich halte nicht viel von diesem
weihnachtlichen Schmus. Meine alten Freunde treffe ich ein Vierteljahr
später zur Fasnet. Außerdem habe ich Freunde, Verwandte und zwei Enkel in
Berlin.
Sie sind hier heimisch geworden?
(überlegt lange) Hach, ich glaube schon, dass ich heimisch in Berlin bin.
In der Zwischenzeit -nach 40 Jahren - habe ich mich auch mit dem
Schwabenland versöhnt. Ich geh da hin, ohne dass ich Stress habe.
Mussten Sie aus der Provinz fliehen?
Mein Vater - Dekorationsmalermeister Franz Schöttle - hat mich so ein
bisschen fortgeschickt: "Kerle, gang au naus aus dem Ort", hat er gesagt.
Ich habe mich aber auch selbst rausgejagt. Das gnadenlos Konservative in
Munderkingen ist mir auf den Keks gegangen.
Und in Berlin fanden Sie die Freiheit?
Konservativ betrachtet war die Lebensqualität in Schwaben weitaus höher als
in Berlin. Revolutionär betrachtet, war es aber genau umgekehrt: In
Westberlin gab man nichts auf gute Wohnungen, aber viel auf spannende
Begegnungen. Auch die alten Leute sind hier jung geblieben, ich habe noch
Trümmerfrauen kennengelernt, das war spannend. Und natürlich viele Spinner,
politisch Extreme. Das war alles Westberlin. Als die Mauer fiel, änderte
sich das. Seitdem kommen auch die anderen Schwaben hierher. Die hatte zuvor
die Mauer ferngehalten, weil es ihnen bei den Kommunisten zu gefährlich
war.
Jetzt kommen die, vor denen Sie damals geflohen sind?
Ja, dieser Typ Schwabe, der geizige mit Bausparvertrag und Krawättle, der
alles besser weiß. Den gibt es tatsächlich. Und dem können Sie ruhig die
Reifen aufstechen, den brauchen wir hier nicht. Das finden wohl auch die
Leute, die jetzt in Prenzlauer Berg die Schwaben wieder nach Hause schicken
wollen.
… dort hängen jedes Jahr zu Weihnachten Plakate mit der Aufschrift
"Stuttgart-Sindelfingen 610 km - Ostberlin wünscht gute Heimfahrt".
Da wird von Sindelfingen, Erlangen und Koblenz gesprochen. Offenbar sind
die Badener dabei explizit ausgenommen. Das ist doch eine badische
Verschwörung! Die wollen nicht schon wieder die Minderheit sein und die
Württemberger raushaben. Aber im Ernst: Ich finde die Plakate witzig.
Können Sie sich eigentlich unter einem "Porno-Hippie-Schwaben" etwas
vorstellen?
Nein, was soll das sein? Ein Flitzer, der nackig im Olympiastadion
rumläuft?
Es ist eine Beschreibung für gut verdienende Schwaben, die durch ihr
yuppiehaftes Auftreten Abwehrinstinkte bei der eingeborenen Bevölkerung
hervorrufen.
Eingeborene Berliner gibt es ebenso wenig wie eingeborene Kölner. Das sind
Hugenotten, Polen, Eingewanderte aus allen Ecken Europas.
Vielleicht missfällt denen das ausgeprägte Selbstbewusstsein der Schwaben,
die sogar Bier aus der Heimat mitbringen …
… und dem Berliner geht es auf den Senkel, dass er nicht allein eine große
Gosch hat. (lacht) Na ja, vielleicht sind wir eben ein bisschen mehr als
nur die zweitgrößte Minderheit nach den Türken.
Stimmt das überhaupt? 200.000 Schwaben soll es hier geben, die Zahl hält
sich hartnäckig. Obwohl sie sich kaum belegen lässt.
Ich kenne sogar ihren Ursprung: Albrecht Metzger, ein Freund und Gründer
des Kabaretts "Schwabenoffensive", sagte mal etwas von 100.000 Schwaben in
einem Theaterstück. Das hat er sich ausgedacht, vor 15 Jahren war das.
Inzwischen wurden daraus 200.000 Schwaben, aber Statistiken gibt es dazu
nicht.
Jedenfalls sind die Schwaben durch ihre Umtriebigkeit überall vertreten, in
der Hausbesetzerszene, der Politik … Warum sind Sie ausgerechnet Wirt
geworden?
Ich hatte lange ein Radio- und Fernsehgeschäft in Charlottenburg. 1980 habe
ich mein Lager hierher unter die Moabiter S-Bahnbögen verlegt, ich
verliebte mich ein bisschen in den Ort. Als mein Sohn auf die Welt kam,
wollte ich bodenständiger werden. Und da habe ich einen Imbiss aufgemacht
für meine damalige Lebenspartnerin.
War die auch Schwäbin?
Ja. Ich habe sie in Berlin kennengelernt - sie hat sich verstellt. Als
Schwabe wollte man doch auf alle Fälle ein anderes Mädel kennenlernen,
keine Schwäbin. Aber jetzt bin ich wieder mit einer zusammen. Man trifft
sich eben, auch wenn man sich nicht sucht. Die meisten sind ja aus den
gleichen Gründen hierhergekommen.
Mussten Sie nach Berlin kommen, um zu entdecken, dass Sie Schwabe sind?
Könnte man so sagen. Aus der Distanz sieht man das Schwabensein anders. Man
hat eine gemeinsame Erbsünde, weil man mit all diesen Sachen groß geworden
ist: mit der Kehrwoche, dem Häusle, dem Garten drum herum. All das
Kleinkarierte, das aber teilweise gar nicht so schlecht ist.
Das hätten Sie vor 20 Jahren nicht gesagt.
Stimmt, in der Zwischenzeit denke ich über manche Sachen anders. Zum
Beispiel über die Kehrwoche …
… also die Verpflichtung in einem Mehrfamilienhaus, dass jede Partei
abwechselnd eine Woche lang Treppenhaus und Bürgersteig sauber hält …
Damals fand ich dieses Verordnete schlimm. Auch die soziale Kontrolle: Hat
der Nachbar ordentlich geputzt? Aber wenigstens kümmerte man sich. In
Berlin schmeißt jeder überall seinen Müll hin und geht davon aus, dass
jemand anders das wegräumt, weil er dafür bezahlt wird. Das finde ich nicht
okay, ich werfe mein Papier in den Mülleimer.
Ihre Kneipe "Weitzmann" bietet schwäbische Küche, badisches Bier und
gutbürgerliche Gemütlichkeit. Ganz schön traditionell für einen, dem das
Schwabenland mal zu eng war.
Ich kann und will nicht verleugnen, dass ich Schwabe bin. Und da ich in
Berlin lebe, wollte ich was machen, was beides zusammenbringt. Ich wollte
zeigen, dass schwäbische einfache Küche schmackhaft und preiswert sein
kann.
Konnten Sie denn kochen - oder mussten Sie sich von Ihrer Mutter das
Maultaschenrezept ausborgen?
Maultaschen und Spätzle machen - das ist kein großes Hexenwerk, das steht
in jedem Kochbuch. Und mit Spätzle bin ich ja groß geworden.
Jetzt stapeln Sie aber tief!
Es wird gerne so dargestellt, dass Spezialitäten ein ganz bestimmtes
Geheimnis haben, eine Prise hiervon oder davon. Aber für Maultaschen gilt
einfach: Gute Waren nehmen und gut würzen - dann wirds ne gute Maultasch.
Muten Sie den Berlinern auch schwäbische Besonderheiten wie Kutteln oder
Ochsenmaulsalat zu?
Klar, aber ich muss viel erklären.
Etwa, dass die Gäste einen in Streifen geschnittenen Vormagen eines
Wiederkäuers essen?
Manchmal bestellt schon einer Kutteln und mag sie dann nicht. Dabei ist das
hochwertiges Fleisch und sehr schmackhaft. Stinken tut es nur bei der
Zubereitung.
Spätzle aber schmecken jedem. Werden die bei Ihnen gedrückt oder geschabt?
Ich führe da keine Glaubenskriege. Wenn jemand das Doppelte bezahlt - etwa
bei einer Hochzeit -, dann wird geschabt. Ansonsten drücke ich sie, das ist
der technische Fortschritt.
Ihr Restaurant liegt nah am Regierungsviertel. Welche Promis kommen denn so
vorbei?
Vor nicht allzu langer Zeit kam der Bundespräsident mit seiner Frau. Eine
Aushilfe arbeitete an dem Abend. Sie bediente das ältere Ehepaar, das sich
ans Fenster gesetzt hatte. Ein paar große Männer standen um sie rum, und
sie fragte immer wieder: Wollen Sie sich nicht auch setzen? Die Leibwächter
blieben stehen und fragten irgendwann: Ja, kennen Sie denn unseren
Bundespräsidenten nicht? So viel zum Thema, wie selbstverständlich
Prominenz bei uns behandelt wird.
Was haben die Köhlers denn gegessen?
Ganz konservativ Linsen, Spätzle, Saitenwürschtle. Und eine Suppe. Mehr
erzähl ich nicht. Der Euro ist auch nur rund, bei mir gibts auch keine
Bildle von Prominenten. Nur von Carl Borromäus Weitzmann, dem schwäbischen
Mundartdichter, nach dem ich dieses Restaurant benannt habe.
(Eine Frau mit Schürze stellt Getränke auf den Tisch und verschwindet in
der Küche)
Ist das in der Küche eigentlich Ihre Frau?
Nein. Ich bin seit vierzig Jahren glücklich nicht verheiratet. Die Mutter
meines Kindes lebt mittlerweile wieder in Baden-Württemberg, sie hatte
irgendwann keine Lust mehr auf den Imbiss und alles. Mit der Doris bin ich
jetzt seit über zehn Jahren glücklich und zufrieden liiert.
Ist der Widerstand gegen die Institution Ehe ein Überbleibsel aus der Zeit,
als Sie nach Berlin gekommen sind?
Ich habe nie eingesehen, warum man Stempel und Ehevertrag braucht. Man muss
einfach anständig miteinander umgehen, das muss man spüren und leben. Meine
Mutter hat das nie verstanden, musste es aber erdulden. Als Gegenleistung
bin ich in der Kirche geblieben. Bis heute, das habe ich ihr versprochen.
Haben Ihre Eltern den "Weitzmann" noch kennengelernt?
Meine Mutter war mal hier. Und ganz hin und her gerissen: Wie kann der Sohn
nur den guten Beruf an den Nagel hängen und Kneipier werden? Aber gefallen
hat es ihr schon.
Und Ihr Sohn, soll der die Kneipe mal übernehmen?
Das ist tatsächlich im Gespräch. Aber ich würde es ihm nicht empfehlen. Für
mich ist die Kneipe mein Lebensgefühl, ich ziehe mehr daraus als nur den
Gewinn. Aber mein Sohn ist Berliner. Der findet das hier nett, aber er
braucht den "Weitzmann" nicht, um glücklich zu werden.
Welche schwäbischen Traditionen geben Sie an Ihren Sohn weiter?
Ich gebe keine schwäbischen Traditionen weiter, sondern meine Einstellung
zum Leben: Dass er mit offenen Augen durchs Leben geht, politisch
interessiert ist, nicht auf der falschen Seite steht, das hab ich ihm
mitgeben können. Und darüber bin ich froh.
Noch mal zu Ihrem Hausdichter Carl Borromäus Weitzmann. Können Sie uns …
… ein Versle aufsagen? Aber gern! (Er rezitiert in breiter Mundart
Unverständliches über einen Bauern, der im 18. Jahrhundert zur Beichte
geht).
War das jetzt was Unanständiges?
Weitzmann war ein schlimmer Dichter zu seiner Zeit, von dem wurde sogar
eine Strohpuppe verbrannt. Der hat aufgemuckt, das war mein Hero. Andere
hatten die Beatles - ich hatte den Weitzmann, weil er die
Honoratiorenschwaben an der Nase herumgeführt und in Versform beleidigt
hat. Das hat mir gefallen, so wollte ich sein.
Und, sind Sies geworden?
Ein Stück davon, ja. Nur als Geschäftsmann würde ich mich gar nicht leiden
können. Das ist ja auch so eine schwäbische Manie: Was hat jetzt des kost,
hat sich die Veranstaltung glohnt fürs Geld? Alles wird immer umgerechnet
in Heller und Pfennig, wie eine Rechenmaschine im Kopf. Das fand ich so
schlimm, dass aus mir ein grandios schlechter Geschäftsmann geworden ist.
Immerhin gibts den Weitzmann seit mehr als 15 Jahren.
Schließlich arbeite ich auch seit meinem 14. Lebensjahr. Wenn ich ein
besserer Geschäftsmann wäre, würde ich schon lange delegieren. Oder hätte
ein paar Eigentumswohnungen in Prenzlauer Berg. Aber dann wär ich wieder zu
schwäbisch. Und könnte mich nicht leiden. Also verzichte ich auf die
Eigentumswohnung und lebe zur Miete in Charlottenburg auf der vierten
Etage.
20 Dec 2009
## AUTOREN
Nina Apin
Bert Schulz
## TAGS
Deutsche Einheit
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