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# taz.de -- Schuldenstaat: Weniger Hilfe für Behinderte
> Kreise kündigen Vertrag über Eingliederungshilfen - gegen den Willen von
> Land und Städten. Kommunen versuchen verzweifelt, Steuergeschenke von
> Schwarz-Gelb im Bund zu kompensieren.
Bild: Kämpfen für die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben: Behinderte.
Größere Heime, schlechtere Betreuung, weniger Personal, das untertariflich
bezahlt wird - die Landkreise Schleswig-Holsteins wollen bei den Ausgaben
für behinderte Menschen sparen. Das geht aus einem internen Papier der
"Koordinierungsstelle soziale Hilfen der schleswig-holsteinischen Kreise"
(Kosoz) hervor, das der taz in Auszügen vorliegt.
Die Kreise stehen wie das Land und die kreisfreien Städte unter dem Druck
des "Wachstumsbeschleunigungsgesetzes" der schwarz-gelben Koalition in
Berlin. Schleswig-Holstein hatte ihm vergangene Woche nach langem
Widerstand im Bundesrat doch noch zugestimmt. Das Gesetz wird alleine die
Kreise und kreisfreien Städte nach Schätzung der Landesregierung 60
Millionen Euro kosten. Schon ohne das Gesetz rechnete der Vorsitzende des
Landkreistages, Reinhard Sager (CDU), mit Mindereinnahmen von 264 Millionen
Euro 2009 und 184 Millionen 2010. "Weitere Einnahmeverluste durch das
Wachstumsbeschleunigungsgesetz können die Kommunen nicht verkraften",
warnte er im Oktober.
Um ihre Sparpläne wahrmachen zu können, haben die Kreise einen
Rahmenvertrag mit den kreisfreien Städten, dem Land und den
Wohlfahrtsverbänden gekündigt. Darin ist festgelegt, wie die
Eingliederungshilfe für Behinderte geleistet wird. Bis Ende 2010 muss neu
verhandelt werden. Die Eingliederungshilfe ist bundesweit mit 55 Prozent
des Budgets der größte Posten der Sozialhilfe. Den schleswig-holsteinischen
Kommunen schlägt sie entsprechend ins Kontor.
Sager, der auch Landrat von Ostholstein ist, verteidigte der taz gegenüber
die Kündigung: Dies gehöre zu den Instrumentarien, um "zielführende
Gespräche" zu beginnen. Man wolle im kommenden Jahr mit allen Beteiligten
"die Kostensenkungspotenziale auszuloten" - Ziel sei "Kostensenkung bei
bestmöglicher Hilfe für die Menschen".
Sowohl der Städteverband als auch das Land hätten eine Lösung hinter den
Kulissen bevorzugt. Sozialminister Heiner Garg (FDP) hatte sich vergangene
Woche einen einstimmigen Kabinettsbeschluss geben lassen, den Vertrag nicht
zu kündigen.
Grundsätzlich haben Land und Städte wie die Kreise ein Interesse daran, die
Eingliederungshilfe unter die Lupe zu nehmen. Schleswig-Holstein trägt laut
Rechnungshof bei der Eingliederungshilfe die höchsten Pro-Kopf-Ausgaben
aller Flächenländer und liegt deutlich über dem Bundesschnitt. Seit Jahren
steigen die Ausgaben wie die Zahl der Betroffenen. Zur Jahrtausendwende
ging es um rund 17.000 Menschen und 364 Millionen Euro. Zurzeit erhalten
rund 24.000 Menschen Förderung; das Land zahlte 524 Millionen Euro im Jahr
2008.
"Dass die Zahlen steigen, ist nicht unsere Schuld", sagt Roland Schlerff,
Geschäftsführer des Diakonischen Werkes und Verhandlungsführer der
Wohlfahrtsverbände. Es gebe einfach immer mehr Menschen, die Hilfe
bräuchten, unter anderem bei psychischen Krankheiten. Und: "Es stimmt
nicht, dass Schleswig-Holstein überdurchschnittlich viel ausgibt. Im Etat
sind Leistungen zur Arbeitsförderung enthalten, die in anderen Ländern
extra berechnet werden. "
Die Wohlfahrtsverbände fürchten ein Streichkonzert zu Lasten der
Behinderten und ihrer Beschäftigten. Denn, sagt Schlerff: "Wenn im
Rahmenvertrag ein untertariflicher Stundensatz festgelegt wird, ist es für
uns als Arbeitgeber schwer, weiter Tarif zu bezahlen." Zurzeit folgen die
Löhne im sozialen Sektor denen im öffentlichen Dienst - eine Schraube, an
der die Kosoz gern drehen würde. 100 Millionen Euro wollten die Kreise
sparen, befürchtet Schlerff.
Landrat Sager will das nicht bestätigen, räumt aber ein: "Es geht um
richtig große Summen." Die Wohlfahrtsverbände hätten ein wirtschaftliches
Interesse, die Kosten hoch zu halten: "Wir Landräte, die wir mit
Steuergeldern arbeiten, sehen das logischerweise anders." Es gehe um eine
optimierte Versorgung.
Die Städte dagegen sorgen sich um ihren Ruf. In einem Brief, der der taz
vorliegt, warnt der Städteverband den Landkreistag: "Leider wird an keiner
Stelle aufgegriffen, dass die Sozialhilfeträger auch Verantwortung für die
Menschen mit Behinderung tragen. Es wird ein Leichtes sein, uns als
,Geldverwalter und ,Sparkommissare bloßzustellen."
20 Dec 2009
## AUTOREN
Esther Geisslinger
## TAGS
Leben mit Behinderung
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