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# taz.de -- Debatte Rumänien 20 Jahre danach: Gewinner der Revolution
> Zwei Jahrzehnte nach dem Sturz des Ceauescu-Regimes ziehen Exoffiziere
> der Securitate wieder ihre Fäden. Die Aufarbeitung der Diktatur ist
> gescheitert.
Bild: Ion Mihai Pacepa im Jahr 1975
Vor 20 Jahren, am 25. Dezember 1989, wurden Rumäniens Diktator Nicolae
Ceausescu und seine Ehefrau Elena standrechtlich erschossen. Der
Hinrichtung ging ein kurzer Prozess voraus, der von einem improvisierten
Tribunal nach den klassischen Regeln eines stalinistischen Verfahrens
inszeniert worden war: Das Urteil stand bereits fest, noch bevor der
Prozess überhaupt begonnen hatte.
Neben dem zufällig zusammengesetzten Tribunal und dem Erschießungskommando
fanden sich in der Kaserne noch andere ein, darunter ein gewisser Virgil
Magureanu - er hatte von der provisorischen Regierung den Auftrag erhalten,
den Prozess zu verfolgen. Die gefürchtete Geheimpolizei Securitate war
inzwischen aufgelöst, ihre Logistik der Armee übergeben worden. Trotzdem
gab es wilde Schießereien, und die Medien sprachen von terroristischen
Heckenschützen, in denen man versprengte Anhänger aus der Prätorianergarde
des erschossenen Diktators vermutete.
Indessen traten der ehemalige Securitate-Chef Iulian Vlad und der
Generalstabschef der Armee, Stefan Gusa, vor die Kameras und taten so, als
stünde Rumänien kurz vor einer sowjetischen Invasion, die es abzuwehren
gilt. Während so auf den Bildschirmen der patriotische Schulterschluss
zwischen "vaterländischer" Securitate und "tapferer" Armee vorgeführt
wurde, war hinter den Kameras bereits ein unsichtbarer Machtkampf
entbrannt.
Als stiller Prozessbeobachter und Zeuge des Tyrannenmords hatte Virgil
Magureanu, dem die Zeitungen später den Spitznamen "Brillenschlange" geben
sollten, seinen Auftritt im ersten Akt eines Dramas, das auch 20 Jahre nach
den Ereignissen im Dezember 1989 noch nicht beendet ist. Im März 1990,
nachdem gewalttätige Unruhen zwischen Rumänen und der ungarischen
Minderheit in Siebenbürgen ausgebrochen waren, gab die Übergangsregierung
die Gründung des neuen Geheimdiensts SRI bekannt, an dessen Spitze Virgil
Magureanu berufen wurde. Damit schien der hinter den Kulissen tobende
Machtkampf zwischen den verschiedenen Fraktionen der alten Nomenklatura
zugunsten der Ceausescu-feindlichen Gruppen besiegelt zu sein.
Das alte Politbüro saß inzwischen im Gefängnis. Hinzu kamen hochrangige
Securitate-Offiziere wie der Geheimdienstchef Iulian Vlad, der wegen seiner
Mitwirkung an repressiven Maßnahmen zu einer Gefängnisstrafe von 25 Jahren
verurteilt wurde, aber bereits Ende 1993 freikam. Mit ihm saß fast zwei
Jahre lang auch der stellvertretende Securitate-Chef aus Timisoara, Radu
Tinu, in Haft. In den letzten Jahren des Regimes war er zuständig für die
Überwachung und Unterdrückung des ungarischen Pastors László Tokés, der als
Auslöser der rumänischen Revolution in die Geschichte eingegangen ist.
Gleichzeitig koordinierte Tinu auch die Operationen zur Diskreditierung der
in Westberlin lebenden heutigen Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller.
In Interviews, die in neu gegründeten Publikationen erschienen, verbreitete
Radu Tinu nach der Revolution ungehindert seine Ansichten und äußerte sich
abfällig über die Dissidenten, die von der Securitate verfolgt worden
waren. Die alte Geheimpolizei, der er als hochrangiger Offizier angehörte,
beschrieb er nonchalant als patriotischen Apparat, der einzig und allein
dem Wohle Rumäniens gedient habe. Die einstigen Kritiker des alten Regimes
dagegen bezeichnete er als Vaterlandsverräter und Agenten feindlicher
Mächte, deren Aktionen im Grunde nicht gegen Ceausescu, sondern gegen
Rumänien und das rumänische Volk gerichtet gewesen seien.
Viele seiner früheren Kollegen waren inzwischen in der demokratisch
legitimierten Nachfolgeorganisation der Securitate, dem SRI, untergekommen
oder begannen eine steile Karriere als erfolgreiche Unternehmer. Die
kapitalistische Marktwirtschaft, die sie bis vor Kurzem noch bekämpft
hatten, bot gerade für ehemalige Securitate-Offiziere ideale
Aufstiegsmöglichkeiten. Die alten Seilschaften funktionierten wie
geschmiert, denn in allen staatlichen Institutionen, Parteien und Medien
waren auch frühere Securitate-Leute untergekommen. Alte Freundschaften
wurden reaktiviert, der Korpsgeist blühte auf. Davon profitierte auch Radu
Tinu, der nach seiner Entlassung aus der Haft als Manager in einem
privatisierten Betrieb arbeitete und heute die Versicherungsgesellschaft
Asirom, die der Vienna Insurance Group gehört, leitet. Seine alten
Offiziersgewohnheiten hat er nie abgelegt, er betreibt sozusagen
nebenberuflich das Geschäft der Desinformation weiter. Dabei wird er von
bestimmten Zeitungen und sensationshungrigen Fernsehsendern unterstützt,
die ihm eine Plattform bieten, von der aus er seine Botschaften ungestört
verbreiten kann.
Profiteure der neuen Ordnung
Zum Erbe der rumänischen Geheimpolizei gehören, neben den zahllosen
Offizieren, die sich nach Ceausescus Sturz als Unternehmer, Politiker oder
privilegierte Rentner bequem in der neuen kapitalistischen Ordnung
eingerichtet haben, auch deren Akten. Zum Teil schlummern sie nach wie vor
in den Archiven der Nachfolgedienste.
Der Landesrat zum Studium der Securitate-Archive, das rumänische Pendant
zur hiesigen Gauck-Birthler-Behörde, verwaltet einen Teil der früheren
Securitate-Archive und gestattet den Opfern, Einsicht in ihre Akten zu
nehmen. Trotzdem beklagen viele der Opfer, ihre Akten seien unvollständig
und stellenweise frisiert. Im Ringen um die Aktenhoheit tauchten
seltsamerweise immer dann kompromittierende Schriftstücke auf, wenn es
darum ging, gewisse Personen zu erpressen oder politisch fügsam zu machen.
Exoffiziere wie Radu Tinu oder der seit einiger Zeit aus der Versenkung
seines behaglichen Rentnerdaseins wiederaufgetauchte ehemalige oberste
Securitate-Chef Iulian Vlad nutzen dabei ihr Wissen, um gewisse
Interessengruppen als politisch makellos im milden Licht erscheinen zu
lassen.
Zwanzig Jahre nach dem Sturz der kommunistischen Diktatur haben sie sich
eine komfortable Existenz geschaffen. Sie sind die eigentlichen Gewinner
der Revolution, für die Verlierer haben sie nur ein zynisches Lächeln
übrig.
21 Dec 2009
## AUTOREN
William Totok
## TAGS
Rumänien
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gestorben. Manche Medien feiern ihn als einen wahrhaftigen Patrioten.
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