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# taz.de -- Krisenregion Sri Lanka: Zaghafter Aufbau Ost
> Terror und Tsunami haben an der Ostküste verheerende Zerstörungen
> angerichtet. Frieden und eine verbesserte Infrastruktur sollen Touristen
> nun an die Traumstrände locken
Bild: Abgedecktes Schild: Viele Strandhotels sind noch geschlossen
Dem Sterben schauen sie schweigend zu. Während die Fische vergeblich um ihr
Leben zappeln, umringen die jungen Männer das lange Netz und blicken
gebannt auf ihre Ausbeute. Ein Junge spielt mit einem faustgroßen
Tintenfisch, krächzende Krähen machen sich gierig über den Seetang her.
Szenen, wie sie sich seit Generationen am Nilaveli Beach nördlich von
Trincomalee abspielen. Und doch ist diesmal etwas anders: Nur wenige
Schritte entfernt hüpfen junge Mädchen ausgelassen im Wasser, als würden
sie die Tanzszene eines Bollywoodfilms proben.
Vor einigen Monaten wäre so etwas kaum denkbar gewesen, damals starrten die
Menschen gebannt auf den Kriegsschauplatz Mullaitivu, keine hundert
Kilometer von hier entfernt. Die an einer Lagune gelegene Stadt machte
weltweit Schlagzeilen, als die eingekesselten Tamil Tigers 250.000 ihrer
Landsleute als lebendige Schutzschilde gegen die sri-lankische Armee
missbrauchten. Mindestens 7.000 Zivilisten sollen laut UN-Angaben bei den
Gefechten ums Leben gekommen sein. So genau weiß das niemand, da selbst das
Internationale Rote Kreuz keinen Zugang zu den Opfern hatte. Mit ihrer
starrsinnigen Blockadepolitik zog Sri Lankas Regierung den Unmut der
westlichen Staatengemeinschaft auf sich.
Doch daran denken die tanzenden Mädchen jetzt nicht, sie genießen einfach
das rauschende Meer in der späten Nachmittagssonne. "Endlich können wir den
Strand von Nilaveli besuchen", freut sich eine junge Frau im bunten Salwar
Kameez, einer Tunika mit Stoffhose - und stellt sich mit ihren beiden
Freundinnen im Wasser zum privaten Fotoshooting vor tropischer
Strandkulisse auf. Lange schon wollten sie einmal von ihrer Heimatstadt
Kurunegala aus an die Ostküste reisen, doch die Flutkatastrophe von 2004
und vor allem der Bürgerkrieg hatten dies bislang verhindert. Daher
schlossen sie sich einer örtlichen Reisegruppe an, um für ein paar Tage
Badeurlaub zu machen.
Noch dauert die 180 km lange Fahrt zwischen Kurunegala und Nilaveli wegen
der streckenweise schlechten Straßenverhältnisse und Militärkontrollen fast
sieben Fahrstunden. Das wird sich jedoch bald ändern, denn entlang der
Nationalstraße Nummer 6 wird fleißig gebaut. In Urlaubsstimmung sind die
Fischer von Nilaveli zwar nicht, doch auch sie sind über das Kriegsende
froh. Für sie ist das Alltagsleben spürbar leichter geworden. Viele Jahre
durften sie nachts nicht zum Fischen auf das Meer hinausfahren. Ab 18 Uhr
war Ausgangssperre. Und aus dem nahen Dschungel hörten sie regelmäßig
Gefechtslärm. Das ist jetzt vorbei.
"Bislang musste ich während der Regenzeit an der Südküste als Perlentaucher
mein Geld verdienen. Der Fischfang hat für den Lebensunterhalt einfach
nicht ausgereicht", erzählt Sajeeth Khan. "Einige Freunde jobbten auch in
den Golfstaaten." Das wird jetzt wohl nicht mehr nötig sein, hofft der
31-jährige Muslim - sofern die Touristen wieder kommen, denn als
Bootsfahrer könnten Sajeeth und seine Freunde ganz gut am Fremdenverkehr
verdienen.
Vor der Küste liegen einige kleine Inseln verstreut, darunter die
fischreichen Coral and Pidgeon Islands. Während Sajeeth mit dem Boot von
seinem Dorf Irrakkandy aus die nahen Koralleninseln ansteuert, preist er
die Attraktionen Nilavelis wie ein Marketingexperte: "Hier gibt es
wunderbare Tauchgründe. Mit Glück kann man Delfine und sogar Blauwale
sichten." Ein Blick durch die Taucherbrille gibt dem tatkräftigen Vater von
drei Kindern Recht. Selbst ungeübten Schnorchlern bietet sich rund um die
Inseln eine schöne bunte Unterwasserwelt.
Wer jedoch lieber in einem schicken Strandhotel faulenzen möchte, hat
bislang wenig Auswahl. Die einzige Unterkunft mit gutem Standard ist das
Nilaveli Beach Resort. Seit seiner Eröffnung im Jahr 1973 hat es selbst
während schlimmster Kriegszeiten Gäste willkommen geheißen - oftmals auch
ungewollte. "Alle zwei Wochen kamen Soldaten der Tamil Tigers, um sich mit
Nahrung einzudecken", erinnert sich Suthagar, der im Hotel seit 15 Jahren
als Rezeptionist arbeitet. Mit Glück entkam der 36-jährige Tamile den
haushohen Tsunami-Wellen, die auch in Nilaveli verheerende Zerstörungen
anrichteten. Zwei Jahre blieb die Unterkunft geschlossen, bis sie 2007
wieder in neuem Glanz eröffnete. Mitten im wieder aufgeflammten Krieg. Das
Resort blieb zumeist leer. Anstelle von Touristen verirrten sich
graufellige Hanuman-Languren an die Pool-Bar.
Seit Kriegsende reisen vorwiegend Einheimische nach Nilaveli. Denn noch
immer rät das Auswärtige Amt im fernen Berlin vor Reisen an die Ostküste
ab. Eine allgemeine Reisewarnung besteht allerdings nicht mehr. "Wir wollen
auf Nummer sicher gehen", verteidigt ein Mitarbeiter der Deutschen
Botschaft diese Vorsichtsmaßnahme.
"Völlig unbegründet", meint hingegen Werner Borchers, der seit den
1980er-Jahren in der Relaisstation der Deutschen Welle nördlich von
Nilaveli arbeitet und sich selbst zu Kriegszeiten nie bedroht gefühlt hat.
"Für Ausländer stellten die Tamil Tigers keine Gefahr dar. Das waren meist
ganz nette Kerle." Geschäftshungrige Investoren schielen wieder kräftig auf
die Traumstrände an der Ostküste. "Als im Mai der Tod des
Tamil-Tiger-Führers Prabhakaran vermeldet wurde, riefen bei mir kurz darauf
ausländische Geschäftspartner an, um sich nach guten
Investitionsmöglichkeiten zu erkundigen", erinnert sich Hiran Coorey,
Eigentümer der bekannten Jetwing-Hotelgruppe. Die schönsten
Strandabschnitte von Nilaveli sind jedoch schon lange in der Hand
sri-lankischer Hotelketten. Für sein Unternehmen hat der 46-jährige Coorey
bereits vor Jahren ein großflächiges Grundstück gesichert. Mit dem Bau
eines Hotels will er jedoch noch warten, denn erst muss die Infrastruktur
stimmen.
Da ist immerhin Besserung in Sicht: Fast alle wichtigen Verbindungsstraßen
werden derzeit erweitert. Die Regierung hat sich den "Aufbau Ost" auf die
Fahnen geschrieben. Wie im kriegszerstörten Norden gibt es noch viel
Wiederaufbauarbeit zu leisten. "Doch es nützen die besten Straßen nichts,
wenn die Regierung nicht die Herzen der Tamilen gewinnt", meint Jehan
Perera, Direktor des renommierten National Peace Council. "In den Köpfen
der Politiker herrschen großes Misstrauen und Angst. Sri Lanka ist heute
ein Polizeistaat", kritisiert der gefragte Zeitungskolumnist.
Die rigiden Sicherheitsmaßnahmen bekommt vor allem die tamilische
Minderheit zu spüren. Schikanöse Polizei- und Militärkontrollen sind an der
Tagesordnung. Ein Vierteljahrhundert Bürgerkrieg hat tiefe Wunden in die
multikulturelle Gesellschaft gerissen. Doch erstmals sehen die Menschen
hoffnungsvoll in die Zukunft, auch die Fischer von Nilaveli. Ihnen sind
tanzende Mädchen im Wasser zehnmal lieber als stramm stehende Soldaten am
Straßenrand.
22 Dec 2009
## AUTOREN
Martin H. Petrich
## TAGS
Reiseland Sri Lanka
BMBF
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