# taz.de -- Frauen-Skispringen: Hoffen auf den großen Sprung | |
> Die Frauen wollen mit einer eigenen Weltcupserie endlich ins mediale | |
> Rampenlicht hüpfen und eine der letzten sportlichen Männerbastionen | |
> erobern. | |
Bild: Die deutsche Skispringerin Ulrike Gräßler. | |
Das medizinische Bulletin nach dem Abschlusstraining fiel nicht wirklich | |
dramatisch aus: ein paar Prellungen, ein paar Schürfwunden, ein blaues Auge | |
sowie eine aufgeplatzte (und später mit vier Stichen genähte) Lippe samt | |
dem Verlust eines Stückchens Zahn, alles hervorgerufen durch vier eher | |
leichte Stürze gleich nach der Landung. Dass es ausschließlich junge Frauen | |
waren, die die Ruhesteinschanze bei Baiersbronn hinuntergesegelt waren, war | |
explizit nicht ursächlich für die Malheurs, eher trug der stumpfe Schnee im | |
Auslauf Schuld daran. Und überhaupt: Stürze gehören zum Skispringen dazu. | |
"Das passiert bei Männern doch auch", sagt jedenfalls Ulrike Gräßler. | |
Die junge Frau aus Klingenthal ist das Aushängeschild der Skispringerinnen | |
in Deutschland. Zweite wurde sie vor knapp einem Jahr in Liberec, bei der | |
ersten Teilnahme von Frauen bei einer Skisprung-Weltmeisterschaft. Und | |
natürlich ist sie eine Vorkämpferin, dafür nämlich, dass eine der letzten | |
Männerbastionen in der Welt des Sports endlich und endgültig fällt. Im | |
Sommer hatte die 22-Jährige zusammen mit 14 weiteren | |
Weltklasse-Springerinnen versucht, ihre Teilnahme bei den Olympischen | |
Spielen in Vancouver einzuklagen. | |
Zwar kam das Oberste Gericht der kanadischen Provinz British Columbia zu | |
der Auffassung, dass der Ausschluss skispringender Frauen von den Spielen | |
diskriminierend sei, kurzfristig ändern konnte es die Ablehnung der alten | |
Männer vom Olymp indes nicht. "Nicht jede Art von Diskriminierung ist ein | |
Verstoß gegen die Charta", bedauerte die zuständige Richterin. Ulrike | |
Gräßler und ihre Kolleginnen waren von dem Urteil natürlich enttäuscht. | |
Einerseits. Andererseits waren sie klug genug, mit genau diesem Ausgang zu | |
rechnen. "Wir waren darauf eingestellt, dass wir abgelehnt würden", sagt | |
die Klingenthalerin. | |
Sinn und Zweck hat die Klage dennoch erfüllt. "Wir haben das Thema damit | |
öffentlich gemacht", sagt Gräßler. Mit den Folgen geht sie ebenso geduldig | |
wie freundlich um. "Ich habe in diesem Winter schon relativ viele | |
Interviews geben müssen", erzählt die 22-Jährige. "Die Aufmerksamkeit für | |
uns ist insgesamt gewachsen", folgert sie daraus. Beim Continentalcup am | |
Wochenende in Baiersbronn standen immerhin knapp 1.000 Zuschauer an der | |
Schanze. | |
Das ist nicht schlecht, könnte aber auch noch besser werden. Und nur auf | |
die Karte Olympia wollen die springenden Frauen dabei nicht setzen, | |
ausgerechnet ein Mann nennt dafür den Grund. "Olympia würde uns zwar sicher | |
einen Schritt weiter bringen", sagt Bundestrainer Daniel Vogler. Genau so | |
wichtig aber sei, "dass wir jedes Jahr im Rampenlicht stehen". Erstrahlen | |
lassen könnte dieses die Einführung einer Weltcupserie für die Frauen. | |
"Wenn der internationale Verband dazu bereit wäre, wäre das Fernsehen auch | |
sofort bereit, Frauen-Skispringen zu übertragen", glaubt Vogler. | |
Entsprechende Gespräche seien bereits geführt worden, schließlich war die | |
Übertragung der weiblichen WM-Premiere, so sieht es der Bundestrainer, | |
durchaus ein Quotenerfolg. | |
Zwar wären es dann immer noch die gleichen Frauen wie derzeit in der | |
Continentalcup-Serie, die da von Schanzen springen, für die Zuschauer aber | |
würde das ohnehin kaum eine Rolle spielen. Zumindest bei den Weltbesten ist | |
kaum ein Unterschied zu sehen, ob gerade Männlein oder Weiblein durch die | |
Luft fliegen. "Bei etwas mehr Anlauf können wir die Schanzen genauso gut | |
ausspringen wie die Männer", sagt Ulrike Gräßler. Bestenfalls was die Masse | |
an Klasse angeht, könnte Nachholbedarf bestehen. Im Continentalcup gehen | |
derzeit auch sehr junge Springerinnen an den Start. Die jüngste | |
Teilnehmerin in Baiersbronn war 13 Jahre alt - eher Kind als Frau. | |
Vogler ficht das nicht an. Auch bei den Männern seien bisweilen 16-Jährige | |
dabei, entgegnet er. Selbst ein Überflieger wie Gregor Schlierenzauer zähle | |
noch keine 20 Lenze. Dass der Bundestrainer ausgerechnet den Österreicher | |
erwähnt, passt zum Anspruch, den er stellt - und erfüllt: Deutschland | |
verfügt derzeit gleich über drei, vier Siegspringerinnen. "Die | |
Voraussetzungen und die Förderung bei uns sind einfach gut", nennt Ulrike | |
Gräßler, die neben der Springerei eine Ausbildung bei der Bundespolizei | |
absolviert, den Grund dafür. "Wir haben ein gutes Standing in unserem | |
Verband. Da hat man die Zeichen der Zeit erkannt", bestätigt Vogler. | |
Auch im IOC werde es demnächst so weit sein, da ist sich der Bundestrainer | |
sicher: "In vier Jahren, bei den Spielen in Sotschi, können die nicht mehr | |
wegsehen. Diese Entwicklung kann man nicht mehr aufhalten." | |
4 Jan 2010 | |
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