# taz.de -- Urteil im Jalloh-Prozess aufgehoben: Neuer Blick auf den Flammentod | |
> Der Bundesgerichtshof hebt den Freispruch für den Dessauer Polizisten | |
> auf. Er soll den Tod von Ouri Jalloh verursacht haben, der in seiner | |
> Zelle qualvoll verbrannte. | |
Bild: Mouctar Bah (r), Mitbegründer der Initiative in Gedenken an Oury Jalloh,… | |
KARLSRUHE taz | Der Prozess um den Tod des Asylbewerbers Ouri Jalloh, der | |
in einer Dessauer Polizeizelle verbrannte, muss neu aufgerollt werden. Der | |
Bundesgerichtshof (BGH) hob am Donnerstag den Freispruch für den | |
diensthabenden Polizisten Andreas S. auf und ordnete eine neue Verhandlung | |
an. "Der Ausgang ist aber völlig offen", sagte die Vorsitzende Richterin | |
Ingeborg Tepperwien. Der Prozessbeobachter Yonas Endrias von der | |
Internationalen Liga für Menschenrechte freute sich dennoch: "Endlich | |
spricht jemand die logischen Fehler in den Ermittlungen an, ich hätte die | |
Richterin umarmen können." | |
Frühmorgens, exakt vor fünf Jahren, hatte der damals 23jährige Ouri Jalloh | |
in stark betrunkenem Zustand drei Frauen der Dessauer Stadtreinigung | |
belästigt. Die herbeigerufenen Polizisten nahmen Jalloh mit zur Wache, | |
steckten ihn in eine Ausnüchterungszelle und fixierten ihn mit Händen und | |
Füßen an der Matraze. Drei Stunden später war Jalloh tot, verbrannt. | |
Das Landgericht Dessau hatte nach fast zweijährigem Prozess folgendes | |
Geschehen angenommen: Jalloh habe mit einem Feuerzeug, das bei der | |
Durchsuchung übersehen wurde oder das er später einem Polizisten abgenommen | |
hatte, die unbrennbare Hülle seiner Matraze erhitzt und dann aufgerissen, | |
um den brennbaren Schaumstoffkern der Matraze in Brand zu setzen. Bei dem | |
Brand bildeten sich 800 Grad heiße Rauchgase, die bei Jalloh zu einem | |
Inhalationshitzeschock führten. Binnen zwei Minuten sei der Mann aus Sierra | |
Leone tot gewesen. | |
Der Polizist S., so damals das Landgericht, habe weder pflichtwidrig | |
gehandelt noch hätte er Jalloh retten können. S. habe zwar den Alarm des | |
Rauchmelders weggedrückt, weil es schon öfters Fehlalarm gegeben hatte. | |
Bevor er zur Zelle ging, führte er außerden noch zwei Telefonate. Die | |
Dessauer Richter nahmen aber an, dass Jalloh auch dann nicht mehr zu retten | |
gewesen wäre, wenn S. sofort geholfen hätte. | |
An vier Punkten beanstandete der BGH-Strafsenat nun das Dessauer Urteil. So | |
habe Polizist S. eindeutig pflichtwidrig gehandelt, als er den Alarm des | |
Rauchmelders zunächst ignorierte. "Er hätte sofort nachsehen müssen," | |
betonte Richterin Tepperwien, "schließlich war der Mensch in der Zelle | |
gefesselt und einer Brandgefahr hilflos ausgeliefert." | |
Dennoch bleibt ein Freispruch für S. möglich - falls Jalloh auch bei | |
sofortigem Eingreifen nicht hätte gerettet werden können, weil er bereits | |
tot war. Dann hätte das Fehlverhalten des Polizisten den Tod Jallohs nicht | |
verursacht. | |
Aber auch gegen diese Annahme des Landgerichts machte Tepperwien Einwände | |
geltend. "Es ist kaum zu glauben, dass Jalloh in der ganzen Zeit nicht | |
geschrien hat, nicht einmal im Todeskampf", kritisierte die Richterin und | |
verwies auf Sachverständige, die dies ebenfalls für unwahrscheinlich | |
hielten. Hat Jalloh aber geschrien, bevor der Rauchmelder ansprang, hätte | |
S. das hören können und eine rechtzeitige Rettung wäre doch möglich | |
gewesen. | |
Außerdem solle in der neuen Hauptverhandlung untersucht werden, wie schnell | |
so ein Rauchmelder reagiert. Die Dessauer Richter gingen davon aus, dass | |
der Alarm erst nach Ausbrechen des Feuers ausgelöst wurde. Möglicherweise, | |
so Tepperwien, reagierte das Gerät aber auch schon, als Jalloh die Matratze | |
ankokelte, also deutlich früher. Auch dann hätte Polizist S. bei sofortiger | |
Reaktion den inhaftierten Afrikaner noch retten können. | |
Gleich zu Beginn der Verkündung machte Tepperwien auch deutlich, dass es | |
ihr schwerfalle, das vom Landgericht geschilderte Geschehen überhaupt | |
nachzuvollziehen. Zwar sei es durch Versuche nachgewiesen worden, dass der | |
gefesselte Jalloh ein Feuerzeug aus seiner Hosentasche hätte holen können. | |
Auch das stufenweise Inbrandsetzen der Matratze sei im Experiment | |
ausprobiert worden. "Aber konnte Jalloh die Matratze auch entzünden, obwohl | |
er mit der Hand an der Zellenwand fixiert war?", fragte Tepperwien. Hier | |
gebe es noch "wesentliche Lücken in der Beweisführung". | |
Aus all diesen Gründen hob der BGH nun den Freispruch für Andreas S. auf | |
und ordnete eine neue Verhandlung an. Das Verfahren soll diesmal aber am | |
Landgericht Magdeburg stattfinden und nicht mehr in Dessau, um so mehr | |
Distanz zu ermöglichen. | |
Wie der neue Prozess ausgeht, hielt Tepperwien für völlig offen. "Es kann | |
sein, dass sich die Lücken in der bisherigen Beweisführung schließen lassen | |
oder es stellt sich heraus, dass sich das Geschehen doch anders zugetragen | |
haben muss", so die BGH-Richterin. Möglicherweise lasse sich der | |
Sachverhalt auch gar nicht mehr ausreichend aufklären. "Dann gilt der | |
Grundsatz 'im Zweifel für den Angeklagten' - auch wenn der Angeklagte ein | |
Polizist ist." Sie versuchte damit offensichtlich die Erwartung bei den | |
Freunden Ouri Jallohs zu dämpfen, dass ein neuer Prozess sicher zu einer | |
Verurteilung von Andreas S. führen müsse. | |
Az. 4 StR 413/09 | |
7 Jan 2010 | |
## AUTOREN | |
Christian Rath | |
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