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# taz.de -- Weitere 30 Jahre Grüne: Schöne Aussichten
> Die Grünen galten nach Ende des rot-grünen Projekts als erledigt. Sie
> feierten zwar noch Erfolge, wussten aber nichts damit anzufangen. Das hat
> sich geändert.
Bild: Alles ist möglich: Inzwischen auch die Jamaika-Koalition.
Anderthalb Jahre lang war Dieter Salomon der ranghöchste Regierungsgrüne.
Was sich anhört wie Satire, war politische Realität. Die Grünen schienen
2005 nach dem Ende von Rot-Grün auf Bundesebene zurückgedrängt ins Milieu
der Studenten und Solarfirmen im Badischen. Ihr Aushängeschild: der
Oberbürgermeister von Freiburg, Dieter Salomon.
Die Grünen galten als erledigt. Sie feierten danach zwar auch Erfolge, aber
sie wussten seit ihrer Scheidung von der SPD nichts mehr damit anzufangen.
Das hat sich gründlich geändert. Bremen mochte noch als Sonderfall gelten,
wo 2007 eine rot-grüne Koalition zustande kam.
Doch im Januar 2007 eroberte Boris Palmer für die Grünen den Posten des
Oberbürgermeisters im schwäbischen Tübingen, die Grünen rückten in
Stuttgart zu größten Fraktion im Stadtrat auf - und entschieden sich in
Hamburg und im Saarland erstaunlich geräuschlos für jene Koalitionen mit
der CDU, über die seit den frühen Neunzigern nur ergebnislos diskutiert
worden war.
Inzwischen nehmen die Grünen Anlauf auf das größte Bundesland. Knapp vier
Monate vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen am 9. Mai macht die
Spitze der Landtagsfraktion hinter den Kulissen Werbung für Schwarz-Grün.
Schon spotten Beobachter, Spitzenkandidatin Sylvia Löhrmann suche bei
Terminen geradezu die Nähe des CDU-Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers.
Auch Löhrmanns Stellvertreter unterstützen diese Strategie. Fraktionsvize
Barbara Steffens ist mit dem Arnsberger CDU-Regierungspräsidenten Helmut
Diegel verheiratet, ihr Kollege Reiner Priggen stammt aus dem schwarz-grün
regierten Aachen. Sie argumentieren, ein rot-grün-rotes Bündnis sei trotz
guter Umfragen für Linke und Grüne kaum machbar. Die Linke sei "wie die
Grünen vor 30 Jahren" - "nicht regierungsfähig".Womöglich werde die
schwache SPD versuchen, sich in eine Koalition mit Rüttgers zu flüchten.
Von führenden Parteilinken kommt kaum Widerstand. "Wer mit Wolfgang Clement
regiert hat, ist vor nix fies", sagte die ehemalige NRW-Umweltministerin
Bärbel Höhn schon im April. Die Enttäuschung über die Sozialdemokraten
sitzt tief. Tief sind auch die inhaltlichen Differenzen, etwa in der
Energiepolitik: Noch immer fährt die SPD einen strammen Kohlekurs und setzt
auf neue Kohlekraftwerke.
Offiziell aber hält sich die Partei die Koalitionsaussage offen. Sie
plädiere für starke Grüne - das ist seit Monaten die Antwort der
NRW-Landeschefin Daniela Schneckenburger, die zum linken Flügel zählt, auf
die Frage nach möglichen Machtoptionen. Die Gefahr wäre zu groß,
WählerInnen und Basis durch ein Votum für Schwarz-Grün zu verprellen.
Zumindest "Jamaika" gilt als nicht vermittelbar und soll auf einem
Parteitag im nächsten Monat ausgeschlossen werden. Aus Düsseldorf ist zu
hören, dass über eine Zusammenarbeit mit der CDU oder mit SPD und Linken
immer noch der kleine Parteitag diskutieren könne, der eine Woche vor den
Wahlen angesetzt ist - oder angesichts knapper Umfragewerte eben auch
nicht.
Moorburg, Elbphilharmonie, HSH Nordbank, Schifffahrtskrise - im Schatten
dieser Probleme regiert die schwarz-grüne Koalition in Hamburg seit fast
zwei Jahren nahezu konfliktfrei vor sich hin. Die erste schwarz-grüne
Regierung in einem Bundesland, deren Start ungläubig betrachtet wurde, hat
viel von ihrer Exotik verloren.
Schwarz-Grün ist zu einer Option geworden, und zumindest für Hamburg ist es
keine schlechte. Eher ungewöhnlich ist, wie das Bündnis aus CDU und
Grün-Alternativer Liste (GAL) schwer wiegende Probleme löst oder zu lösen
versucht. Profilierungssucht auf Kosten des Partners fehlt fast völlig.
Die Belastungen kommen von außen: An Wirtschaftskrise und Steuerausfällen
ist die Koalition nicht schuld. Der Widerstand gegen die Primarschule - das
grüne Prestigeprojekt - kommt in Form eines Volksbegehrens aus dem
Bürgertum. CDU-Regierungschef Ole von Beust steht "hundertprozentig" hinter
der Schulreform und hat seine Partei darauf verpflichtet. Das Bündnis würde
nur platzen, wenn die CDU einknickte, nicht jedoch am möglichen
Volksentscheid.
Denn die GAL ist ihrem Verständnis nach eine "Ideenpartei" geworden. Sie
macht Bündnisse davon abhängig, wie weit ihre Inhalte umsetzbar sind.
Zwischen 1982 und 2002 war sie allerdings vor allem ein zwischen Realos und
Fundis zerstrittener Haufen. Nach der vom Siegeszug des gnadenlosen
Richters Ronald Schill im September 2001 beendeten rot-grünen Koalition
schnitt die GAL jedoch alte Zöpfe ab.
Die Trennung von Amt und Mandat wurde weitgehend aufgehoben, aus einem
Vorstandsduo wurde eine Vorsitzende plus Stellvertreter. Und im April 2008
kam das erste schwarz-grüne Bündnis zustande - zwischen der Partei der
Bürgerlichen und der Partei ihrer gut verdienenden Akademiker-Enkel.
Das "Palmer-Prinzip"
"Kaum ein Amt auf der Welt verleiht einem so viel Macht wie das eines
schwäbischen Oberbürgermeisters", schwärmte der Grüne Boris Palmer bei der
Vorstellung der Fernsehfilms "Das Palmer-Prinzip". Seit 2007 ist er OB in
Tübingen, einer Stadt mit 84.000 Einwohnern, darunter zirka 15.000
Studenten - ein hohes Wählerpotenzial für Grün.
Wie andere grüne Oberbürgermeister hat auch Boris Palmer bei seiner Wahl
die Aufmerksamkeit auf sich gezogen. So trat Palmer in den "Tagesthemen"
auf, weil er ein Gymnasium energetisch sanieren ließ - wegen der
eingesparten Energie kostenneutral. Ähnliche Beispiele gibt es dutzendweise
- allerdings ohne den Nimbus, den Palmer ausstrahlt: "Grün" soll ein
authentisches Vorbild sein. Palmer-Prinzip sei, "wenn man tatsächlich ist,
was man sagt", sagt Palmer.
Also Daimler-Dienstwagen weg, Spritsparen für städtische Bedienstete,
Energiesparlampen im Rathaus. Tatsächlich investiert Tübingen große Mittel
in die energetische Sanierung von Gebäuden. Allerdings tun das inzwischen
viele Kommunen - egal welche Partei regiert.
Was in Tübingen anders ist, ist Palmers Verständnis vom Bürger. Das äußert
sich in der Kampagne "Tübingen macht blau - 10 Prozent weniger CO2 bis 2010
", mit der die Stadt Klimaschutz als Aufgabe aller Bürger propagiert. Das
Thema dezentraler, kommunaler Energieversorgung dient als Instrument einer
solchen Politik: Über die Stadtwerke macht Tübingen Ökostromangebote,
fördert Solaranlagen oder Fahrräder mit Elektroantrieb.
Doch auch Tübingen ist derzeit von Steuereinbrüchen betroffen. Es wird
verhandelt, wo gespart wird, welche Gebühren erhöht werden. Stuttgart
könnte Vorbild sein. Dort sind die Verhandlungen um den Haushalt 2010/2011
gerade mit Rekordverschuldung zu Ende gegangen. Erstmals überstimmte eine
"ökosoziale Mehrheit" aus Grünen, SPD und SÖS/Linke die CDU, FDP und die
Freien Wähler.
Sie setzte höhere Belastungen in Form von Gebühren und Grundsteuern durch,
dafür wird bei Krankenhäusern oder Kindergärten weniger gekürzt. Würde
jetzt und nicht erst 2012 ein neuer Oberbürgermeister gewählt, glauben
manche Beobachter, wäre der neue Stuttgarter OB ein Grüner.
Bremische Bescheidenheit
Rot-Grün ist heute kein Projekt mehr, auch nicht in Bremen, der Heimat der
einzigen noch existierenden Landesregierung aus SPD und den Grünen. Es ist
eine Arbeitsbeziehung, die geräuschlos regieren soll.
Eine Grüne, die dafür steht, ist Karoline Linnert. Die 51-Jährige ist seit
2007 Bürgermeisterin und Finanzsenatorin. Gerade drohte sie mit einem Bruch
der Verfassung. Das dortige Ziel, die Neuverschuldung bis 2020 auf null zu
senken, sei bei weiteren Steuersenkungen von Schwarz-Gelb nicht zu
schaffen. "Wenn uns ständig neue, ideologische Steuersenkungen die
Geschäftsgrundlage zerstören, dann können wir das gar nicht schaffen." Also
würde Bremen aus den Vereinbarungen der Föderalismuskommission aussteigen.
Als Oppositionsführerin hat Linnert einst die schlimmsten Auswüchse des
sozialdemokratischen Regimes unter Henning Scherf bekämpft. Und doch ist
sie keine, die "einschneidende Maßnahmen" fordert. Linnert widerspricht
gerade jener Inszenierung, mit der sich die grüne Seele streicheln ließe.
Und sie wollte auch nicht um jeden Preis regieren: Einst war sie gegen die
Ampelkoalition, die Bremen von 1991 bis 1995 regierte.
Heute sei man "zum Erfolg verdammt". Bei den letzten Landtagswahlen
erreichten die Grünen 16,4 Prozent, weit mehr als in jedem anderen
Bundesland. Aber Rot-Grün, sagt Linnert, "das beruht nicht auf
gegenseitiger Liebe, sondern auf einem hohen Maß von Vernunft und
Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen". Zugleich sieht sich Linnert dem
Modernisierungsflügel der CDU bisweilen näher als dem traditionalistischen
Teil der SPD. Allerdings heißt das nicht, dass Schwarz-Grün in Bremen auf
absehbare Zeit eine Option wäre.
In Bremen kommen SPD, Grüne und Linke zusammen auf 60 Prozent, CDU und FDP
auf gut 35 Prozent. Doch beim nächsten Mal könnte es für Rot-Grün knapp
werden. Noch will die Landesregierung davon nichts wissen, noch
disqualifiziert sich die Linkspartei selbst. Aber eine vorsichtige
Annäherung ist im Gange. Dem letzten Etatentwurf von Rot-Grün hat die Linke
schon mal zugestimmt.
13 Jan 2010
## AUTOREN
A. Wyputta
S.-M. Veit
I. Arzt
J. Zier
## TAGS
Marieluise Beck
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