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# taz.de -- 30 Jahre Grüne: Siegeszug der Frauen
> Die Quote ist unbeliebt, auch bei Frauen – aber ohne geht es nicht. Nicht
> in der Politik, an den Universitäten und auch nicht in der Wirtschaft.
> Vom Erfolg eines Brachialmittels.
Bild: Agnieszka Malczak, auch dank Frauenquote nun für die Grünen im Bundesta…
Silvana Koch-Mehrin und Birgit Homburger von der FDP, Christine Haderthauer
von der CSU, sogar Bundeskanzlerin Angela Merkel – sie alle sind
Quotenfrauen. Selbstverständlich würden sie das strikt zurückweisen.
Schließlich haben weder CDU und CSU noch die FDP eine strikte Quote. Aber
ohne den Druck, der seit Jahrzehnten von der Quote bei den Grünen ausgeht,
stünden diese Frauen heute nicht dort, wo sie stehen.
Man muss sich vergegenwärtigen, wie es um die Republik bestellt war, als
die Grünen mit ihrer Quotenidee die Landschaft umpflügten. Bevor diese 1983
erstmals in den Bundestag einzogen, war die Politik männerbündisch
strukturiert; im letzten Bundestag ohne grüne Abgeordnete hatten noch 44
Frauen 475 Männern gegenübergesessen. Frauenpolitik bestand darin, dass
Familienminister Heiner Geißler den Müttern ihre Mutterschaft mit einem
Erziehungsurlaub versüßte.
Mit den Grünen kam plötzlich die Frauenbewegung im Parlament an. Immerhin
10 der 28 grünen Abgeordneten, die 1983 in den Bundestag einzogen, waren
Frauen - ein gutes Drittel. Die Grünen hatten begriffen, dass es einer
Brechstange bedurfte, um die Vorstellung von Politik als Männergeschäft zu
verändern. Die Brechstange war die Quote.
"Wer Geschlechtergerechtigkeit will, kommt an der Quote nicht vorbei. Das
war früher so, das ist heute immer noch so", sagt Irmingard Schewe-Gerigk,
von 1998 bis 2009 frauenpolitische Sprecherin der grünen
Bundestagsfraktion.
Dabei musste sich die Quote jahrelang auch innerhalb der Grünen immer
wieder verteidigen. Als "Quotenfrau" wollte und will keine Grüne bezeichnet
werden. "Der Begriff wird von Quotengegnern gern zur Diskreditierung von
Frauen herangezogen.
Manche Frauen lehnen diesen Begriff daher ab und sagen, sie wollen allein
wegen ihrer Leistung eine bestimmte Position", sagt Schewe-Gerigk: "Dabei
besagt das Quotengesetz, dass es inkompetente Quotenfrauen gar nicht geben
kann, weil die Qualifikation im Vergleich zum männlichen Bewerber zumindest
gleich sein muss." In den meisten Fällen seien die Frauen sogar besser, wie
Auswertungen des Bundesgleichstellungsgesetzes zeigten.
Die Idee, es ausschließlich durch die eigene Fähigkeiten schaffen zu können
und deshalb keine Quote zu brauchen, hatten auch die grünen Ostfrauen. Sie
waren eher bürgerrechtlich als frauenpolitisch geschult und setzten eigene
politische Prämissen, die Quote zählte nicht dazu.
Als sich die westdeutschen Grünen und Bündnis 90, der Zusammenschluss der
ostdeutschen Bürgerrechtsgruppen, 1993 fusionierten, lehnten die meisten
Ostfrauen die Quote vehement ab. So auch Katrin Göring-Eckardt, seit 2005
Vizepräsidentin des Bundestags, die sich immer offen gegen die Quote
ausgesprochen hat. "Ich wollte nie eine Quotenfrau sein", sagte sie 2003
auf einem Wirtschaftsforum: "Und? Wo bin ich gelandet? An der weiblichen
Doppelspitze." Von 2002 bis 2005 war sie gemeinsam mit Krista Sager
Fraktionsvorsitzende im Bundestag. Göring-Eckardt revidierte ihre
Ablehnung, andere Ostfrauen zogen nach. Schnell merkten auch sie: Es geht
eben doch nicht ohne.
Die Quote der Grünen machte Eindruck. Aber nicht nur, weil sie so radikal
und modern war. Der SPD beispielsweise liefen Mitte der Achtzigerjahre die
jungen Frauen in Richtung Grüne davon. Dort sahen sie echte Chancen für
politischen Einfluss und eine feministische Politik.
Der Vergleich der SPD mit den Grünen zeigte, dass man unbewussten Barrieren
wie der politischen Gesprächskultur oder generell der Vorstellung vom
Politiker als starken Mann mehr entgegensetzen kann als Achselzucken und
Durchhalteparolen für die wenigen Frauen, die es sich antaten, Politik zu
machen
Nun spürte die Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen (ASF), die
seit Langem eine Quote forderte, Rückenwind. Egon Bahr, damals
Bundesgeschäftsführer, schacherte noch ein bisschen, er bot 25 Prozent, die
ASF lehnte ab. Schließlich orientierte man sich an Norwegen und einigte
sich auf eine 40-Prozent-Quote, übrigens für beide Geschlechter, was oft
vergessen wird. Und so konnten nun auch die weiblichen SPD-Granden mit
leichtem Herzen die schöne Schleife: "Ich war ja eigentlich immer gegen die
Quote" (denn ich hab's ja auch ohne geschafft!) anbringen, um danach mit
tiefem Seufzen kundzutun: "Aber es geht nicht anders."
Mit ähnlichem Seufzen, aber weniger konsequent bequemte sich die andere
Volkspartei daraufhin 1995 zu einem "Quorum". Seither gilt, dass ein
Drittel der Funktionäre und Mandate möglichst an Frauen gehen soll. Wird es
nicht erreicht, ist ein zweiter Wahlgang nötig, der dann aber unabhängig
vom Frauenanteil gilt. Hintergrund war ebenfalls ein Rückgang des
Frauenanteils unter Mitgliedern und Abgeordneten.
Allerdings ist das Quorum nur mäßig erfolgreich: Der Frauenanteil der Union
schrumpfte im aktuellen Bundestag auf 20,1 Prozent, er ist damit kleiner
als der der FDP mit 24,7 Prozent. Die SPD dagegen steigerte ihren von 36,2
auf 38,4 Prozent - und die Grünen und die Linke liegen mit ihren festen
Quoten bei jeweils über 50 Prozent.
Dennoch hat die Quote eine Wirkung auf die anderen Parteien: Ohne Frauen
sieht man inzwischen verdammt alt aus. Daher kaschierte etwa die FDP eine
Zeit lang mit ihrer Vorzeigefrau Silvana Koch-Mehrin, dass diese einer sehr
männlichen Liberalen-Gruppe im Europaparlament vorsaß. Aber nicht mal das
machte sich auf die Dauer gut: Mittlerweile sind 5 der 12
FDP-Europaabgeordneten Frauen. Die Union hat zwar Angela Merkel jahrelang
als Antiquotenargument gebraucht, aber auch sie wird die Quotendebatte
nicht los.
Denn über die verschiedenen Gleichstellungsgesetze im öffentlichen Dienst
ist die Quotendebatte tief in die Gesellschaft gesickert: Alle kennen eine
Frau, die skandalöserweise bei einer Stellenbesetzung ausgebootet wurde,
oder einen Mann, der ebenso angeblich "nur" wegen einer "Quotenfrau" nicht
zum Zuge kam.
2010 ist die Quotendebatte nach langem Ringen verstärkt in der
Privatwirtschaft angekommen: Seit Norwegen, Spanien und die Niederlande mit
einer Quote für Aufsichtsräte vorangehen, ist wieder dieser "Grünen-Effekt"
entstanden: Man sieht plötzlich, dass es geht, dass die Welt nicht
zusammenbricht, wenn mehr Frauen etwas zu sagen haben. Im Gegenteil: Die
Gesprächskultur verbessert sich, gemischte Arbeitsgruppen sind
leistungsfähiger, motivierter und erfolgreicher.
So entdeckt die Wirtschaft die Frauen auch nicht aus Demokratie- oder
Fairnessgründen: Sie wollen schlicht die Besten für ihre Führungsteams, und
das sind mittlerweile oft Frauen.
Was aber noch zu tun bleibt und was weder Grüne noch Politik noch
Wirtschaft bisher ausreichend verstanden haben: Mit der Quote werden Frauen
über eine Schwelle gehievt, die es für Männer gar nicht gibt. Dann aber
sitzen sie in einem Terrain, das immer noch strukturell frauenfeindlich
ist: Arbeitszeiten, Kommunikationsstrukturen, Leitbilder. Die Quote, das
alte Brachialmittel, kann daran nur wenig ändern. Und die Grünen, ehemals
Avantgarde, haben für die Geschlechterpolitik von morgen noch kein neues
Rezept, solange sie magere sechs Wochen Väterzeit für Cem Özdemir als
Errungenschaft verkünden müssen.
13 Jan 2010
## AUTOREN
H. Oestreich
S. Schmollack
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