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# taz.de -- Reinhold-Messner-Film: Das wissen nur die Murmeltiere
> Joseph Vilsmaiers Spielfilm "Nanga Parbat" kraxelt auf Reinhold Messners
> Spuren durch den Himalaja. Und beleuchtet den Berg-Tod von Messners
> Bruder.
Bild: Kalt und hoch.
Der Berg ist groß, der Mensch ist klein. Wollen beide in einem Film
mitspielen, haben sie ein Problem. Nicht nur wegen Luis Trenker und Leni
Riefenstahl, wegen des Schicksalsschauders und der Todestrunkenheit, wegen
des NS-Ballasts und der Heldenverehrung, sondern, ganz schlicht, wegen des
Maßstabs. Der Berg kommt am besten in der Panoramatotale zur Geltung, nur
so entfaltet sich sein dramatisches Potenzial. Der Mensch schrumpft in der
Panoramatotale zum Ziegenköttel, ob er ein Gesicht hat, wissen die
Murmeltiere. Kleinere Einstellungsgrößen sind nötig, damit er sein
dramatisches Potenzial entfalten kann, und die wiederum bringen es mit
sich, dass vom Berg nur ein Ausschnitt zu sehen ist. Dieses Stück Wand
freilich könnte sich überall befinden, zwei, zweihundert, zweitausend Meter
über dem sicheren Grund. Oder im Filmstudio.
Die meisten Bergfilme helfen sich aus der Not, indem sie beständig zwischen
Panorama- und Halbtotale hin- und herschneiden und so einen Zusammenhang
behaupten, der vom Material nicht belegt wird. Kaum erscheinen die
Bergsteiger in der Halbtotale, weiß man nicht, wo genau sie sich befänden,
sähe man das große Ganze. Umgekehrt verschafft auch der Blick aufs große
Ganze keine Klarheit. Der Zuschauer übernimmt die Perspektive derjenigen,
die im Basislager ausharren, hinter ihren Feldstechern die Augen
zusammenkneifen und die Wand anstarren. Ohne Fortune.
Geschicktere Bergfilmer - man kommt nicht umhin, an Arnold Fanck zu denken
- verlassen sich auf die Vertikale. Sobald die Kamera von oben nach unten
oder von unten nach oben blickt, vermittelt sie eine Ahnung von den
tatsächlichen Proportionen, von Höhe und Abgrund, von Schwindel, Drama und
Gefahr. Der Übergang vom NS-Unterhaltungs- zum Wirtschaftswunderkino gelang
Fanck und seinen Mitstreitern, so viel sei nebenbei erwähnt, ohne Mühe.
"Die weiße Hölle vom Piz Palü" (1935) wurde 1950 als "Föhn" mit Liselotte
Pulver anstelle Leni Riefenstahls neu verfilmt, und die Kameramänner, die
für Fanck in den Dolomiten und am Mont Blanc arbeiteten, waren in den
50er-Jahren an Produktionen wie "Die Försterbuben" oder "Der fröhliche
Weinberg" beteiligt.
Und schon ist man mitten drin in der Gegenwart, genauer gesagt, bei "Nanga
Parbat", dem neuen Film von Joseph Vilsmaier, der sich, seit er 1988 mit
"Herbstmilch" als Regisseur debütierte, an der Wiederbelebung des Heimat-
und Wirtschaftswunderkinos versucht. Er hat dabei ein doppeltes Problem:
Zum einen fehlen ihm der nötige Spaß am Antiheimatfilm und der Abstand, der
es ihm erlaubte, über die historischen Voraussetzungen dieses Kinos
nachzudenken. Zum anderen fehlt ihm die Virtuosität eines Arnold Fanck. Der
Stoff von "Nanga Parbat" bietet zwar alles, was ein echtes Drama braucht,
doch der Film bleibt so öde wie eine Skipiste im August. Erzählt wird von
einer Himalaja-Expedition, an der Reinhold Messner im Sommer 1970 teilnahm.
Messner bestieg damals den 8.125 Meter hohen Nanga Parbat über die bis
dahin unbegangene Rupalwand; sein Bruder Günther kam bei der Expedition ums
Leben.
Ungeklärte Umstände
Die Umstände seines Todes waren lange Zeit ungeklärt. Reinhold Messner
stand im Verdacht, den höhenkranken Bruder zurückgelassen zu haben, weil er
um jeden Preis zum Gipfel wollte. Dies behaupteten zwei Teilnehmer
derselben Expedition, Hans Saler und Max von Kienlin. Im Gegenzug warf
Messner ihnen vor, sie hätten versäumt, seinem Bruder und ihm zu Hilfe zu
kommen. Der Streit zog drei Verfahren vor Hamburger Gerichten nach sich;
Saler und von Kienlin mussten von ihren Behauptungen abrücken und
Unterlassungserklärungen unterzeichnen. Seit 2005 Kleidung und Knochen von
Günther Messner gefunden wurde, deutet vieles darauf hin, dass die Brüder
gemeinsam den Gipfel erreichten, über die Diamirflanke abstiegen und
Günther dort von einer Lawine erfasst wurde.
"Nanga Parbat" interessiert sich wenig für die Details; der Film schmiegt
sich an Messners Sichtweise, was naheliegt, da der Südtiroler Bergsteiger
dem Regisseur als Berater zur Seite stand. Vor allem erweckt "Nanga Parbat"
den Eindruck, dass es auf 8.000 Höhenmetern kalt, windig und ungemütlich
ist. Weil es meistens schneit und stürmt, kann man nicht besonders gut
sehen. Der Wechsel von der Panorama- zur Halbtotale, vom Berg zu den
Figuren gerät eintönig, und diese Eintönigkeit wird umso größer, je
häufiger Vilsmaier Luftaufnahmen des Achttausenders verwendet, um
Erhabenheit zu suggerieren. Reinhold Messner (Florian Stetter) und der
Expeditionsleiter Karl Maria Herrligkoffer (Karl Markovics) verstricken
sich zudem in einen Konflikt, der ohne jedes Geheimnis ist. Herrligkoffer
ist der Inbegriff des militärisch-nationalstolzen Berggehers; wer ihm
zuhört, leidet - ruckzuck - an Heldenkoller. Messner erscheint dagegen als
Freigeist der Berge.
Und die "suspension of disbelief", die Verführung des Zuschauers, Dinge zu
glauben, die er jenseits des Kinos nicht glaubt? Die scheitert in "Nanga
Parbat" schon daran, dass die Figuren im Südtiroler Villnösstal, Messners
Heimattal, den Südtiroler Dialekt nicht über die Lippen bringen.
14 Jan 2010
## AUTOREN
Cristina Nord
Cristina Nord
## TAGS
Spielfilm
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