Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Archäologe Wiechmann zu Störtebeker: "Enthauptung war eine ehrenh…
> Aus dem Museum für Hamburgische Geschichte wurde kürzlich der Schädel
> gestohlen, der angeblich dem 1401 geköpften Piraten Klaus Störtebeker
> gehörte. Ob es den Anführer der Vitalienbrüder wirklich gab, weiß die
> Wissenschaft bis heute nicht.
Bild: Wer ihn wiederfindet, bekommt eine Belohnung: Der Klaus Störtebeker zuge…
taz: Herr Wiechmann, gehörte der aus dem Museum für Hamburgische Geschichte
gestohlene Schädel überhaupt dem Piraten Klaus Störtebeker?
Ralf Wiechmann: Es war ein originaler menschlicher Schädel aus der Zeit um
1400. Dafür, dass es Klaus Störtebekers Kopf ist, gibt es allerdings nur
Indizien. Ein eindeutiger Beweis steht noch aus.
Welcher Art sind die Indizien?
Da wäre einmal der Fundort: Der Schädel wurde ja - zusammen mit einem
Beischädel, den wir gleichfalls ausstellen - auf dem Grasbrook gefunden.
Auf dieser vor Hamburg gelegenen Insel war der mittelalterliche
Hinrichtungsplatz. Man weiß, dass dort im 15. und im frühen 16. Jahrhundert
Seeräuber, die man gefangen genommen hatte, hingerichtet wurden. Und zwar,
indem man ihnen die Köpfe abschlug, die man anschließend auf Pfähle
nagelte. Genau so hat man die beiden Schädel, die bei uns ausgestellt
waren, vorgefunden. Derjenige, der als Störtebeker-Schädel gilt, wurde
allerdings so vorsichtig genagelt, dass das Gesicht kenntlich blieb. Das
war selten. Wir haben diese Sonderbehandlung so interpretiert, dass das
jemand Prominentes war, dessen Identität länger kenntlich bleiben sollte.
Denn der Hinrichtungsplatz lag ja am Rande des Hamburger Hafens, so dass
alle Schiffe, die einfuhren, daran vorbeikamen. Und da hat die Hansestadt
natürlich stolz die geköpften Stadtfeinde aufgepfählt. Die bekanntesten
unter ihnen sollten besonders lange kenntlich bleiben.
Ist das Aufspießen nicht eine Form von Fetischismus, der auch für damalige
Verhältnisse recht konservativ war?
Ein gewisser Konservatismus drückt sich darin tatsächlich aus. Die
Hamburger haben damals sehr lange an dem germanischen Rechtssystem
festgehalten. Und das lübische Recht schrieb vor, dass man die Köpfe von
Seeräubern abschlagen und aufnageln solle.
Das wirkt wie ein pervertierter Reliquienkult.
Ich weiß nicht, ob diese Praxis etwas mit christlichen
Glaubensvorstellungen zu tun hat. Falls ja, verschränken sie sich
jedenfalls mit apotropäischen Praktiken: Man wollte die Feinde abschrecken
und entdämonisieren. Man hatte ja immer auch ein bisschen Angst vor
Wiedergängertum und dergleichen. Letzteres suchte man durch das Festnageln
des Kopfes an diesem bestimmten Ort zu unterbinden. Andererseits war das
Abschlagen des Kopfes eine ehrenhafte Strafe.
Im Gegensatz zu?
Verbrennen und Hängen. Diese Hinrichtungsarten waren wesentlich
schmerzhafter und langwieriger. Das Abschlagen des Kopfes, das ja relativ
schnell ging, galt dagegen als ehrenhaft. Das hängt wohl damit zusammen,
dass die Vitalienbrüder beziehungsweise die Kaperfahrer nicht im Geheimen
agierten. Kaperfahrer waren meist mit einem Kaperbrief unterwegs, waren
Söldner zu See und in ihrem Tun letztlich legitimiert. Deshalb hat man
ihnen wohl diese ehrenhafte Strafe zuteil werden lassen.
Wie gesichert ist die Existenz eines Kaperfahrers namens Klaus Störtebeker?
Einige sagen, er habe in Wirklichkeit Johann geheißen und sei Kaufmann in
Danzig gewesen.
In der Tat lässt sich nicht beweisen, dass der Schädel, der jetzt entwendet
wurde, wirklich zu Klaus Störtebeker gehört. Nicht nur, weil man keine
anthropologisch und rechtsmedizinisch eindeutigen Beweise hat, sondern
auch, weil die schriftliche Überlieferung nicht eindeutig ist. Namhafte
Forscher haben einige Unstimmigkeiten nachgewiesen: Da gibt es einerseits
schriftliche Quellen um 1400, in denen ein Störtebeker erwähnt wird, der
den Vornamen Nicolaus trägt. Den hat es übrigens wirklich gegeben. Er wird
in einem Wismarer Verfestungsbuch von 1380 erwähnt. Andererseits erwähnen
von Geschichtsschreibern verfasste Chroniken, die 30 Jahre später
entstanden, einen Klaus Störtebeker. Ob diese Figuren identisch sind oder
ob der legendäre Störtebeker, den wir aus englischen Schriftquellen vom
Ende des 14. Jahrhunderts kennen, nicht doch Johann Störtebeker ist, wissen
wir nicht. Angesichts dieser uneinheitlichen Überlieferung gibt es
verschiedene Möglichkeiten: Entweder gab es zwei Männer, die Störtebeker
hießen und beide Piraten waren. Oder es gibt doch nur einen, über dessen
Leben aber nicht viel bekannt ist.
Wie viel ist der aus Ihrem Museum gestohlene Schädel eigentlich wert?
Das lässt sich schwer beziffern. Mittelalterliche Schädel kann man ja nicht
kaufen. Andererseits gibt es natürlich sehr viele solcher Schädel, die aus
archäologischen Gräberfunden stammen. Der Klaus Störtebeker zugeschriebene
Schädel ist aber insofern einzigartig, als er den einzigen Beleg für diese
spezielle Rechtspraxis des Mittelalters darstellt. Am interessantesten ist
aber wohl sein ideeller Wert: Die vielen Geschichten und Sagen, die sich um
Klaus Störtebeker ranken, hängen auch an diesem Objekt. Dieser Schädel war
für unser Museum so etwas wie die Mona Lisa.
Wer stiehlt solch einen Schädel? Gibt es dafür überhaupt einen Markt?
Sammler gibt es immer, einen echten Markt natürlich nicht: Ein Objekt, das
derart oft in den Medien abgebildet wurde, dürfte schwer verkäuflich sein.
Insofern muss man sich tatsächlich fragen: Wer immer den Schädel gestohlen
hat: Was will er damit? Denn es ist ja kein Kunstobjekt im engeren Sinne.
Stimmt es, dass Störtebeker - wie Robin Hood - aufgrund seines
Gerechtigkeitssinns lange als Identifikationsfigur der linken Szene galt?
Ja. Gerade aufgrund der Tatsache, dass die Vitalienbrüder, die er anführte,
ja auch als Likedeeler - Gleichteiler - bezeichnet wurden. Da gab es noch
bis in die DDR-Literatur hinein Verbindungen.
Falls es ihn also gab: War der Pirat Klaus Störtebeker wirklich so
demokratisch?
Sicher feststellen kann man das natürlich nicht. Denn obwohl sie sich als
Likedeeler bezeichneten, wurden Steuermann und Navigator innerhalb der
Piratencrew sicher besser entlohnt als der Rest der Mannschaft.
Außerdem haben sie die Waren doch gestohlen, um sie zu verkaufen und nicht,
um sie den Armen zu schenken, oder?
So ist es.
20 Jan 2010
## AUTOREN
Petra Schellen
Petra Schellen
## TAGS
Piraten
## ARTIKEL ZUM THEMA
Mythos Störtebeker: Der angebliche Robin Hood der Meere
Über Klaus Störtebeker gibt es viele Geschichten, aber wir wissen nur
wenig. Populär bleibt er trotzdem. Der gute Pirat ist eine gute
Projektionsfläche.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.