| # taz.de -- Flüchtende Haitianer: Weg, so weit weg wie möglich | |
| > Nach dem Erdbeben in Haiti versuchen nun viele Menschen, die Hauptstadt | |
| > Port-au-Prince zu verlassen. Die USA rüsten Guantanamo für Flüchtlinge | |
| > aus. | |
| Bild: Warten auf ein Boot: Haitianer in Port-Au-Prince. | |
| Die Busbahnhöfe sind überfüllt. Die Menschen dränglen sich, um einen der | |
| wenigen Plätze in den Tap-Tap-Bussen zu ergattern, oder versuchen, einen | |
| Platz auf den Lkws zu finden, die für den öffentlichen Personenverkehr | |
| benutzt werden. | |
| "Was soll ich hier noch?", fragt ein Mann, der, einen Koffer auf dem Kopf | |
| jonglierend, in Richtung des Busbahnhofs in Tabarre eilt, von wo aus Busse | |
| in Richtung der dominikanischen Grenze abfahren. "Das Essen wird weniger, | |
| und es gibt mehr Leute, die nach Essen oder Verwertbarem suchen." | |
| Obst und Gemüse gibt es dennoch ausreichend. In manchen Straßenzeilen rund | |
| um das Zentrum von Petionville, einem Vorort der haitianischen Hauptstadt | |
| Port-au-Prince, bietet sich dem Beobachter wie in alten Tagen das Bild von | |
| Frauen, die ihre Waren feilbieten. Nur klingt es nicht so laut wie sonst. | |
| Mangos, Passionsfrüchte, Apfelsinen, Pampelmusen, Jamswurzeln, Kürbisse, | |
| Koch- und Obstbananen. Das landwirtschaftliche Hinterland versorgt die | |
| haitianischen Hauptstadt nach wie vor. | |
| Aber alles wird teurer. Für einen Beutel Wasser, ungefähr von der Menge | |
| eines Wasserglases, das vor neun Tagen noch einen Gourd (umgerechnet 2 | |
| Cent) kostete, wird nun das Drei- bis Vierfache verlangt. Nach all den | |
| Verheerungen, die das Beben angerichtet hat, könnten nun auch die Folgen | |
| des Bebens die Menschen zur Flucht bewegen - kein Wunder, dass | |
| Kommentatoren in haitianischen Rundfunksendern mutmaßen, dass die Aussicht | |
| auf eine Flüchtlingswelle über das Meer Richtung USA die US-Regierung dazu | |
| veranlasst haben könnte, das Regiment in Haiti zu übernehmen. | |
| Denn schon immer hat die Bevölkerung es in Krisensituationen vorgezogen, | |
| auszuwandern. Die Grenze zur ungleich wohlhabenderen Dominikanischen | |
| Republik ist nah, gewöhnlich dauert die Fahrt mit dem Bus von | |
| Port-au-Prince bis zum Grenzort Malpasse eine Stunde. Und dann gibt es | |
| natürlich den Weg übers Meer: 1.200 Kilometer bis an die Küste Floridas. | |
| Rund um die Stadt Gonaïves, rund 180 Kilometer nördlich der haitianischen | |
| Hauptstadt, leben ganze Dörfer davon, einfache Barkassen zu bauen, die für | |
| den Transport von illegalen Migranten Richtung USA genutzt werden können. | |
| Rund zwanzig lange Barkassen liegen am Hafen, nur wenige Boote sind in der | |
| Lage, eine Überfahrt unbeschadet zu überstehen. | |
| Die Menschen kauern während der tagelangen Fahrt auf dem Boden des Bootes. | |
| Es mangelt an Wasser und Lebensmittel. "Es war die Hölle", erzählte Antoine | |
| Joseph, ein 35 Jahre alter Arbeitsloser, der vor einem Jahr bei seinem | |
| Versuch, in die USA überzusetzen, mit zwei Dutzend anderen Schiffbruch | |
| erlitt. "Aber ich würde es wieder versuchen", sagt er. Immer wieder | |
| stranden Boote auf ihrer Irrfahrt auf Jamaika, Kuba oder den Bahamas, wo | |
| die Insassen in Gefängnissen landen, ehe sie in ihre Heimat abgeschoben | |
| werden. | |
| Eines der wichtigsten Zentren des illegalen Schiffsbaus in Haiti dürfte | |
| jedoch für lange Zeit nicht mehr als Schiffswerft zur Verfügung stehen: das | |
| Dorf Ça Ira, rund 40 Kilometer südwestlich von Port-au-Prince und damit in | |
| unmittelbarer Nähe des Epizentrums des Bebens gelegen. Die nächstgelegene | |
| Kleinstadt Légâne ist fast völlig zerstört, ähnliche dürfte es in Ça Ira | |
| sein, wohin noch immer keine Hilfskräfte gelangt sind. | |
| Einfache als die Überfahrt in die USA ist die illegale Einwanderung in die | |
| Dominikanische Republik. Zwar wird der Grenzübergang inzwischen von einer | |
| in den USA ausgebildeten Sondereinheit überwacht, aber nur wenige hundert | |
| Meter weiter in der Hügellandschaft, die die beiden Länder auf der | |
| zweitgrößten Karibikinsel Hispaniola auf rund 370 Kilometern trennt, kann | |
| der Beobachter auch mit bloßen Augen die illegalen Grenzgänger beobachten, | |
| die die überhaupt nicht gesicherte Trennungslinie überwinden. | |
| Rund 80 Euro kostete noch vor einer Woche der illegale Transport mit einem | |
| Kleinbus von Haiti bis in die dominikanische Hauptstadt, inklusive | |
| Bestechung der Grenzpolizisten und der Polizisten an den Kontrollpunkten, | |
| die im Süden des Landes, im Abwehrkampf gegen illegale Einwanderer, überall | |
| errichtet sind. In der Dominikanischen Republik leben rund eine halbe | |
| Million illegale Einwanderer, ohne die Arbeitskraft der "Haitianos" würde | |
| in Santo Domingo kein Hotel gebaut, könnten die Menschen am Straßenrand | |
| keinen frisch gepressten Orangensaft trinken und würde die Reis- und | |
| Gemüseernte brachliegen. | |
| Guantánamo ist bereit | |
| Die USA, wo bereits jetzt schätzungsweise 1 Million Haitianer leben (siehe | |
| Text unten), aber rechnen offenbar mit einer Massenflucht über die Karibik. | |
| Wie Konteradmiral Thomas Copeman am Mittwoch sagte, bereitet man den | |
| Militärstützpunkt Guantánamo auf Kuba für einen möglichen Ansturm | |
| haitianischer Flüchtlinge vor. | |
| Auf dem Gelände wurden bereits etwa hundert Zelte für jeweils zehn Personen | |
| errichtet, Sollten Überlebende der Erdbebenkatastrophe in Haiti tatsächlich | |
| massenweise ihr Land verlassen, stünden mehr als tausend weitere Zelte zur | |
| Verfügung. | |
| Auch Feldbetten und andere Dinge seien für den Notfall gelagert, sagte | |
| Copeman. Der Admiral ist Befehlshaber der Sondereinheit, die für das | |
| umstrittene US-Gefangenenlager für Terrorverdächtige auf dem | |
| Marinestützpunkt zuständig ist. Die Flüchtlinge aus Haiti würden allerdings | |
| getrennt von den noch rund 200 Lagerinsassen untergebracht werden. Das | |
| Gefangenenlager und das Auffanglager für Flüchtlinge liegen etwa vier | |
| Kilometer auseinander. Anfang der Neunzigerjahre waren bereits tausende | |
| Bootsflüchtlinge aus Haiti vorübergehend auf dem Stützpunkt Guantánamo | |
| untergebracht worden. (mit apn) | |
| 21 Jan 2010 | |
| ## AUTOREN | |
| Hans-Ulrich Dillmann | |
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