# taz.de -- ARD-Doku Natascha Kampusch: Die Stärke, im Verlies zu überleben | |
> "Die Meute will sie schwach und gebrochen sehen", sagt der Regisseur der | |
> ARD-Doku über Kampusch: Sein Film "3.096 Tage Gefangenschaft" zeigt eine | |
> ganz andere Frau. | |
Bild: Zu selbstbewusst für die Medien: Natascha Kampusch. | |
HAMBURG taz | "Sachbücher und philosophische Werke", sagt Natascha | |
Kampusch, habe sie während ihrer Gefangenschaft im Haus ihres Peinigers | |
Wolfgang Priklopil gelesen. Welche Lektüre sie heute bevorzugt, ist nicht | |
bekannt - aber die Vermutung, ihr könnten die Romane Thomas Bernhards | |
gefallen, ist nicht völlig abwegig. | |
Als die 21-Jährige bei der Vorstellung der Dokumentation "Natascha Kampusch | |
- 3.096 Tage Gefangenschaft" im Hotel Atlantic in Hamburg über die | |
"neidisch-aggressive Wiener Mentalität" redet und sich über den | |
österreichischen Medienbetrieb beklagt, erinnert die Botschaft an Bernhards | |
geschliffene Schmähungen alles Österreichischen. | |
In ihrem Heimatland sei sie es gewohnt, dass Journalisten "sich nicht mit | |
Namen vorstellen" und sie nicht ausreden ließen, sagt Kampusch im | |
prunkvollen Atlantic-Saal. Die österreichischen Medien macht sie | |
mitverantwortlich dafür, dass Menschen Aggressionen auf sie projizierten. | |
"Die ganze Tat löst Aggressionen aus", sagt Kampusch. Und da sie nach dem | |
Selbstmord des Täters die einzige Person sei, "die noch greifbar ist, bin | |
ich diejenige, die das abkriegt". | |
Aufgrund dieser Vorgeschichte bekam mit dem Autor Peter Reichard und der | |
Regisseurin Alina Teodorescu ein deutsches Team den Zuschlag für "3.096 | |
Tage Gefangenschaft". Die beiden erklären sich die Haltung der Medien | |
gegenüber Kampusch damit, dass sie nicht bereit gewesen sei, eine typische | |
Opferrolle zu spielen, sondern kurz nach der Befreiung selbstbewusst | |
auftrat und sich dabei einer Sprache bediente, die ziemlich reif klang für | |
eine junge Frau. "Die Meute", sagt Teodorescu, wolle sie "schwach und | |
gebrochen sehen". | |
Ihr Film liefert eine Chronologie des Martyriums aus der Sicht des Opfers. | |
Für die Interviews ist Natascha Kampusch in das Haus ihrer Gefangenschaft | |
in einem Wiener Vorort gefahren. Während sie eingesperrt war in dem 4,78 | |
Quadratmeter engen Verlies unter Priklopils Garage, hatte sie noch eine | |
hohe Meinung von den Medien, die für sie die einzige Verbindung zur | |
Außenwelt darstellten. "Besonders das Radio war für mich eine | |
Ersatzfamilie", sagt Kampusch. | |
Das erklärt vielleicht auch, warum sie kurz nach ihrer Selbstbefreiung 2006 | |
den Kontakt zu den Medien keineswegs scheute (was ihr manche Journalisten | |
vorgeworfen haben) und für den Privat-TV-Sender Puls 4 sogar eine nach drei | |
Folgen eingestellte Talkshow moderierte. Besonders die ORF-Sendung "Im | |
Gespräch" hatte sie schätzen gelernt, und so etwas Ähnliches habe sie halt | |
auch gern machen wollen, sagt sie. | |
"3.096 Tage Gefangenschaft" ist ein sehr ruhiger, minimalistischen Film | |
geworden. Regisseurin Teodorescu ist es gelungen, die unvorstellbare Enge | |
wiederzugeben, sodass nicht nur die Folter zu erahnen ist, sondern man auch | |
versteht, wie viel Stärke es braucht, in dem Verlies zu überleben und bei | |
klarem Verstand wieder herauszukommen. | |
Kampusch merkt man an, welche Anstrengung es sie kostet, Reichards Fragen | |
zu beantworten, trotzdem wirkt sie gefestigt. Über ihre Zukunft macht sie | |
sich keine Illusionen: "Ich habe einen Stempel auf der Stirn, selten wird | |
mir jemand wertfrei begegnen können." | |
"Natascha Kampusch - 3.096 Tage Gefangenschaft", Montag, 21 Uhr, ARD | |
24 Jan 2010 | |
## AUTOREN | |
René Martens | |
## TAGS | |
TV-Serien | |
ARD | |
Cleveland | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Prämierte Netflix-Serie „Liebes Kind“: In deutschen Kellern | |
Die deutsche Netflix-Serie „Liebes Kind“ hat den internationalen Emmy | |
erhalten. Sie ist nicht schlecht, aber auch nur wie ein längerer | |
Sonntags-„Tatort“. | |
Spielfilm über Kampusch in der ARD: Wurstsalat und Gutenachtkuss | |
„3096 Tage“ von Regisseurin Sherry Hormann zeigt das Martyrium der Natascha | |
Kampusch. Das Opfer bleibt dem Zuschauer so fremd wie der Täter. | |
Drei in USA entführte Frauen wieder frei: Zehn Jahre lang gefangen gehalten | |
Vor einem Jahrzehnt wurden drei junge Frauen entführt und seitdem in einem | |
Haus in Cleveland gefangen gehalten. Eine von ihnen konnte sich jetzt | |
befreien. |