| # taz.de -- Eberswalder Jugendbündnis gegen Neonazis: Der Traum von Toleranz | |
| > Rund um Eberswalde hat sich in den vergangenen Jahren eine starke | |
| > Neonaziszene etabliert. Die meisten Menschen dort kümmert das kaum. | |
| > Florian Görner und Sebastian Walter haben deshalb ein Jugendbündnis | |
| > gegründet. Ihre Arbeit zeigt inzwischen erste Erfolge | |
| Bild: Die große Neonazi-Szene ist vielen Eberswaldern egal. | |
| Sebastian Walter ist zuversichtlich: "Eine zarte multikulturelle | |
| Gesellschaft entsteht in Eberswalde", ist der 19-Jährige überzeugt. Dazu | |
| gehören der türkische Dönerladen, diverse vietnamesische Imbisse und der | |
| Afrikanische Kulturverein Palanca. In der brandenburgischen Stadt rund 60 | |
| Kilometer nordöstlich von Berlin gibt es aber auch Hinweise auf eine ganz | |
| andere Kultur: Da ist etwa ein Laden, der die bei Neonazis beliebte Marke | |
| "Thor Steinar" vertreibt, und jenes Grundstück in Finowfurt, das dem | |
| DVU-Kreisvorsitzenden gehört und einem Schild zufolge "Deutsches | |
| Reichsgebiet" ist. | |
| "Das eine wollen wir unterstützen, das andere möglichst loswerden", sagt | |
| der schlanke, blonde Jugendliche im Kapuzenpullover und zapft sich am | |
| Tresen des Eberswalder Studentenklubs ein Bier. An einem Tisch gegenüber | |
| sitzt der 21-jährige Florian Görner. Er ist kleiner als Sebastian Walter, | |
| aber kräftiger, trägt einen sorgfältig gepflegten Bart und ein blau-weiß | |
| kariertes Hemd. Die zwei jungen Männer sind die Begründer des Jugendbündnis | |
| Fete, das sich alle zwei Wochen in dem Klub trifft. Hier laden sie | |
| regelmäßig zu Videoabenden zum Thema Rechtsextremismus ein, Aussteiger | |
| berichten aus der rechten Szene und junge Musiker spielen Konzerte. | |
| Im vergangenen Jahr wurde Fete von einem Bündnis aus den Regierungen von | |
| Berlin und Brandenburg, gemeinnützigen Vereinen und Gewerkschaften mit dem | |
| "Band für Mut und Verständigung" ausgezeichnet. Gerade in einer | |
| strukturschwachen Region sei es ihnen gelungen, junge Menschen, die oft | |
| unpolitisch seien, zu mobilisieren. Neben guten Partys steht Fete aber auch | |
| buchstäblich "Für ein tolerantes Eberswalde" - der Wunschtraum des | |
| Bündnisses. | |
| Bis dieser wahr wird, dürfte es noch etwas dauern. Aus der ehemaligen | |
| DDR-Industriestadt ist eine Stadt der Arbeitslosigkeit geworden. Im | |
| weltbekannten Kranbauunternehmen arbeiteten einst mehr als 3.000 Menschen, | |
| heute sind es weniger als 200; im Walzwerk sind von 2.000 Arbeitsplätzen | |
| 160 übrig geblieben. Die Arbeitslosenquote beträgt 15 Prozent, viele | |
| Schüler ziehen nach dem Abschluss weg. Seit der Wende hat die Stadt ein | |
| Fünftel ihrer Einwohner verloren. Noch gut 41.000 Menschen leben hier. | |
| Schon kurz nach der Wiedervereinigung machte Eberswalde unschön auf sich | |
| aufmerksam: Im Dezember 1990 hetzen 50 Jugendliche Amadeu Antonio Kiowa | |
| durch die Stadt. Er wurde von Neonazis so schwer verprügelt, dass er kaum | |
| zwei Wochen später an schweren Kopfverletzungen starb. Passanten und | |
| Polizisten sollen nicht eingegriffen haben. Es ist der erste rassistische | |
| Mord in den neuen Bundesländern nach der Wende. Die Amadeu Antonio Stiftung | |
| gründet sich, um Initiativen gegen rechts zu stärken; die Eberswalder | |
| gedenken jährlich des Opfers. Doch zehn Jahre später werden die Räume des | |
| Afrikanischen Kulturvereins in Brand gesteckt; in demselben Jahr schubst | |
| ein Neonazi den 22-jährigen Falko Lüdtke vor ein Taxi; er überlebt nicht. | |
| Florian Görner und Sebastian Walter wachsen mit dem Gedenken auf, aber auch | |
| mit den Neonazi-Strukturen: Ende 2006 gründet sich ein NPD-Kreisverband, im | |
| Frühjahr 2007 gibt es die ersten Rechtsrock-Konzerte auf dem DVU-Grundstück | |
| in Finowfurt, im September 2007 zünden Neonazis einen vietnamesischen | |
| Imbissstand in Eberswalde an. Ende des Jahres haben Sebastian und Florian | |
| genug und gründen ihr Jugendbündnis. | |
| Beide sind damals schon politisch aktiv, Walter bei der Linksjugend Solid, | |
| Görner bei den Jusos. Beide kommen aus Dörfern bei Eberswalde, gehen in der | |
| Stadt aufs Gymnasium. Beide eint das Interesse, auch andere Schüler | |
| anzusprechen und sie für das Engagement gegen Neonazis zu gewinnen. Fete | |
| wird deshalb zum überparteilichen Bündnis, dem sich etwa ein Dutzend | |
| Jugendliche anschließen. Der Kern bilden aber weiterhin die beiden | |
| Initiatoren: Sebastian Walter, der Stratege, versteht es, auch die Position | |
| der Neonazis mit zu denken. Florian Görner, der Macher, stellt Artikel ins | |
| Netz oder spricht Termine für Konzerte ab. | |
| Um Eberswalde spitzt sich die Lage weiter zu: Mit den Rechtsrockkonzerten | |
| wird das DVU-Grundstück zu einem "Fixpunkt der gesamten | |
| rechtsextremistischen Szene in Brandenburg", stellt der Brandenburger | |
| Verfassungsschutz fest. Selbst in Berlin werben Kameradschaften mit dem | |
| "Veranstaltungsort". Der Vorsitzende des NPD-Kreisverbandes wird in seinem | |
| Heimatort in den Gemeinderat und auf der Liste der DVU in den Barnimer | |
| Kreistag gewählt. Das DVU-Sommerfest kurz vor den Wahlen entpuppt sich als | |
| rechtsextremer Aktionstag: Im benachbarten Joachimsthal demonstriert die | |
| NPD für die Wiedereinführung der Todesstrafe "für Kinderschänder". Neonazis | |
| gehen von der Demo zum Fest. Etwa 100 Jugendliche demonstrieren mit Fete | |
| dagegen. | |
| In Eberswalde ist es ruhiger. "Hier gibt es Neonazis, sie sind aber nicht | |
| besonders gut organisiert", beschreibt Sebastian Walter die Lage. | |
| Bürgermeister Friedhelm Boginski (FDP) sieht dennoch Gefahren: "Es gibt in | |
| der Bevölkerung eine latente rechte Einstellung, der kein Nährboden gegeben | |
| werden darf." Laut Fete würden aber viele Einwohner die Augen vor den neuen | |
| Neonazi-Strukturen verschließen, Rechtsextremismus werde nur ritualisiert | |
| im Gedenken an Amadeu Antonio thematisiert. "Wir müssen den Menschen | |
| klarmachen, dass so etwas wie der Mord an Amadeu Antonio nie, nie wieder | |
| geschehen darf", sagt Sebastian Walter. | |
| Fete will verhindern, dass Jugendliche von Rechtsrock-Konzerten angelockt | |
| werden, und zeigen, dass Neonazis die schlechteren Partys feiern. | |
| "Natürlich werden die nicht in nächster Zeit verschwinden", sagt Florian | |
| Görner. "Aber sie müssen spüren, dass sie nicht willkommen sind." | |
| Nicht alle sind davon begeistert: Als Fete ein Gegenkonzert zum | |
| DVU-Sommerfest anmelden will, sagt ihnen die Gemeindeverwaltung im | |
| Nachbarort ab. Offizielle Begründung: Der Platz sei nur für zehn laute | |
| Veranstaltungen im Jahr zugelassen und diese seien schon ausgebucht. Doch | |
| Bürgermeister Uwe Schoknecht (Bürgerbündnis Schorfheide) hat auch sonst | |
| wenig für das Jugendbündnis übrig: "Ich würde lieber einen | |
| Gedenkgottesdienst veranstalten, statt rechte und linke Jugendliche | |
| aufeinander prallen zu lassen." Bei der Eberswalder Stadtverwaltung rennt | |
| Fete hingegen offene Türen ein. "Es ist wichtig, dass sich die Jugendlichen | |
| aus eigenem Antrieb heraus engagieren", sagt Bürgermeister Boginski. | |
| Neonazis sind genervt | |
| Fete hat inzwischen Erfolge zu verzeichnen: Auf dem DVU-Grundstück finden | |
| seit einiger Zeit keine Konzerte mehr statt, für Polizei und | |
| Verfassungsschutz sind sie anerkannte Partner - und die Neonazis sind | |
| genervt. "Der DVU-Kreisvorsitzende hat mich letztens im Zug erkannt. Ich | |
| glaube, der hätte mich am liebsten geschlagen", erzählt Sebastian vergnügt | |
| und erleichtert, dass es nicht so weit kam. | |
| Der kommende Dezember ist bedeutsam für Eberswalde. Dann ist es 20 Jahre | |
| her, dass Amadeu Antonio ermordet wurde. Im Eberswalder Studentenklub | |
| erzählen die beiden Fete-Gründer von ihren Plänen: Sie wollen Seminare in | |
| Schulen veranstalten. Bei der Gedenkveranstaltung im Dezember organisieren | |
| sie die After-Show-Party. Und sie wollen sich endlich das Geschäft mit den | |
| "Thor Steinar"-Klamotten vorknöpfen, das von einem ehemaligen | |
| Kameradschaftsführer geleitet wird. | |
| Während viele Freunde nach dem Schulabschluss weggezogen sind, hält Fete | |
| die zwei jungen Männer in der Nähe von Eberswalde: Sebastian Walter will in | |
| Berlin studieren, Florian Görner macht eine Ausbildung bei der | |
| Stadtverwaltung. "Ich steh Schmiere", sagt Görner grinsend, und Walter | |
| ergänzt: "Von dem eigenen Baby kann man sich nicht so leicht trennen." Es | |
| sei ein schönes Gefühl, unter den Jugendlichen bekannt zu sein. "Ich werde | |
| häufig gefragt, wann wir wieder eine Veranstaltung machen", erzählt | |
| Sebastian Walter vor der Tür. Florian Görner knipst derweil das Licht aus | |
| und schließt ab: Unter der Woche ist im Studentenklub wenig los. | |
| 25 Feb 2010 | |
| ## AUTOREN | |
| Lalon Sander | |
| Mike Schmidt | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Stadtland | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Erinnerung an rassistische Gewalt: Zeichen gegen rechtsaußen | |
| Rechtsextremismus ist in Brandenburg weiterhin eine Gefahr. In Eberswalde | |
| erinnert man an den gewaltsamen Tod von Amadeu Antonio Kiowa. | |
| Nazis in Mecklenburg-Vorpommern: Das Hakenkreuz am Kirchturm | |
| Eines Morgens in Sternberg: Vom Kirchturm der verträumten mecklenburgischen | |
| Kleinstadt hängt plötzlich eine Hakenkreuzfahne. Was passiert jetzt? | |
| Nazi-Beratungsprogramm in Sachsen: Die Ratlosigkeit der Mütter | |
| Was, wenn der Sohn zum Nazi wird? Das Modellprojekt "Recall" berät besorgte | |
| Eltern. Meist melden sich die Mütter. Über 2010 hinaus ist die Finanzierung | |
| jedoch nicht gesichert. |