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# taz.de -- Comicbuch "Tamara Drewe": Intrigen, Lügen, Tote
> Als Klatschkolumnistin unter Schriftstellern: "Tamara Drewe" von der
> Comicautorin Posy Simmonds, die in England Simmonds längst gefeiert wird.
Bild: Hiesige Editionslücke gestopft: Cover von "Tamara Drewe".
Hier wird hartnäckig gearbeitet. Das englische Anwesen Stonefield ist ein
Refugium für SchriftstellerInnen, denen ihr Handwerk nur fernab vom urbanen
Raum und den unumgänglichen Alltagsverrichtungen gelingt. Für diese
Rahmenbedingungen sorgt in dem Comicbuch "Tamara Drewe" bis hin zur
Selbstaufgabe die in Verdrängung hochgradig geübte Beth Hardiman. Ihr
ebenfalls schreibender Gatte ist der ebenso eitle wie erfolgsverwöhnte
Krimiautor Nicholas, dessen regelmäßige Bettgeschichten Beth nach 25 Jahren
Ehe zähneknirschend und resigniert hinnimmt.
Mit der Ankunft der titelgebenden, attraktiven Klatschkolumnistin Tamara
Drewe entwickelt sich jedoch ein Intrigenspiel, geboren aus Lügen,
Eifersucht und vergeigten Träumen, das auch noch weitere Bewohner betreffen
wird. Am Ende jedenfalls gibt es zwei Tote.
Posy Simmonds zeichnet bereits seit Jahrzehnten Comics, Cartoons und
Illustrationen für den Guardian. Dort wurde "Tamara Drewe" zunächst
veröffentlicht. In England wird Simmonds längst gefeiert. Hierzulande
kannte man sie bislang lediglich als Kinderbuchautorin. Die
Veröffentlichung ihrer zweiten langen (und ersten ins Deutsche übersetzen)
Comicerzählung bei Reprodukt stopft fürs Erste eine hiesige Editionslücke.
Formal ist dieses Werk sehr ungewöhnlich: Der karikatureske Strich verleiht
den Figuren eine differenzierte Tiefgründigkeit, die die Paradoxie ihrer
Gefühlswelten vermittelt und ihnen selbst in den würdelosesten Momenten
noch als ein identitäres Gerüst dient. Das wird auch durch das
multiperspektivische Erzählen und die ungewöhnliche Wort/Bild-Fusion
errichtet: Panelreihen und Prosatexte befinden sich im ständigen Wechsel.
Die Interaktionen der Figuren innerhalb der Bilder werden regelmäßig
begleitet von ihren Selbstbeschreibungen und Erzählpassagen in Textform.
Tamara Drewe bleibt dabei bewusst außen: Ihre Sicht ist in den ebenfalls
abgedruckten Kolumnen zu lesen. Das ist weit mehr als ein bloßes Spiel mit
den Materialien oder ein fruchtbarer Versuch für gelingende Strategien der
Charakterisierung: Die Geschichte will mit ihrem tragisch-spielerischen
Humor die Befindlichkeiten des gut betuchten Teils der bürgerlichen
Mittelschicht beleuchten. Dafür greifen Mittel leiser Ironie - etwa wenn
ein Autor über die Wiesen mit roter Mütze stolziert, die signalisieren
soll, dass er während seiner Überlegungen nicht gestört werden will -,
sowie eher soziologische Betrachtungen.
Durch die stilistische Verknüpfung von äußerem Handeln und innerer
Wahrnehmung entsteht immer wieder ein Eindruck von der Brüchigkeit dieser
Scheinwelt, sei es der innere Rückzug als Verleugnung der kreativen Flaute,
die Teenager-Hoffnung auf die erwiderte Liebe mit dem Rockstar oder die
Illusion einer glücklichen Ehe. Die Charaktere scheinen habituell sehr
gebunden.
Tamara Drewe hingegen teilt ihre Befindlichkeiten unmittelbar mit der
Öffentlichkeit. Das allerdings erst, nachdem sie durch einen chirurgischen
Eingriff ihre Nase korrigieren ließ. Dass ihr Aussehen sie nun ausgerechnet
zur Chronistin der Glamourwelt verdammt, obwohl sie sich endlich an einem
eigenen Roman versuchen möchte, darf da schon sarkastisch verstanden
werden.
Denn nicht nur ihr Image lässt kaum Möglichkeit zur Flucht. An ihm
entflammen sich letztlich auch die Begierden der Intellektuellen um sie
herum. Das macht Tamara Drewe, trotz Happy End, zu einer ziemlich
tragischen Figur.
26 Feb 2010
## AUTOREN
Sven Jachmann
## TAGS
Comic
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