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# taz.de -- Parteitag SPD NRW: Siggi muss es richten
> Der Parteitag der nordrhein-westfälischen SPD zeigt: Ohne die Wucht
> Sigmar Gabriels geht im Moment gar nichts. SPD-Spitzenkandidatin Kraft
> sagt kein einziges Wort zur "Linken".
Bild: Hannelore Kraft und Sigmar Gabriel beim Parteitag der SPD NRW.
Am Samstag um kurz nach eins war die Welt der Genossinnen und Genossen
wieder in Ordnung, die Parteitagsbockwurst schmeckte auf einmal nach Sieg.
Zwei Stunden vorher war Sigmar Gabriel in die Dortmunder Westfalenhalle
gekommen, strammen Politikerschritts; um eine Rede zu halten, nach der sich
mancher im Saal fragte, warum eigentlich immer erst der Gabriel kommen
muss, damit so eine Rede gehalten wird.
In 82 Minuten hatte der Parteivorsitzende seine politischen Gegner zerlegt.
Er hätte wohl noch länger sprechen können - so sehr war er in Schwung
gekommen. Und so viel Angriffsfläche hatten ihm Union und FDP in den Tagen
und Wochen zuvor geboten. Allen voran Jürgen Rüttgers, der sich seit Tagen
gegen den Vorwurf wehren muss, man könne gegen Bezahlung ein
Sponsorengespräch mit ihm führen.
Aber selbst wenn Rüttgers nicht gewesen wäre, Gabriel hat ja auch noch
seinen Lieblingsfeind Guido Westerwelle, den er "verfassungsfeindlich"
nennt, einen "Radikalen im öffentlichen Dienst", und Niebel und Rösler und
die ganzen "Schnösel" von der FDP.
Es sind starke Worte, die Gabriel findet und die den Parteitag begeistern.
Aber sie bestätigen, dass die Stärke der SPD im Moment allein die Schwäche
der anderen ist. Denn Gabriels Rede hat den GenossInnen in
Nordrhein-Westfalen zugleich die eigenen Unzulänglichkeiten vor Augen
geführt, die in der Abteilung Attacke vorhanden sind.
"Wenn nicht jetzt angreifen - wann dann?", hatte am vorangegangenen
Parteiabend ein Deligierter geklagt. Ja, irgendwie hätte das
Aufbruchssignal auch schon einen Tag vorher kommen können. Da hatten viele
auf den Startschuss von Oppositionsführerin Hannelore Kraft gewartet. Auf
die Idee, mit der die SPD die wankende Regierung vom Sockel stoßen könnte.
Kraft soll am 9. Mai das bevölkerungsreichste Bundesland für die
Sozialdemokraten zurückerobern, den amtierenden Ministerpräsidenten Jürgen
Rüttgers von der Macht verdrängen.
Die Chance dazu hätte sie: Zehn Wochen vor der Landtagswahl sieht selbst
eine von der CDU in Auftrag gegebene Umfrage keine Mehrheit mehr für
Rüttgers schwarz-gelbes Bündnis. Und trotzdem gelingt es der 48-Jährigen
aus Mülheim an der Ruhr nicht, Aufbruchsstimmung zu erzeugen. Kraft hält
eine betont nachdenkliche Rede, spricht von Ängsten in der Gesellschaft.
Aufstieg durch bessere Bildungschancen, das soll ihr zentrales
landespolitisches Thema dieses Wahlkampfs werden. "Die Herzen und Köpfe
unserer Kinder" will Kraft durch die Abkehr vom dreigliedrigen Schulsystem
gewinnen. "Kein Kind soll mehr verloren gehen", verspricht sie ebenso wie
Ausbildungsgarantie und Abschaffung der Studiengebühren. Dennoch klingen
Teile der Bewerbungsrede ziemlich technokratisch: Immer wieder redet die
einstige Wissenschaftsministerin des 2005 gegen Rüttgers gescheiterten
SPD-Ministerpräsidenten Peer Steinbrück von "Strukturen", "Maßnahmen",
"Einrichtungen". Und: Ihren Hauptgegner Rüttgers geht Kraft erst gegen Ende
ihrer Rede an, in wenigen, vorsichtigen Sätzen. "Sie ist gut in der
Verteidigung", heißt es danach, "sie macht keine Fehler". Euphorie klingt
anders.
Immerhin, die 424 Parteitagsdelegierten liefern ein demonstratives Zeichen
der Geschlossenheit: Mit über 99 Prozent wird Kraft als Landesvorsitzende
bestätigt. Der ehemalige Parteivize Karsten Rudolph fordert mehr. "Jetzt
kommt es darauf an, ob wir in der Bevölkerung eine Wechselstimmung erzeugen
können."
Doch das Dilemma für Hannelore Kraft ist auch, dass der SPD ein politisches
Projekt fehlt.
Für Rot-Grün wird es nicht reichen, aber mit wem dann? "Ich bin gegen
Ausschließeritis", sagt Kraft gern. Die Linkspartei, die sie "aus dem
Landtag heraushalten" will - die aber die einzig realistische Machtoption
ist -, erwähnt sie in Dortmund mit keinem Wort. Hinter den
Parteitagskulissen aber sorgt die Offenheit nach allen Seiten zunehmend für
Verwirrung. So ärgert sich Generalsekretär Michael Groschek über
inoffizielle Gespräche, die Krafts Stellvertreter Jochen Ott mit den Linken
geführt hat. "Ich halte das für einen großen Fehler", entfährt dem
Parteigeneral gegenüber der taz.
In der Koalitionsfrage gibt es keine wirkliche Option - dafür umso mehr
Spekulationen. Neben Rot-Rot-Grün und einer großen Koalition scheint selbst
eine Ampelkoalition nicht ausgeschlossen. So oder so, begeistern kann keine
der Alternativen.
Ob es inhaltliche Akzente sind oder Koalitionsmöglichkeiten - die
Krisenbewältigung nach der Bundestagswahlniederlage hat in der SPD erst
begonnen. Darüber kann auch ein brillanter Rhetoriker wie Sigmar Gabriel
nicht hinwegtäuschen, der als Appetithappen in Dortmund auch eine
Unterschriftenaktion gegen die Kopfpauschale startete. Die Wahlen müssen in
Nordrhein-Westfalen gewonnen werden - und dort ist Gabriel eben nur ein
seltener Gast.
Immerhin, der Chef kommt noch mal zum Helfen. Zehn Termine sind mit ihm
angesetzt. Sie können es gebrauchen, in Nordrhein-Westfalen.
1 Mar 2010
## AUTOREN
G. Repinski
A. Wyputta
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