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# taz.de -- Germanistik in Afrika: "Seltsame Deutschland-Nostalgie"
> Deutsch ist manchmal die Sprache des Trotzes, sagt Gilbert Dotsé Yigbe,
> Dozent der Universität von Lomé. Germanistik ist in Togo ein beliebtes
> Studienfach.
Bild: Verwaistes Haus in der Geisterstadt Kolmanskop (Namibia). Am linken Haus …
taz: Dr. Yigbe, Sie sind Germanist und arbeiten an der Universität in Lomé.
Was machen Sie hier in Berlin?
Gilbert Dotsé Yigbe: Ich nehme an einer Konferenz am Seminar für
Afrikawissenschaften an der Humboldt-Universität teil. Ich halte dort einen
Vortrag über eine ghanaisch-togoische Theaterform, die vom frankophonen
Theater verdrängt wird. Außerdem forsche ich hier zur Disziplinierung des
sozialen Lebens an der westafrikanischen Küste nach der Ankunft der
deutschen Missionare im 19. Jahrhundert.
Inwiefern haben die deutschen Missionare damals disziplinierend gewirkt?
Sie haben zum Beispiel unsere Sprache und Kultur verschriftet, sie haben
die Kinder in die Missionsschulen geholt und an einen Stundenplan gewöhnt.
Überhaupt haben sie unser ganzes Leben nach der Uhrzeit strukturiert, was
es vorher nicht gab.
Sie bewegen sich mit Ihren Forschungen im Grenzgebiet von Germanistik und
Afrikawissenschaften. Tun das in Afrika viele Germanisten?
Einige Kollegen arbeiten genauso interdisziplinär wie ich, andere bleiben
aber auch ganz streng dabei, Goethe, Schiller und Kafka auszudeuten. Ich
stehe dem kritisch gegenüber. Wenn ich auf einer internationalen
Germanistentagung bloß über Goethe sprechen würde, dann würde mich keiner
ernst nehmen. Man sieht ja, dass ich kein Deutscher bin! Außerdem gibt es
hier viele Wissenschaftler, die den kulturellen Hintergrund zu Goethes
Texten viel besser kennen als ich. Mein Beitrag wäre dann eher, dass ich
Goethe mit afrikanischen Augen lese und einen interkulturellen Vergleich
anstelle.
Wird Germanistik aus Afrika in Deutschland für voll genommen?
Leider nicht. Obwohl es in Afrika sehr gute Germanisten gibt! Aber es gibt
eine gewisse Angst, dass die vielleicht in Deutschland leben wollen und
sich sogar um einen Lehrstuhl bewerben könnten. Außerdem sind wir fachlich
nicht so gut ausgestattet. Deshalb genießt die südafrikanische Germanistik
hierzulande ein größeres Ansehen als etwa die burkinische oder die
togoische. Die Südafrikaner haben einfach mehr Geld, also mehr Dozenten,
mehr Bücher. Trotzdem gibt es einzelne Professoren, die sich sehr für die
afrikanische Germanistik engagieren, wie Professor Leo Kreutzer von der
Universität Hannover. Er hat die Zeitschrift "Weltengarten" ins Leben
gerufen, die in Deutschland erscheint und in der viele von uns publizieren.
Ist die Germanistik in den ehemaligen deutschen Kolonien - zum Beispiel in
Togo, Kamerun, Tansania oder Namibia - besonders stark?
Nein, das kann man so nicht sagen. Wir in Togo sind zwar sehr aktiv, aber
auch die Germanistik im senegalesischen Dakar hat in unserer Region einen
ausgezeichneten Ruf. Allerdings gibt es in den ehemaligen deutschen
Kolonien einen günstigen Rahmen für die germanistische Forschung, da viele
deutschsprachige Texte über diese Länder vorhanden sind. Diese Texte müssen
verarbeitet und übrigens auch übersetzt werden. Das ist ebenfalls eine
unserer Aufgaben. An der Universität von Lomé haben wir zum Beispiel gerade
den Text "Die Ewe-Stämme" von Jakob Spieth ins Französische übersetzt,
damit unsere Kollegen aus den Fächern Geschichte, Anthropologie und
Agrarwissenschaften damit arbeiten können.
Ist Deutsch ein wichtiges Schulfach an togoischen Schulen?
Als erste Fremdsprache lernen die Schüler ab der 7. Klasse Englisch. Ab der
11. Klasse wird dann zusätzlich am Gymnasium Deutsch oder Spanisch
angeboten. Die meisten Schüler entscheiden sich für Deutsch. Es wäre
besser, wenn man damit schon in der 9. Klasse anfangen würde, wie das unser
Nachbarland Benin tut und, soweit ich weiß, auch Senegal, Burkina Faso und
Elfenbeinküste. Französisch gilt bei uns übrigens nicht als Fremdsprache,
sondern als Amtssprache. Alles läuft auf Französisch. Zu Hause spreche ich
mit meiner Frau und meinen Kindern allerdings Ewe, unsere afrikanische
Muttersprache.
Dennoch ist Germanistik ein beliebtes Studienfach, warum?
Es gibt immer noch eine seltsame Deutschland-Nostalgie: Togo galt ja als
deutsche Musterkolonie! Ein paar Togoer trauern dieser Zeit absurderweise
nach. Außerdem gibt es in der Nationalbibliothek, in Archiven und
Haushalten viel historisches Material auf Deutsch. Mit dem will man sich
auseinandersetzen. Manche wollen aber im Rahmen des Studiums auch einfach
gerne mal nach Deutschland reisen. Hinzu kommt, dass die Germanistik bei
uns ein gutes Ansehen hat: Die Dozenten haben den Ruf, preußische Tugenden
zu besitzen.
Und womit beschäftigen sich Ihre Studenten besonders, etwa in ihren
Magisterarbeiten?
Die Themen sind vielfältig: Vom Bild der Frau bei Goethe bis zu
afrodeutschen Themen. Letztes Jahr hat jemand die alten togoischen Lieder,
die von den deutschen Missionaren aufgezeichnet wurden, mit aktuellen Songs
in Togo verglichen.
Was machen die Germanistik-Absolventen später?
Viele werden Deutschlehrer. Es gibt in Lomé immer mehr Privatschulen, und
die benötigen sehr viele Deutschlehrer. Manche werden auch einfach
Taxifahrer, so wie in Deutschland auch.
Sie sprachen von Deutschland-Nostalgikern: Ist die Kolonialzeit in Togo
noch sehr präsent?
Den meisten ist das egal. Doch einige sagen schon: "Die Deutschen sind
fleißig. Wie schade, dass die deutsche Kolonialzeit so schnell wieder zu
Ende gegangen ist." Das ist völlig abwegig. Diese Menschen wissen zumeist
nicht viel darüber. Oft ist Trotz im Spiel, man will sich gegen die
Franzosen abgrenzen, die die Deutschen als Kolonialmacht ablösten und bis
heute in Westafrika sehr präsent sind. Wissenschaftler tendieren durch
ihren Umgang mit den alten, oft rassistischen Texten eher zu einer
kritischen Haltung dieser Epoche gegenüber.
2005 gab es einen Brandanschlag auf das Goethe-Institut in Lomé. Einige
Togoer waren damals aufgebracht, weil Deutschlands Regierung die togoische
Führung kritisierte. Inzwischen wurde das Goethe-Institut renoviert. Wie
sieht es dort heute aus?
Das Institut ist wieder instand gesetzt. Die Regierung Togos hat sich daran
übrigens auch finanziell beteiligt. Für uns Germanisten ist das
Goethe-Institut sehr wichtig. Wir lesen dort, recherchieren oder schauen
das Fernsehprogramm der Deutschen Welle. Besonders wichtig ist für uns die
gut sortierte Bibliothek. Manchmal schafft das Goethe-Institut sogar extra
Bücher an, die wir benötigen. Erst wenn wir dort ein Buch nicht finden,
recherchieren wir in der Bibliothek des französischen Kulturzentrums oder
in der Universitätsbibliothek.
Was ist togoischen Studierenden besonders fremd, wenn sie deutsche Texte
lesen?
Ich lese mit meinen Studenten momentan Gottfried Kellers "Kleider machen
Leute", und diese Geschichte beginnt an einem regnerischen Novembertag. Da
muss ich ihnen die vier Jahreszeiten erläutern oder erklären, was der
Herbst auf symbolischer Ebene auch bedeutet, nämlich Vergänglichkeit und
Niedergang. Bei uns in Togo ist es ganz anders: Das ganze Jahr scheint die
Sonne. Es ist immer Sommer.
2 Mar 2010
## AUTOREN
Katharina Borchardt
## TAGS
Auschwitz
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