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# taz.de -- Soziale Stadt: Interview mit der Gruppe "Soziale Kämpfe": "Für we…
> Die Gruppe Soziale Kämpfe wehrt sich gegen die Gentrifizierung von
> Kiezen: Diese liege nur im Interesse der Besitzenden, sagt die Sprecherin
> Toni Garde. Sie fordert Gemeineigentum beim Wohnen.
Bild: Die Aktivisten fordern ein "Recht auf Stadt".
taz: Frau Garde, in einigen Gegenden Berlins ist die
Gentrifizierungsspirale am oberen Ende angekommen, in anderen in vollem
Gange. Was ist Ihrer Meinung nach die Ursache?
Toni Garde: Diese Entwicklung ist der Logik neoliberaler Stadtpolitik
geschuldet. In bestimmte Gegenden und in bestimmte profitversprechende
Bereiche der Stadt wird investiert. Andere werden vernachlässigt.
Innerstädtische Bezirke gelten derzeit als interessante Wohnlage für
Besserverdienende. Hier wird aufgewertet. Es wird sich auf die sogenannte
erste Stadt konzentriert. Welche Bereiche dazu gehören, entscheiden nicht
die Bewohner, sondern die aktuellen Möglichkeiten der Gewinnsteigerung in
einem Gebiet. Die ungleichzeitige Entwicklung ist ein Zeichen des
Versagens, besser: des Fehlens jedweder sozialen Stadtpolitik.
Was könnte die Lösung sein: Verstaatlichung von Wohneigentum oder
gesetzlich festgelegte Mietobergrenzen?
Beides kann sinnvoll sein. Mietobergrenzen wären ein schnell möglicher
erster Schritt. Langfristig müssen wir aus der profitorientierten
Wohnungspolitik aussteigen. Nur wenn Wohnen dem Markt entzogen ist, kann es
demokratisch kontrolliert werden. Ein zukünftiger sozialer Wohnungsbau darf
nicht wie bisher nach Ablauf des Kreditzeitraums wieder an den Markt
zurückgegeben werden. Wir brauchen einen breiten kommunalen
Wohnungsbestand, der in allen Berliner Bezirken im ausreichenden Maße
angemessenen und preiswerten Wohnraum für GeringverdienerInnen zur
Verfügung steht. Wir brauchen Gemeineigentum, das von allen gemeinsam
besessen, verwaltet und kontrolliert wird.
Wie könnte Wohnen im Gemeineigentum konkret aussehen - wie die bestehenden
Wohnungsbaugenossenschaften, etwa in Marzahn?
Die derzeitigen Wohnungsbaugesellschaften sind für uns keine Beispiele für
eine sinnvolle Stadtpolitik. Wenn sie aber demokratisch organisiert und
kontrolliert wären, gemeinsam besessen und verwaltet würden, wäre das eine
Perspektive. Positives Beispiel ist für uns das Freiburger
[1][Mietshäusersyndikat], das ja auch [2][in Berlin einige Projekte] hat
und auf Gemeineigentum setzt.
Wie sehen Sie die Rolle von Baugruppen in der Stadt?
Baugruppen sind für uns keine Lösung, da sie auf Privateigentum aufbauen.
Sie sind aber auch nicht unsere Feindbilder. Obwohl es eine Diskussion wert
ist, dass auch linke Kultur- und Wohnprojekte oftmals Teil von
Gentrifizierungsprozessen werden. Darin spielen sie mit ihrer Fokussierung
auf Eigentum eine klassische Rolle. Aber vorrangig geht es um Strukturen
einer neoliberalen Stadtentwicklung. Die Konzentration auf den Mittelstand,
die Konkurrenzfähigkeit von Stadt und die Hervorhebung von weichen
Standortfaktoren ist das Gegenkonzept zu sozialem Wohnungsbau.
Wie kann Verdrängung gestoppt werden?
Zunächst geht es darum, den Zusammenhang zwischen neoliberalem Kapitalismus
und einer verfehlten, auf Privatisierung ausgerichteten Stadtpolitik
deutlich zu machen. Wir müssen uns dagegen wehren, dass die Kosten der
Krise, die aus dem neoliberalen Kapitalismus entstanden sind, den Städten
und Kommunen aufgebürdet werden. Das derzeitige Krisenmanagement treibt die
sozialen Spaltungen weiter voran: Kommunale Dienstleistungen sind dann nur
noch zugänglich für diejenigen, die sie sich leisten können. Die
notwendigen Veränderungen in der Politik werden nicht allein durch Appelle
und Forderungen zu erreichen sein. Wichtig sind
Selbstorganisierungsprozesse und einen gemeinsamen Kampf der verschiedenen
sozialen Bewegungen zu organisieren. Denn die Proteste für eine gerechte
Bildung, gegen Rassismus, für eine vernünftige Gesundheitspolitik, gegen
Investitionsprojekte, die soziale Spaltungen vorantreiben, und für ein
Recht auf Stadt gehören zusammen.
Stadtsoziologen sprechen von zivilgesellschaftlichen
"Deattraktivierungsstrategien" - was ist das und wie könnte das praktisch
aussehen?
Konkrete Deattrativierungsstategien waren ein Teil der Kampagne gegen
Gentrifizierungen in Hamburg. Darin werden rassistische und soziale
Stereotypen aufgegriffen, die zum Teil in "Broken-windows-Theorien"
reproduziert werden. Das war eher ironisch-symbolisch gemeint und ging in
die Richtung, Lidl-Tüten und Satellitenschüsseln aus dem Fenster zu hängen
und betrunken in Feinripphemden rumzulaufen, um ein bestimmtes Bild von
einem Bezirk herzustellen und Investoren und Szenetouristen abzuschrecken.
Welche Widerstandsperspektiven und Gegenmaßnahmen befürwortet die Gruppe
Soziale Kämpfe?
Wir wollen die verschiedenen Spektren vernetzen und deutlich machen, dass
die Kämpfe um die Stadt mit anderen Kämpfen zusammengehören. Darüber hinaus
geht es darum, Selbstorganisierungsprozesse anzustoßen. Das geschieht ja
schon vielfach. In Neukölln mit den Kiezversammlungen, in Kreuzberg mit der
"SO36 Bleibt!"-Kampagne oder der "Mediaspree Versenken!-Kampagne, in
Friedrichshain bei den Kämpfen um den Erhalt der Hausprojekte. Zurzeit ist
hier viel im Gange. Auch die Vernetzung der stadtpolitischen Akteure mit
anderen Spektren läuft. Grundsätzlich setzen wir auf ein Recht auf Stadt.
Das bedeutet das Recht auf einen Zugang zu einer guten öffentlichen
Infrastruktur für alle, die hier leben. Das Recht auf Teilhabe, ein Recht
auf Nichtausschluss von städtischen Qualitäten und Leistungen - letztlich
wird das nur möglich sein, wenn über die Eigentumsstrukturen
gesellschaftlich neu verhandelt wird.
Kann das Anzünden von im Viertel parkenden Luxusautos auch zur
erfolgreichen Deattraktivierung beitragen?
Offensichtlich. Wir sind hier aber nicht aktiv.
Ist in manchen Fällen Gewalt gegen Sachen auch akzeptabel, etwa ein
Farbbeutelwurf auf Baugruppenprojekte?
Die Frage ist falsch gestellt. Was hat eine Sachbeschädigung -noch dazu
eine, die man abwaschen kann - mit Gewalt zu tun? Gewalt ist, wenn Menschen
ihre Wohnung und ihre sozialen Bezüge verlieren, weil sie ihre Miete nicht
mehr bezahlen können oder weil das Jobcenter die Kosten nicht mehr
übernimmt, wenn Menschen aufgrund ihres Aussehens aus dem städtischen Bild
zu verschwinden haben, wenn Menschen im Winter erfrieren oder ihren Kindern
erklären müssen, dass sie leider nicht mit ihnen ins Schwimmbad können,
weil sie das nicht bezahlen können.
Können Quartiersmanagements dazu beitragen, die drohende Spaltung von Arm
und Reich in bestimmten Gegenden zu verhindern?
Das Programm ist nicht geeignet, soziale Verwerfungen wie Armut, die aus
der übergeordneten gesamtgesellschaftlichen Ebene resultieren, zu
bekämpfen. Statt die gesellschaftlichen Ursachen zu beseitigen, wird ein
sozial-räumliches Überwachungsinstrument geschaffen, das Workfare,
Normalisierung, Kontrolle und Verdrängung für sogenannte soziale
Problemgruppen mit sich bringt.
Ist ein gewisses Maß an Belebung und ökonomischer Aufwertung nicht sogar
wünschenswert für den Kiez - schließlich bringt das Leben und eine soziale
Durchmischung in vorher arme, schlecht entwickelte Gebiete?
Wir haben nichts gegen "Durchmischung", auch wenn das Wort einen etwas
merkwürdigen Beiklang hat. Die Frage ist, wer wird von wem durchmischt und
nach wessen Interessen und für wen verbessert sich die Lebensqualität. Für
die Zugezogenen, für die die Mieten (noch) billig sind, oder für die, für
die es teurer wird und die wegziehen müssen - dann wird die Durchmischung
schnell zur "Entmischung", wie man etwa an den Absetzbewegungen der
weißdeutschen Mittelschicht in die Privatschulen sehen kann. Die Frage ist
doch, wer von der "Verbesserung profitiert" und wer an dem neuen Leben
partizipiert und partizipieren kann? "Durchmischung" und die nachfolgende
Verdrängung funktioniert immer in eine Richtung. Man hört selten von
Zehlendorfern, die von Hartz-IV-Empfängern aus ihren Wohnungen verdrängt
werden. Es stellt sich doch die grundlegende Frage: Für wen wird hier
Politik gemacht? Und wem gehört die Stadt?
2 Mar 2010
## LINKS
[1] http://www.syndikat.org/
[2] /1/archiv/archiv/
## AUTOREN
Nina Apin
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