# taz.de -- Taz-Serie "Soziale Stadt" (10): Putztruppe im Arme-Leute-Kiez | |
> Das Projekt "Task Force Okerstraße" polarisiert: Die Befürworter hoffen, | |
> dass Sozialarbeiter, Polizei und Ämter zusammen die massiven sozialen | |
> Probleme im Neuköllner Schillerkiez in den Griff bekommen. | |
Bild: Öffentlich konsumierter Alkohol ist angeblich eines der größten Proble… | |
Die Lage im Schillerkiez ist brisant: Verwahrloste Kinder und Jugendliche | |
treiben sich nachts auf den Straßen herum, am Herrfurthplatz lungern | |
Trinkergruppen und urinieren in die Grünanlagen. In manchen Häusern wohnen | |
bis zu einem Dutzend SaisonarbeiterInnen aus Osteuropa in | |
Zweizimmerwohnungen, die der Hausverwalter aus Profitgründen pro | |
Schlafplatz vermietet. Solche Horrorgeschichten erzählen AnwohnerInnen. | |
Auch die Statistik des sozialen Brennpunkts wirkt ernüchternd: Mehr als die | |
Hälfte der 20.000 EinwohnerInnen lebt unter der Armutsgrenze, 98 Prozent | |
der SchülerInnen haben nicht genug Geld, um die Schulbücher zu bezahlen. | |
"Es ist kein normales Viertel", fasst Kerstin Schmiedeknecht zusammen. Seit | |
elf Jahren leitet die Architektin das Quartiersmanagement (QM) | |
Schillerpromenade, das im Auftrag der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung | |
das Gebiet aufwerten soll. In dieser Zeit wurden zwar Spielplätze, Kinder- | |
und Jugendklubs gebaut. Trotzdem, so Schmiedeknecht, hätten sich die | |
Nachbarn in den vergangenen Jahren immer wieder über die Zustände im Kiez | |
beklagt. Es genüge eben nicht, nur Angebote zu machen und die Missstände | |
mit Einzelmaßnahmen zu bekämpfen, sagt die QM-Chefin - und übt damit | |
indirekt auch Kritik an der eigenen Arbeit. | |
Weil das Quartiersmanagement allein mit Problemen wie Kinder- und | |
Jugendarmut, Alkoholismus und unmöglichen Wohnverhältnissen nicht fertig | |
werden kann, gibt es seit November 2009 das Projekt Task Force Okerstraße | |
(TFO) - ein Zusammenschluss von Quartiersmanagement, Bezirksamt, Polizei, | |
Schulen sowie weiteren Behörden und Initiativen. Die einzelnen | |
Organisationen wollen mit verschiedenen Interventions- und | |
Präventionsmaßnahmen vorgehen: In Zusammenarbeit mit Schulen und Jugendamt | |
betreuen SozialarbeiterInnen die Kinder und Jugendlichen und bieten | |
Freizeitbeschäftigungen an. Bald schon sollen Polizei und Ordnungsamt durch | |
regelmäßige Rundgänge die Trinkergruppen kontrollieren. Und die | |
Bauaufsichtsbehörde will sich um den Hausverwalter der verwahrlosten | |
Gebäude und die Verbesserung der Wohnbedingungen kümmern. Ziel ist es, das | |
Stadtviertel östlich des stillgelegten Flughafens Tempelhof durch die | |
Kooperation von Verwaltung und Sozialarbeit wieder sicherer und sauberer zu | |
machen. | |
Was konkret getan wird, sieht man in der Okerstraße. In einem Ladenbüro | |
arbeitet seit November das mehrsprachige Sozialarbeiterteam von Integra e. | |
V. Die fünf MitarbeiterInnen kümmern sich um Kinder, Jugendliche und deren | |
Familien. Ein Großteil davon sind kinderreiche Romafamilien aus den | |
EU-Osterweiterungsländern Rumänien, Bulgarien und Exjugoslawien. In | |
Deutschland dürfen sie nur mit einer Sondergenehmigung uneingeschränkt | |
arbeiten. "Viele von ihnen sind aber sprachlich nicht in der Lage, ihre | |
Amtsgänge zu erledigen", berichtet Geschäftsführer Kazim Yildirim. Sie | |
gingen daher praktische Wege, indem sie bettelten oder schwarzarbeiteten. | |
Die Kinder seien sich häufig selbst überlassen. Viele von ihnen schwänzten | |
die Schule. | |
Um dem entgegenzuwirken, arbeiten die SozialarbeiterInnen mit den Schulen | |
zusammen, besuchen die Familien und geben den Kindern Nachhilfe bei den | |
Hausaufgaben. Außerdem bieten sie Sportkurse und Suchtprävention an. | |
"Automatenspiel und Fußballwetten sind ein großes Problem unter den | |
Jugendlichen", sagt Yildirim. Zusätzlich zu diesen Präventionsmaßnahmen | |
kontrollieren die Jugendschutzgruppe des Bezirks und die Polizei regelmäßig | |
die zahlreichen Spielbuden im Kiez auf illegales Glücksspiel. | |
Die SozialarbeiterInnen würden den Kindern und Jugendlichen gern auch eine | |
Zukunftsperspektive geben. "Wenn sie keine Chancen auf dem Arbeitsmarkt | |
bekommen, werden die Freizeitangebote allein nicht weiterhelfen", weiß auch | |
Yildirim. Es sollte daher mehr Angebote zur Berufsqualifizierung vom | |
Jobcenter geben, meint der Sozialarbeiter. | |
Andere Mitarbeiter in der TFO, die anonym bleiben wollen, werden noch | |
deutlicher: Die sozialen Probleme würden zwar erkannt, aber die Ursachen | |
nicht bekämpft. Besonders für junge Erwachsene aus den | |
EU-Osterweiterungsländern sei es schwierig, da sich weder Jugendamt noch | |
Jobcenter für sie zuständig fühlten. Für das Jugendamt seien sie zu alt, | |
für das Jobcenter fehle die Arbeitserlaubnis. | |
Das Vorbild für das Neuköllner Projekt TFO stammt aus Rotterdam und nennt | |
sich Transfer Information Point: Dort sammeln Polizei, Schulen, Jugend- und | |
Gesundheitsämter alle Auffälligkeiten der BewohnerInnen, von versäumten | |
Arztbesuchen bis hin zu Straftaten, in einer Datenbank und machen | |
Hausbesuche. Wenn die betroffenen Personen uneinsichtig sind, kann ein | |
Bußgeld erteilt, die Sozialhilfe gestrichen oder, als letzte Konsequenz, | |
sogar eine Umsiedlung in andere Stadtgebiete vorgenommen werden. In | |
Rotterdam rühmt man sich, auf diese Weise zahlreiche Problembezirke wieder | |
nach vorn gebracht zu haben. | |
In Neukölln werde es ein solches Vorgehen aber nicht geben, versichert der | |
Migrationsbeauftragte des Bezirks und TFO-Sprecher, Arnold Mengelkoch. Aus | |
Datenschutzgründen würden Personendaten nur anonymisiert gesammelt. "Wir | |
dürfen uns aber bei der Abwehr konkreter Gefahren direkt miteinander | |
austauschen." Hausrazzien werde es jedoch nicht geben. "Wir machen es nicht | |
wie in Rotterdam und gehen eine Wohnung nach der anderen ab. Wir haben | |
unsere Sozialarbeiter vor Ort." | |
Trotzdem sorgen solche Vorbilder für Misstrauen. "Es geht nicht um | |
Sozialarbeit, sondern um den Datenaustausch zwischen Behörden", entgegnet | |
Guido Erhardt* von der Initiative Tempelhof für alle. Vermehrte Kontrollen | |
durch Polizei und Ordnungsamt dienten nur der Verdrängung von sozial | |
Schwachen wie den Trinkern. "Wen stören die denn?", regt sich Erhardt auf. | |
"Fragt die Task Force auch, warum sie trinken?" Anstatt Randgruppen zu | |
helfen, würde nur gegen diese gehetzt und an Symptomen herumgedoktert: "Die | |
Task Force will nicht die Armut bekämpfen, sondern die Armen unsichtbar | |
machen." | |
Der Schillerkiez ist aus Erhardts Sicht ohnehin ein Rückzugsgebiet für | |
Menschen, die in anderen Teilen Neuköllns keine Wohnung mehr finden. "Seit | |
ein, zwei Jahren ziehen vermehrt Studierende hierher, weil sie die Mieten | |
in Gebieten wie dem Reuterkiez nicht mehr bezahlen können." Auf Dauer, so | |
vermutet er, würden sie auch hier vertrieben. | |
Auf ihrer Internetseite wirft die Initiative der TFO vor, die "Aufwertung | |
des Kiezes durch Säuberung" zu verfolgen, damit der "Schmuddelbezirk" für | |
Besserverdienende attraktiv wird. Die Initiativmitglieder haben bereits | |
mehrere Stadtteilversammlungen organisiert, um über die TFO zu informieren. | |
Und sie planen Gegenmaßnahmen, etwa indem sie selbst Daten sammeln. Mit | |
einem Fragebogen wollen sie herausfinden, wie die Besitz- und | |
Mietverhältnisse im Kiez sind und ob bereits Modernisierungen geplant sind. | |
Seit 1992 ist der Schillerkiez ein sogenanntes | |
Sanierungsuntersuchungsgebiet. Was die Senatsverwaltung für | |
Stadtentwicklung dort im Zuge der Neugestaltung des ehemaligen | |
Flughafengeländes plant, stellt sie auf ihrer Internetseite unter dem Titel | |
"Fünf Bausteine für das Tempelhofer Feld" vor. Das "Stadtquartier Neukölln" | |
soll eine "Adresse für städtisches Wohnen am Park" werden - ein gemischtes | |
Quartier mit Familienwohnungen und hervorragender verkehrlicher Anbindung. | |
"Es sind dort höherwertige Bau- und Wohngruppen geplant - Townhouses für | |
die Mittelschicht", erklärt Joachim Oellerich von der Berliner | |
MieterGemeinschaft und Chefredakteur der Zeitschrift MieterEcho. Für die | |
ansässigen sozialschwachen Bevölkerungsgruppen bliebe kein Platz mehr. | |
"Instrumente wie die Task Force begünstigen solche Prozesse und dienen als | |
vorbereitende soziale Aufräumarbeiten." | |
QM-Chefin Schmiedeknecht kann mit solchen Vorwürfen nichts anfangen: "Wer | |
ist denn in Neukölln vertrieben worden? Wir tun etwas für die Menschen, die | |
dort wohnen, damit wieder normale Nachbarschaft möglich ist." | |
*Name geändert | |
9 Mar 2010 | |
## AUTOREN | |
Jan Mohnhaupt | |
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