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# taz.de -- Die taz-Oskar-Favoriten: Nimm das, Jury!
> In der Nacht zu Montag werden die Oscars 2010 verliehen. Die
> taz-Favoriten werden wohl leer ausgehen- doch in einer besseren Welt
> hätten sie längst einen Academy Award.
Bild: Schauspieler Toshiro Mifune, Folk-Musiker Vis Chesnutt, Orang-Utan.
Beste Filmmusik: Vic Chesnutt! Als der Regisseur Sebastian Schipper am
Drehbuch für "Absolute Giganten" schrieb, pinselte er eine Textzeile von
Vic Chesnutt an die Wand seines Schlafzimmers: "Life would make one whale
of a movie". Jahre später, 2009, schrieb Chesnutt, der zuvor unter anderem
schon für Wim Wenders gearbeitet hatte, noch die Filmmusik zu Schippers
jüngstem Film ("Mitte Ende August"), bevor er für immer verstummte. Einen
Oscar hätte er auch dafür kaum bekommen; zu spröde, zu euphorisch und
zugleich tieftraurig war seine Kunst. Und doch gab es keinen zweiten
Songwriter seiner Generation, der die ganze erzählerische Wucht einer
epischen Kinotragödie wie beiläufig in einem Drei-Minuten-Folksong
verstecken konnte: "And a little bitty baby draws a nice clean breath /
From over his beaming momma's shoulder / He's staring at the worldly
wonders that stretch just as far as he can see / But he'll stop staring
when he's older". FRA
Bester Hauptdarsteller: Toshiro Mifune! Der verstorbene japanische
Schauspieler Toshiro Mifune ist einer der ausdrucksstärksten, die es je
gab. Aus Versehen gelangt seine Bewerbung 1946 in ein offenes Casting, wo
der ungestüme junge Mann sogleich die Jury überzeugte. Bis zu seinem Tod
1997 spielte Mifune in über 170 Rollen, bekannt ist er aber vor allem aus
den Samurai-Filmen Akira Kurosawas. "In einer Geste sagte er so viel aus
wie andere in dreien", lobte ihn der Regisseur. Mifunes Leinwandpräsenz
ergibt sich aus den gehetzten Bewegungen gepaart mit langsamem Stelzieren,
seinen verzerrten Gesichtern vermischt mit ruhigen Posen. Für Kurosawa
spielte Mifune die Titelrolle seiner Macbeth-Adaption, den Antihelden
Sanjuro oder den clownhaften Ersatzkämpfer in "Die Sieben Samurai". Seine
Mimik drückte die innere Zerrissenheit der Figuren brillant aus. Zweimal
wurde er beim Filmfest in Venedig geehrt. Ein Oscar postum wäre Pflicht.
LRS
Bester Dokumentarfilm: "Nénette"! An Nénette prallt alles ab. Sie sitzt
hinter den Glaswänden ihres Geheges im Pariser Jardin des Plantes, wühlt im
Stroh, nippt an der Saftflasche oder wickelt sich in ein Stück Stoff. Die
Blicke hunderter Zoobesucher richten sich am Tag auf sie, aber sie, die 40
Jahre alte Orang-Utan-Dame, gibt nichts von sich preis. Obwohl so vieles an
ihr so vertraut, so menschenähnlich wirkt, bleibt sie ein Geheimnis. Die
Zoobesucher versuchen dieses Geheimnis wortreich zu lüften, doch all ihre
Spekulationen über Nénette gehen angesichts der schieren Präsenz des Tiers
ins Leere. Aus diesem Kontrast bezieht Nicolas Philiberts Dokumentarfilm
"Nénette" seine Spannung. Je mehr er uns über das unklare Verhältnis zu
unserem nächsten Verwandten, zum Menschenaffen, nachdenken lässt, umso
schmerzlicher drängt sich die Frage auf, woher wir eigentlich das Recht
nehmen, ein Wesen wie Nénette in einen Glaskäfig in Paris zu zwingen. CN
Bestes Originaldrehbuch: Charlie Kaufman! Na gut, 2000 war er schon einmal
nominiert, für den großartig verrückten Film "Being John Malkovich", aber
dann hat den Oscar doch Alan Ball für "American Beauty" bekommen. Eine
krasse Fehlentscheidung. Und ein Skandal ist es, dass Kaufman seither noch
nicht einmal mehr in die engere Auswahl gekommen ist. Nicht für die
komischste und hintersinnigste Auseinandersetzung mit der Evolution seit
Entstehung des Lebens ("Human Nature", 2001), nicht für das
ultraverschachtelte Schriftsteller-Brüder-Drogen-Drama "Adaptation" (2002).
Und noch nicht einmal für "Eternal Sunshine of the Spotless Mind" (2004),
die ergreifendste Packung Romantik und Herzleid, die jemals in einem Kino
gezeigt wurde. Wahrscheinlich sind seine Bücher einfach zu gut, zu
durchdacht, zu eigen, um eine Jury überzeugen zu können. Zu deutlich wird
den Juroren: Da ist einer, der unser Urteilsvermögen übersteigt. KUZ
Beste Nebendarstellerin: Kevin! Schräge, schillernde Vögel sind nicht
leicht als Rolle anzulegen. Es gilt, genau das richtige Maß zu finden, denn
eine reine Karikatur wäre langweilig. Bei Kevin, dem wirklich total
schrägen Vogel aus der Pixar-Produktion "Oben", ist das in einem
Weltklassemaßstab gelungen. Kevin vereint nicht nur die Merkmale eines
Pfaus und eines Emus, sondern auch große Schönheit und große
Verfressenheit, große Eleganz und große Slapstick-Hysterie, große
Farbenpracht und große Tumbheit. Das Tolle an dieser Filmfigur ist, dass
sie bigger than life erscheint - und nur eine Szene später wie aus dem
Leben gegriffen. Manchmal wirkt sie geheimnisvoll und überirdisch schön -
etwa wie David Bowie in seiner Glam-Phase, und manchmal einfach
durchgeknallt - so als hätten die Marx Brothers halluzinogene Substanzen zu
sich genommen und dann mit Tuschmalkästen um sich geworfen. DRK
Beste Hauptdarstellerin: Marina Vlady! Bekannt wurde Marina Vlady in der
Rolle als Teenagerin, die den Jungs auf dem Schulhof den Kopf verdrehte.
Als verführerische Hexe trat sie 1955 in André Michels "Die blonde Hexe"
auf, ihrem größten Publikumserfolg. Sie schien sich gut eingerichtet zu
haben als Schauspielerin, die vor allem durch ihre sexuellen Attribute
glänzte. Pustekuchen: Sie hatte sich bloß eine Steilvorlage gegeben, um
ihre Person zu dekonstruieren. Das geschah dann in der Rolle als
emanzipierte Frau in Marco Ferreris Film "Die Bienenkönigin". Und 1967 kam
der Knüller: In Jean-Luc Godards "Zwei oder drei Dinge, die ich von ihr
weiß" spielte sie Mme Jeanson, eine verheiratete Frau und Mutter, die durch
Prostitution ihr Haushaltsgeld aufbessert. "Jeder, der heutzutage in Paris
leben will, egal in welcher sozialen Schicht, muss sich in gewisser Weise
prostituieren", sagte Godard - und Marina Vlady spielte toll. Alles klar,
liebe Jury? GO
Bestes Kostümdesign: Patricia Field! Sie hat die Mode zur Hauptdarstellerin
gemacht und die Frauen davon befreit, entweder Anziehpüppchen oder Opfer
des schlechten Geschmacks zu sein. Sie hat gezeigt, dass solide-schmucklose
Schlüpfer prima zu Perlenketten passen, dass es ruhig rauschen und bauschen
darf um die Knie und dass der hervorschauende BH-Balken auch ein Statement
sein kann. Ihr Styling macht aber auch klar, dass jedes Designerstück wie
ein Fetzen aussieht, wenn man es nicht mit Persönlichkeit trägt - so wie
sie selbst mit Ende 60 noch High Heels, flächenbrandrote Haare und
XS-Röcke. Für "Der Teufel trägt Prada" war sie wenigstens nominiert, aber
was ist mit "Shopaholic" und den "Sex and the City"-Kinofilmen"? Aber der
Jury ist das wohl zu Rock 'n' Roll. DAZ
5 Mar 2010
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Animationsfilm
Kino
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