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# taz.de -- Mafia-Wahlskandal: Zur Geldwäsche nach Stuttgart
> Italien hat einen neuen Mafia-Skandal. Es geht um Geldwäsche, Korruption
> und Wahlbetrug. Die Spur führt nach Deutschland.
Bild: Zurück getreten und festgenommen worden: Politiker Nicola Di Girolamo.
Vor drei Jahren war es der Mord an sechs jungen Italienern in Duisburg, der
jählings die Anwesenheit der Mafia in Deutschland offenbarte. Jetzt bewegt
ein Mafiaskandal Italien, der ebenfalls nach Deutschland verweist: Die
kalabrische Mafiaorganisation Ndrangheta, die inzwischen als mächtigste
italienische Mafiaorganisation gilt und deren weltweiter Umsatz auf 40
Milliarden Euro geschätzt wird, hat hierzulande massenhaft Blankowahlzettel
von Landsleuten gekauft und gefälscht, um ein Mitglied der
Berlusconi-Partei als Vertreter der Auslandsitaliener in den Senat zu
befördern. Dieser Politiker, Nicola Di Girolamo, trat vergangene Woche
zurück und wurde kurz darauf verhaftet.
Es ist die deutsche Spur in einem internationalen Fall von Geldwäsche,
Betrug, Steuerhinterziehung und Korruption, dessen Dimension selbst
italienische Mafiafahnder schockiert. Über mehrere Jahre wurden nach ihren
Ermittlungen rund 2 Milliarden Euro Schwarzgelder der Ndrangheta gewaschen
- in einem kriminellen System aus Firmen, Banken und Politikern. Der
zuständige Untersuchungsrichter Aldo Morgini spricht von "einem der
kolossalsten Betrugsfälle in der Geschichte Italiens". Darin verstrickt
sollen die Telekommunikationsunternehmen Fastweb und Sparkle sein. Sie
stehen im Verdacht, den italienischen Fiskus um 365 Millionen Euro betrogen
zu haben. Nach Razzien in Italien, Großbritannien, Luxemburg und den USA
wurden vorige Woche 56 Haftbefehle ausgesprochen und mehrere Verdächtige
verhaftet. Darunter der Fastweb-Gründer Silvio Scaglia. Und eben Nicola Di
Girolamo. Nachdem er im Jahr 2008 dank des Wahlbetrugs als Mitglied der
Regierungspartei PDL ("Volk der Freiheit") in den Senat gelangte, soll er
die Machenschaften der Mafia politisch geschützt haben.
Als dem Politiker jetzt der Haftbefehl eröffnet wurde, behauptete er, mit
der Mafia nichts zu tun zu haben. Doch ein in italienischen Medien
veröffentlichtes Foto zeigt ihn freundschaftlich den mutmaßlichen
Ndrangheta-Boss Franco Pugliese umarmen. Zudem lässt ein von der Polizei
abgehörte Telefonat eines in die Geldwäsche verwickelten dubiosen
Geschäftsmannes erahnen, wie die Kriminellen den Senator in der Hand
hatten: "Auch wenn du Staatspräsident wirst, du bleibst mein Sklave und
musst gehorchen."
Deutsche Hauptschauplätze des Wahlbetrugs waren Frankfurt und Stuttgart, wo
allein 1.700 Stimmen gefälschten worden sein sollen. Italienische Fahnder
lauschten heimlich mit, wie ein Mafioso am Telefon erzählte, er habe am
Abend 40 oder 50 Wahlzettel ausgefüllt. In einem anderen abgehörten
Telefonat bedankte sich Di Girolamo bei einem Ndrangheta-Mann für die
Aktion und kündigte an, "als Neugewählter" nach Deutschland zu kommen.
"Insbesondere nach der Wiedervereinigung", bestätigt Jörg Ziercke, der
Präsident des Bundeskriminalamts, "hat Deutschland auch für die Ndrangheta
in zunehmendem Maße an Bedeutung als Aktionsraum für kriminelle Geschäfte
und Investitionen gewonnen." Dem aktuellen vertraulichen BKA-Bericht zur
Ndrangheta, Ende 2008 verfasst, ist zu entnehmen, worin diese Aktivitäten
liegen: in Kokaingeschäften, Waffenhandel und Geldwäsche - auch politisch
ein brisanter Punkt, hat doch die OECD erst vor wenigen Tagen die
Bundesregierung gerügt, Geldwäsche werde in Deutschland zu lasch bekämpft.
Auf einer schematisierten Deutschlandkarte haben die Fahnder Städte und
Gemeinden eingezeichnet, in denen die verschiedenen Clans der Ndrangheta
ansässig sind. Schwerpunkte: Nordrhein-Westfalen, das Rhein-Main-Gebiet und
die Region Stuttgart. Die Verbindungen der Ndrangheta nach "Stoccarda"
haben eine gewisse Tradition. Sie lösten schon in den Neunzigerjahren
umfangreiche Ermittlungen aus und sorgten für politischen Wirbel. Als
damals italienische und deutsche Fahnder wegen Geldwäsche, Kokain- und
Waffenhandel ermittelten, nahmen sie bei ihrer großen Operation "Galassia"
auch im Raum Stuttgart mehrere Kalabrier fest. Darunter einen Gastronomen,
der durch Kontakte zu deutschen Politikern ungewollte Popularität erlangte:
Mario L., langjähriger Freund verschiedener baden-württembergischer
Politiker, allen voran von Günther Oettinger, von 2005 bis Anfang dieses
Jahres Ministerpräsident.
1993 war es zur "Pizza-Affäre" gekommen, als bekannt wurde, dass der
damalige Landesjustizminister Thomas Schäuble seinen Parteifreund
Oettinger, damals CDU-Fraktionschef im Landtag, über Mafia-Ermittlungen
gegen L. informiert hatte. Oettinger hatte regelmäßig in L.s Pizzeria
verkehrt und ihn mehrfach Fraktionsfeste ausrichten lassen. L. wiederum
spendete der CDU mehrere tausend Mark.
Neben Mario L. waren bei der italienisch-deutschen Operation "Galassia"
mehr als hundert Kalabrier aus der Region Ciro unter Mafiaverdacht
festgenommen und später in Catanzaro vor Gericht gestellt worden. Doch was
italienische Staatsanwälte bis heute wundert, ärgert und hinter
vorgehaltener Hand von einem politischen Prozess sprechen lässt: Die
meisten Beschuldigten wurden 1999 freigesprochen, auch Mario L.
Dennoch sehen italienische und deutsche Mafiafahnder in ihm nach wie vor
ein Mitglied der kalabrischen Mafia. 2005 wurde er observiert, als er sich
nahe Stuttgart mit einem Mitglied der sizilianischen Cosa Nostra getroffen
haben soll. "Vorbeugende Bekämpfung" nennen das Sicherheitsbeamte.
Neue Brisanz erfährt die Causa Mario L. durch Abhörprotokolle der
italienischen Polizei, die in den letzten Tagen auszugsweise von
italienischen Medien veröffentlicht wurden. Darin ist festgehalten, wie ein
am Wahlbetrug beteiligter Ndrangheta-Mann im April 2008 am Telefon von
einer Feier in Stuttgart erzählt - am Abend des manipulierten Wahlsiegs von
Di Girolamo. In diesem Zusammenhang spricht der Mafioso von einer "Größe
aus dem Gastgewerbe", die "mit einem Minister und dessen Mannschaft
verkehrt". Definiert wird dieser Mann laut den Akten als jemand, der aus
einem anderen Ort, aber vom selben "Niveau" wie Franco Pugliese sei, der
die kalabrischen "Wahlhelfer" nach Deutschland geschickt habe. Die
italienischen Staatsanwälte hielten in den Unterlagen fest, wen sie als
besagten Gastronomen vermuten: Mario L.
Trifft dies zu, wäre es ein konkreter Hinweis darauf, dass Mario L.
weiterhin Kontakt zu einem hochrangigen deutschen Politiker und dessen
Umfeld unterhält und dies in der kriminellen Organisation bekannt ist. Das
baden-württembergische Landeskriminalamt will sich dazu nicht äußern.
Oettinger, inzwischen EU-Energiekommissar, betonte in den vergangenen
Jahren auf Anfrage stets, er habe seit langem keinerlei Kontakt mehr zu L.
Dumm nur, dass ein langjähriger Freund Oettingers und zudem Kanzleipartner
von Rainer Wieland, dem stellvertretenden Präsidenten des Europaparlaments,
erst im vergangenen Herbst von L. am Flughafen Bari herzlich empfangen
wurde und mit ihm zu dessen Ferienanlage bei Ciro fuhr.
Auch in Sachen Geldwäsche der Ndrangheta hat die baden-württembergische
Landeshauptstadt bei Fahndern der italienischen Antimafiabehörde DIA einen
beachtlichen Bekanntheitsgrad: "In Stuttgart hat sich die Organisation
schon mehrere Häuserzeilen zusammengekauft." Da können Strohmänner der
kalabrischen Mafia schon mal den Überblick verlieren. Italienische Fahnder
hörten einmal ein Telefonat ab: "Sollen wir das Haus kaufen?", lautete die
Frage an den Clan in Kalabrien. Der Boss tobte: "Mensch, das haben wir doch
schon!"
Dennoch sieht man beim LKA partout keinen Ermittlungsansatz: "Wir
beobachten die Szene, aber wir müssen erst einmal einen konkreten
Anfangsverdacht haben." Wen wunderts: Unter dem Ministerpräsidenten
Oettinger hat Baden-Württemberg das EU-Gesetz zur Geldwäschebekämpfung aus
dem Jahr 2001 jahrelang nicht angewandt, wie der Geldwäscheexperte Andreas
Frank berichtet. Erst vor drei Monaten beschloss die Landesregierung, die
Geldwäschekontrolle im Bereich der Immobilienhändler, Versicherungsmakler
und Finanzdienstleister zu verstärken und damit die Gesetzeslücke zu
schließen - just als Oettinger vor dem Wechsel in die EU-Kommission stand.
Italienische Fahnder wie der Staatsanwalt Nicola Gratteri, der den
Duisburger Sechsfachmord federführend ermittelt hat, monieren, dass
Deutschland bisher zu wenig für die Bekämpfung der Mafia tue: "In
Deutschland fehlen die nötigen Gesetze. Wenn man nicht einsieht, dass man
das Delikt der Zugehörigkeit zu einer kriminellen Vereinigung mafiösen Typs
bilden und ein System zur Beschlagnahmung von Gütern schaffen muss, dann
wird das Land keine Instrumente haben, um die Mafia zu verfolgen." Jetzt
hat auch Italiens Innenminister Roberto Maroni ein stärkeres deutsches
Engagement im Kampf gegen die Mafia gefordert: "Wenn es kein wirksames
Recht gibt, um einzugreifen und zu beschlagnahmen, dann werden die
Geldwäscher dorthin gehen, wo sie ihr Geschäft tun können."
Untersuchungsrichter Aldo Morgini spricht von "einem der kolossalsten
Betrugsfälle Italiens"
10 Mar 2010
## AUTOREN
Rainer Nübel
## TAGS
Mafia
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