# taz.de -- Skurriler Markenstreit: Not in our name | |
> Ein Hamburger Musiker und Sympathisant der Künstlerinitiative "Komm in | |
> die Gänge" nennt seine Band "Gänge Allstars". Das bringt die Künstler | |
> auf: Wer nicht Teil der Initiative sei, dürfe nicht so heißen. Seitdem | |
> streitet man über die Grenzen der Bewegung. | |
Bild: Die Damen und Herren von der Gängeviertelinitiative betrachten die Band … | |
Früher war es der Kleingartenzaun, heute ist es das soziale | |
Online-Netzwerk: Ein Platz, an dem eine Meinungsverschiedenheit so stark | |
aus dem Ruder gerät, dass daraus ein handfester Streit wird. Bis alle | |
beleidigt sind. | |
So geschehen in den vergangenen Tagen auf der Facebook-Fanseite des | |
Gängeviertels. Thema der Auseinandersetzung: Der Song "Komm in die Gänge" | |
der Hamburger Kombo "Gänge Allstars", die, anders als es Name und Titel | |
nahe legen, mit dem eigentlichen Quartier gar nichts zu tun hat. Die | |
Künstlergemeinde distanzierte sich offiziell von dem Musik-Projekt - und | |
die Diskussion ging los: "Musikalisch ekelerregend, textlich nichtssagend | |
und peinlich", schreibt ein Nutzer über den Song. "Gängeviertel, du bist | |
also angepisst, weil man dich nicht gefragt hat", ein Anderer. | |
Von linksradikalem Elitendenken ist da genau so die Rede, wie von | |
PR-fixierten Musikern, die sich mit falschen Federn schmückten. Alles in | |
allem der übliche, sich gerne im Ton vergreifende Community-Zank. Dabei | |
verbirgt sich hinter der Auseinandersetzung eine ganz andere Frage: Hat die | |
als offen deklarierte Bewegung für kulturelle und politische Freiräume nun | |
doch eine Grenze? | |
Eigentlich war es ja gar keine schlechte Idee: Der Hamburger Musiker | |
Siebeth Darm trommelt 18 Kollegen zusammen und schreibt mit ihnen ein | |
politisches Lied. Da er das Engagement der Gänge-Künstler prima findet, | |
nennt er das Lied in Anlehnung an ihren Slogan "Komm in die Gänge". Seine | |
Band heißt fortan "Gänge Allstars". "Auch wenn der Song nicht nur vom | |
Gängeviertel handelt, so ist er doch für mich inzwischen zum Synonym dafür | |
geworden, dass man etwas bewegen kann, wenn man nur will", schreibt er in | |
einer Pressemitteilung. Die Seite der Band verlinkt auf die Initiative | |
"Recht auf Stadt", das Manifest "Not in our name, Marke Hamburg" sowie auf | |
den "Frappant", das ehemalige Künstlerhaus in Altona. | |
Siebeth Darm produziert den Song mit viel Aufwand in einem Tonstudio, dreht | |
ein Musikvideo, rührt dann via Youtube und Facebook die Werbetrommel und | |
wird von einem Stadtmagazin zum Hamburger des Monats gekürt. Über | |
Internetdownloads sammelt er Spenden für die Initiative "Viva con Agua" aus | |
Sankt Pauli, die sich für sauberes Trinkwasser in Entwicklungsländern | |
einsetzt. | |
Nur hat er sich in den gesamten drei Monaten Produktionszeit nicht einmal | |
bei den Leuten blicken lassen, deren Rhetorik er sich ausleiht: den | |
Künstlern im Gängeviertel. Die werfen ihm nun vor, er habe die Aktion nicht | |
ausreichend abgesprochen und abgegrenzt. | |
Das Problem sei nicht der Song, sondern der Projektname, sagt Christine | |
Ebeling, Sprecherin der Initiative "Komm in die Gänge". "Den Slogan ,Komm | |
in die Gänge' kann jeder verwenden", sagt sie. Siebeth sei nicht der erste | |
Künstler, der das mache. Wer sich aber als "Gänge Allstars" bezeichne, | |
suggeriere damit, ein Teil der Initiative zu sein. "Es gibt die ,Gänge | |
Allstars' bereits: Das sind wir, die Künstler aus dem Gängeviertel." | |
Darm will aber kein Teil einer Initiative sein. Er möchte mit seinem Song | |
"eine Aussage treffen". Und das machen, was er kann: Musik. Dabei gehe es | |
gar nicht nur um das Gängeviertel, sondern um "die politische Situation in | |
Deutschland und auf der ganzen Welt". Wie das alles laufe, auch in seinem | |
Viertel St. Pauli, mache ihn zornig. Wenn er vorher jede Gruppe kontaktiert | |
hätte, die sich derzeit mit dem Thema Gentrifizierung in Hamburg | |
beschäftige, hätte die Produktion drei Jahre gedauert. "Dafür habe ich | |
keine Zeit", sagt Darm. Sein Lied richtet sich an Leute, die nicht auf | |
Demos gehen, sich aber trotzdem politisch äußern möchten. | |
Dass die Initiative seinen Einsatz kritisieren könnte, ist ihm vorher nicht | |
in den Sinn gekommen. "Das ist doch super fürs Gängeviertel", findet Darm. | |
Die Künstler sehen das anders: Sie können die kommerzielle Aufmachung und | |
das Marketing der Band nicht mit ihrem Selbstverständnis vereinen: "Im | |
Gängeviertel geht es nicht einfach nur um die Vermarktung eines Slogans, es | |
geht um den Erhalt eines Ortes, es geht um inhaltliche Arbeit in den | |
Bereichen Kultur und Politik, um einen Raum für Diskussionen", sagt | |
Ebeling. | |
Aber wer entscheidet, welche Projekte gänge-kompatibel sind, und welche | |
nicht? "Die Vollversammlung", sagt sie. Ein Zusammenschluss aller | |
Aktivisten, die in den Häusern im Quartier arbeiten oder sich in den | |
Arbeitsgruppen engagieren. Davon gibt es reichlich viele: Eine Druckerei-AG | |
zum Beispiel, eine Baugruppe, die sich um die Instandsetzung der Gebäude | |
kümmert, eine Gruppe für das Programm und eine für Verhandlungen mit den | |
Behörden. Für ein offenes Künstlerprojekt mit bis zu 200 Teilnehmern klingt | |
das ganz schön kompliziert. "Mitmachen kann jeder", sagt Ebeling. "Er muss | |
nur vorbeikommen und sich engagieren." | |
Gemeinnützigkeit ist für die Initiative das wichtigste Kriterium. Von den | |
Aktionen sollten möglichst nicht nur Einzelne profitieren. Ob Darms Idee | |
gemeinnützig genug ist, stellt die Initiative in Frage: Auch wenn die | |
Einnahmen erst mal gespendet würden, sei aus der Pressemitteilung nicht | |
deutlich zu entnehmen, ob das zukünftig so bleibe. Eine Kompilation sei | |
auch schon angekündigt. Darm, Solokünstler, Labelbetreiber und Veranstalter | |
in Personalunion, streitet ein kommerzielles Interesse ab. Er habe bisher | |
bei dem Projekt nur draufgezahlt. | |
Konzert für Betuchte | |
Der Termin für das erste Konzert seiner Band steht schon. Es findet weder | |
im Gängeviertel noch auf dem Frappant-Gelände, sondern im Knust statt. | |
Eintritt: 10 Euro. "Das können sich viele, die auf ,Recht auf Stadt' | |
angewiesen sind, gar nicht leisten", sagt Ebeling. In den Gängen wundert | |
man sich derweil, warum Darm zwar ein offenes Musikerprojekt initiiert, | |
aber keine Musiker aus dem Umfeld des Viertels gefragt hat. Ist der Streit | |
um das Gänge-Label nur ein Fall gescheiterter Kommunikation? Darm sagt, er | |
wolle gerne im Viertel spielen, habe vorher auch mehrfach versucht, die | |
Initiative zu erreichen: "Niemand hat sich zurückgemeldet."Unabhängig von | |
der Debatte über die Außenwirkung des Namens seiner Musikertruppe wirkt | |
Darms Projekt im Vergleich zu den meist schrillen Kunstaktionen, die seit | |
vergangenem Sommer zum Thema Stadtentwicklung stattgefunden haben, | |
tatsächlich etwas blass. Die schlagereske Melodie und der Chorgesang sind | |
simpel gehalten. | |
Inhaltlich blass | |
Textzeilen wie "Sie reden von Erfolgen, we call it climate shame, wir | |
wollen mit ihnen nicht untergehen, not in our name" reimen sich zwar ganz | |
wunderbar, kratzen aber insgesamt an der Oberfläche von… ja, wovon | |
eigentlich? Der Song wirft Schlagwörter des politischen Protests in einen | |
großen Topf von Gentrifizierung, Klimawandel, Globalisierung, aber | |
abgesehen von "Ich bin dagegen!" trifft er keine weitere Aussage. Refrains, | |
die mit "Ja, ja, ja, ja, ja" beginnen und mit "Ja, ja, ja, ja, ja" enden, | |
finden eher auf dem Oktoberfest und auf Après-Ski-Parties Fans, als in | |
politischen Diskussionsgruppen. | |
Derzeit sieht es so aus, als ob sich die Parteien annäherten. Darm hat sein | |
Projekt auf Eis gelegt. Seine Internetseite ist offline. Das Video zum Song | |
steht zwar noch auf Youtube, der Bandname ist aber auf "Allstars" | |
reduziert. "Wir werden uns in den kommenden Tagen zusammensetzen und über | |
ein gemeinsames Projekt nachdenken", sagt Ebeling. | |
In einem Punkt sind sich die Initiative und der Musiker einig: Eine | |
Kommentare-Schlacht wie auf Facebook ist unerfreulich. "Wenn man sich | |
überlegt, dass wir uns seit Monaten ehrenamtlich engagieren, wirken solche | |
Debatten ganz schön undankbar", sagt Ebeling. Darm formuliert es anders: | |
"So eine Hetzjagd finde ich schlimm!" | |
12 Mar 2010 | |
## AUTOREN | |
Alexandra Eul | |
## TAGS | |
Musikkultur | |
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