# taz.de -- Debatte Bundeswehr: Rohe Leber, nackte Männer | |
> Das Leitbild "Bürger in Uniform" verliert an Bedeutung und die brutalen | |
> informellen Aufnahmerituale verschärfen sich. Das ist kein Zufall. | |
Bild: Die Staufer-Kaserne in Pfullendorf | |
Die in die Schlagzeilen geratenen bizarren Aufnahmerituale bei den | |
Gebirgsjägern in Mittenwald haben für Aufregung gesorgt - und auch ihren | |
Weg in den diese Woche veröffentlichten Wehrbericht gefunden. | |
Erinnern wir uns kurz: Um in der internen Mannschaftshierarchie | |
aufzusteigen, müssen die Novizen bis zum Erbrechen rohe Schweineleber und | |
mit Rohhefe gefüllte Rollmöpse essen, Alkohol trinken und splitternackte | |
Kletterübungen vor den versammelten Kameraden absolvieren. Nur wer diese | |
Prüfungen übersteht, gilt als "echter" Gebirgsjäger, was immer das | |
angesichts der Lächerlichkeit dieser Torturen heißen mag. | |
Nun gehen sowohl die Skandalisierung dieser Initiationsriten als auch ihre | |
Verharmlosung als spätpubertäre Mutproben am Kern der Affäre vorbei. Denn | |
de facto handelt es sich hier um ein wichtiges Männlichkeitsritual für | |
zukünftige Elitekrieger. Das Ziel besteht darin, grundlegende militärische | |
Tugenden wie Pflicht, Treue, Tapferkeit sowie eine aggressive | |
Kampfbereitschaft, Härte und Opferbereitschaft in den Körper und in die | |
Seele des Soldaten einzuschreiben. Insofern dienen die Rituale dazu, eine | |
abwehr- und kampfbereite Männlichkeit hervorzubringen und zu verstärken. | |
Diese militarisierte Männlichkeit ist wichtig insbesondere für | |
Eliteeinheiten mit einem stärker auf Kampf ausgerichteten Berufsbild sowie | |
generell für die Bundeswehr. Eine Armee also, die sich im Übergang von | |
einem stehenden Verteidigungsheer innerhalb der eigenen Landesgrenzen zu | |
einer gegebenenfalls weltweit operierenden Interventionsarmee befindet. | |
So ist es kein Zufall, dass seit Beginn der Auslandseinsätze der Bundeswehr | |
gehäuft Fälle von Schikanen und Misshandlungen im Dienst auftreten: Bereits | |
1996 wurden nachgestellte Folterungen, Hinrichtungen und Vergewaltigungen | |
an der Infanterieschule in Hammelburg bekannt. Die größte Dimension aber | |
hatten die bis heute juristisch verfolgten Vorfälle 2004 in Coesfeld, bei | |
denen im Rahmen fingierter Geiselnahmen gefesselte Rekruten am Ende der | |
Grundausbildung getreten, geschlagen, mit Stromstößen malträtiert und mit | |
kaltem Wasser überschüttet wurden. Ähnliche Fälle von Körperverletzungen | |
wurden in Kasernen in Ahlen, Kempten, Varrel und in Wunstorf öffentlich, | |
oft im Rahmen "realitätsnah" simulierter Geiselnahmen. Gelegentlich waren | |
sie auch verbunden mit rechtsradikalen Ausfällen, wie dem Hitlergruß, dem | |
Aushängen einer Hakenkreuzfahne oder dem Saufen zu Ehren des Führers. Auf | |
dem Flughafengelände in Stuttgart wurden Soldaten fingierten Überfällen von | |
Palästinensern mit Scheinerschießungen und dem inquisitorischen Anbrüllen | |
ausgesetzt: "Are you a jew, a damned fucking jew?" | |
Auch Fälle von schikanösen Behandlungen und Prüfungsritualen à la | |
Mittenwald häufen sich auffällig seit Ende der 1980er-Jahre nicht nur, sie | |
gewinnen sogar deutlich an Intensität und an Härte. Dem korrespondiert, | |
dass in einer jüngeren Umfrage des Sozialwissenschaftlichen Instituts der | |
Bundeswehr ein Nachlassen der Prägekraft des Konzepts der Inneren Führung | |
bei den Soldaten festgestellt wurde. An die Stelle des Leitbilds vom Bürger | |
in Uniform scheint mehr und mehr die Identifizierung mit einem archaischen | |
Kriegerideal zu treten, zu dessen Grundausstattung die genannten "ewig | |
gültigen" Soldatentugenden gehören. Angesichts der zunehmenden | |
Auslandseinsätze und insbesondere der jüngsten Entwicklung des Kriegs in | |
Afghanistan unter deutscher Beteiligung verwundert diese Renaissance des | |
alten kriegerischen Männlichkeitsideals kaum. | |
Erst vor diesem Hintergrund lässt sich die Bagatellisierung der | |
Gebirgsjägerpraktiken als harmlose Initiationsrituale, die in allen | |
Männerbünden vorkommen, richtig einordnen: In traditionellen | |
Stammeskulturen mit männlicher Vorherrschaft ist die Initiation das | |
wichtigste Mittel zur Herstellung und Sicherung der kulturell erwünschten | |
Männlichkeit. Nach einer radikalen, häufig gewaltsamen Trennung von der | |
weiblichen Welt werden die Initianden komplexen Inszenierungen und oft | |
schmerzhaften Prüfungen unterworfen, um alle Spuren des Weiblichen aus | |
ihrem Geist und Körper auszutreiben. Erst nach der Inszenierung eines | |
symbolischen Todes und einer anschließenden zweiten Geburt, einer sozialen | |
Wiedergeburt in der exklusiven Gruppe erwachsener Männer, ist eine Rückkehr | |
in die "bedrohliche" weibliche Welt, nun als Mann, und das heißt (meistens) | |
auch als Krieger, möglich. Dies gilt im Prinzip auch für "moderne", nach | |
wie vor männlich bestimmte Gesellschaften und insbesondere für eine | |
maskuline Einrichtung wie das Militär. | |
Die angestrebte mann-männliche Wiedergeburt ist auch hier von einer Abwehr | |
der Weiblichkeit und einer Angst vor der Schwächung durch die Frauen und | |
ihre Sexualität gekennzeichnet. Damit entsteht für die Soldaten ein | |
Dilemma: Sexualität gehört elementar zum Ideal von männlicher Vitalität und | |
Stärke, aber Homosexualität ist nach wie vor zutiefst verpönt. | |
In den Ritualen der Gebirgsjäger wird diese sexuelle Dimension zur Schau | |
gestellt: Die nackten Kletterübungen demonstrieren, dass der Körper der | |
Soldaten der ganzen Gruppe gehört. Nicht nur zum Zwecke der Abhärtung, | |
sondern auch zur Kontrolle möglicher sexueller Anfeindungen, die | |
gleichzeitig begrenzt und in voyeuristischer Form auf ihre Kosten kommen. | |
Das Posieren von Angehörigen der Gebirgsjäger mit Totenschädeln bei ihrem | |
Einsatz in Afghanistan 2006 neben ihrem entblößten und erigierten | |
Geschlechtsteil erfüllt einen ähnlichen Zweck. Die Nähe von Sexualität, Tod | |
und Potenz bei einer unter Kriegsbedingungen existenziellen Ängsten | |
ausgesetzten soldatischen Männlichkeit ist auffällig. | |
Aber wo bleibt dann die Sexualität der Soldaten, die ständig mobilisiert | |
und als Mittel des Potenzbeweises und der Überlegenheit eingesetzt wird? | |
Das Thema Sexualität ist im Militär dauerpräsent, aber gleichzeitig mit | |
Tabus versehen. Zum soldatischen Selbstbild gehört eine als "naturgegeben" | |
aufgefasste urwüchsige Sexualität, die keinen Aufschub duldet. Das ist | |
keine als Aufstau missverstandene "sexuelle Not", sondern ein aus | |
Prestigegründen und Kameradschaftsdruck "notwendiger" Männlichkeitsbeweis - | |
eine funktionierende Heterosexualität wird hier vorausgesetzt. | |
Zu den Folgen gehört, wie etwa 2000 bei den deutschen Kfor-Truppen im | |
Kosovo bekannt geworden, ein organisiertes Bordellwesen mit den "üblichen" | |
Begleiterscheinungen von Frauenhandel, Zwangsprostitution und | |
Kindesmissbrauch. Symptomatisch für die Tabuisierung dieses Themas ist die | |
Antwort des damaligen Verteidigungsministers Scharping auf eine | |
entsprechende Anfrage von medica mondiale. Nach einem Bericht von Monika | |
Hauser empfahl Scharping, das Thema nicht allzu breitzutreten, "um die | |
Freundinnen und Frauen der Soldaten nicht zu verunsichern". | |
Wenn wir die Rituale der Männlichkeit mit initiationsähnlichen Zügen bei | |
der Bundeswehr ernsthaft aufdecken und auf den Prüfstand stellen wollen, | |
dann besteht vor allem ein riesiger Aufklärungsbedarf. | |
18 Mar 2010 | |
## AUTOREN | |
Rolf Pohl | |
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Bundeswehr | |
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