# taz.de -- Gedenken an Erzbischof Oscar Romero: Der Fluch der Heiligkeit | |
> Vor 30 Jahren wurde in El Salvador Erzbischof Romero während der Messe | |
> ermordet. Die Linke, mit der er nicht unbedingt sympathisierte, hat ihn | |
> längst als ihre Ikone vereinnahmt. | |
Bild: Romeros Konterfei auf einer Gedenkveranstaltung am 20. März in San Salva… | |
Er ist mit Sicherheit der international bekannteste Bürger des kleinen | |
zentralamerikanischen Landes El Salvador, und doch wurde er | |
regierungsamtlich lange totgeschwiegen. Erst jetzt, an seinem 30. Todestag, | |
wird ihm Gerechtigkeit widerfahren. Präsident Mauricio Funes hat | |
angekündigt, er werde sich an diesem Tag öffentlich entschuldigen für den | |
gewaltsamen Tod von Óscar Arnulfo Romero. Der Erzbischof von San Salvador | |
war am 24. März 1980 beim Zelebrieren einer Messe erschossen worden. | |
Auftraggeber des Mordes war Major Roberto DAubuisson, stellvertretender | |
Geheimdienstchef der Armee und zwei Jahre später Gründer der Republikanisch | |
Nationalistischen Allianz (Arena). Die extrem rechte Partei hat in El | |
Salvador von 1989 bis 2009 ununterbrochen regiert. Romero war und ist für | |
sie eine gefährliche linke Bazille. Am Tag vor seinem Tod hatte er in der | |
Kathedrale von San Salvador die Soldaten der damaligen Militärdiktatur zur | |
Befehlsverweigerung aufgerufen. Eben deshalb musste er sterben und deshalb | |
wurde nie regierungsamtlich über den Märtyrerbischof gesprochen. Vom Volk | |
aber wird er als "Heiliger Romero von Amerika" verehrt. | |
Präsident Funes, ein einst parteiloser Journalist, hat sich für die | |
Präsidentschaftswahl des vergangenen Jahres der Partei der ehemalige | |
Guerilla der Nationalen Befreiungsfront Farabundo Martí (FMLN) | |
angeschlossen und schon als Kandidat die Popularität von Romero genutzt. | |
Auf den Tischen der Devotionalienhändler bei seinen | |
Wahlkampfveranstaltungen lagen Hemdchen mit drei sehr unterschiedlichen | |
Porträts direkt nebeneinander: Mauricio Funes, Che Guevara, Óscar Arnulfo | |
Romero. Der Bischof mit dem leicht schiefen Kinn, den buschigen Augenbrauen | |
und der dicken schwarzen Hornbrille ist in El Salvador längst eine Ikone. | |
Seinen Redenschreiber wies Funes an, die gesammelten Predigten Romeros zu | |
lesen und Zitate daraus in seine Vorträge einzustreuen. Mit Staatsgästen | |
geht der Präsident gerne hinab in die kühle Grabkammer unter der Kathedrale | |
von San Salvador, wo der Leichnam des Märtyrerbischofs eingemauert ist. | |
Zu Lebzeiten war Romero alles andere als ein Held der Linken. Als er am 3. | |
Februar 1977 von Papst Paul VI. zum Erzbischof von San Salvador ernannt | |
wurde, empfand das die damals noch schwache Guerilla als einen Tiefschlag. | |
"Wir saßen mit ein paar fortschrittlichen Priestern und organisierten | |
Bauern zusammen, als die Nachricht von seiner Ernennung verbreitet wurde", | |
erinnert sich Nidia Díaz, die später zum engsten Führungszirkel der FMLN | |
gehörte. "Wir hatten das befürchtet und es war tatsächlich eingetroffen. | |
Wir empfanden die Ernennung als einen großen Sieg der konservativen | |
Oligarchie und überlegten, wie wir darauf reagieren könnten." | |
Die katholische Kirche El Salvadors war gespalten. Auf der einen Seite | |
standen Befreiungstheologen, die auf dem Land die ausgebeuteten | |
Landarbeiter gegen die Kaffee- und Zuckerrohr-Oligarchie organisierten. Und | |
es gab stockkonservative Kleriker, die in solchen Umtrieben eine | |
Unterwanderung der heiligen Institution durch den Marxismus sahen. Sie | |
sagten nichts dazu, dass die Oligarchie das Militär auf gewerkschaftlich | |
organisierte Landarbeiter losließ und dass morgens an den Straßenrändern | |
Leichen mit abgetrennten Köpfen lagen, die in der Nacht zuvor von | |
Todesschwadronen ermordet worden waren. Es zirkulierten Flugblätter mit dem | |
Aufruf. "Sei ein Patriot, töte einen Priester!" Aber nicht einmal das | |
brachte die rechten Kleriker durcheinander. Denn gemeint waren bloß die | |
Befreiungstheologen. | |
Romero war als Weihbischof Chefredakteur einer stramm konservativen | |
Kirchenzeitung und von der Oligarchie geliebt, weil er dazuhin ein | |
charismatischer Prediger war. Später gab er im Gespräch mit einem | |
Befreiungstheologen zu: "Ich wurde zum Erzbischof ernannt, um mit Leuten | |
wie dir Schluss zu machen." Und als sollte das unterstrichen werden, wurde | |
eine Woche nach seiner Inthronisation in Aguilares im Norden von San | |
Salvador der Landpfarrer und Bauernorganisator Rutilio Grande und zwei | |
seiner Katecheten von einer Todesschwadron mit Schüssen durchsiebt. | |
Der dreifache Mord verfehlte seine Wirkung. Romero war nicht nur persönlich | |
mit Grande befreundet. Er war auch ein verantwortlicher Kirchenführer und | |
stellte sich vor seine Untergebenen, egal ob sie theologisch mit ihm auf | |
einer Linie waren oder nicht. Fortan verweigerte er die Teilnahme an | |
staatlichen Empfängen und kümmerte sich stattdessen als Hirte um seine | |
Schäfchen. Die sind in El Salvador in ihrer übergroßen Mehrheit arm. So | |
wurde Romero fast wider Willen ein Bischof der Armen, ein Bischof zum | |
Anfassen. | |
Ein Freund der Guerilla aber wurde er nie. Im Gegenteil. Ihre Überfälle, | |
Attentate und Entführungen geißelte er als "Akte des Terrorismus". | |
Besetzungen seiner Kathedrale durch der Guerilla nahestehende | |
Volksorganisationen tolerierte er nur zähneknirschend, weil er wusste, dass | |
die staatlichen Sicherheitskräfte, riefe man sie zu Hilfe, solche Aktionen | |
mit einem Blutbad beenden würden. Er verurteilte die massiven Massaker der | |
Militärs genauso wie die damals noch schwache Gegenwehr der Guerilla. Aber | |
er glaubte lange daran, dass die Oligarchie und ihre Bluthunde auf dem Weg | |
vermittelnder Gespräche zur Mäßigung gebracht werden könnten. Noch ein | |
halbes Jahr vor seinem Tod sympathisierte Romero mit einer Regierungsjunta | |
aus Militärs und Christdemokraten, die sich im Oktober 1979 an die Macht | |
geputscht hatte. Als die schon kurz danach auseinanderbrach, versuchte er | |
noch zwischen rechten Militärs und konservativen Zivilisten zu vermitteln. | |
Vergeblich. | |
Erst danach gab er auf und wetterte nur noch gegen den aufziehenden | |
Bürgerkrieg. In seinen Gottesdiensten verlas er Listen mit den Namen der in | |
der Woche zuvor Ermordeten, und er ließ keinen Zweifel daran, wer die Täter | |
waren. Sein bis heute berühmtestes Zitat stammt aus einer Predigt vom 23. | |
März 1980: "Kein Soldat ist gezwungen, einem Befehl zu gehorchen, der gegen | |
das Gesetz Gottes verstößt. Es sind Brüder aus unserem eigenen Volk, die | |
auf dem Land ihre eigenen Brüder töten. Niemand muss einem unmoralischen | |
Befehl gehorchen. Im Namen Gottes und im Namen dieses leidgeprüften Volkes, | |
dessen Klagen jeden Tag lauter zum Himmel steigen, ersuche ich euch, bitte | |
ich euch, befehle ich euch: Hört auf mit der Repression!" | |
Am Tag darauf las der Bischof in der Kapelle des Spitals zur göttlichen | |
Vorsehung eine Totenmesse. Er stand, die Eucharistie zelebrierend, vor dem | |
Altar. Die Tür war offen. Da krachte ein einziger Schuss und traf Romero | |
direkt über dem Herz. Die Salvadorianer wussten es gleich, und dreizehn | |
Jahre später stellte es auch eine internationale Wahrheitskommission fest: | |
"Der ehemalige Major Roberto DAubuisson gab den Befehl, den Erzbischof zu | |
ermorden." Da war DAubuisson schon tot. Er ist 1992 an Zungenkrebs | |
gestorben. | |
Zur Totenfeier für Romero eine Woche später kamen über 100.000 | |
Salvadorianer auf den Platz vor die Kathedrale. Die Armee riegelte die | |
Zugänge ab und schoss von den Dächern der umliegenden Gebäude in die Menge. | |
Mindestens 50 Menschen starben, über 600 wurden verletzt. Es war endgültig | |
klar, dass gegen diese blutige Form der Machtsicherung nur noch bewaffneter | |
Widerstand möglich war. Der Tod des Bischofs fällt mit dem Beginn des | |
offenen Bürgerkriegs in El Salvador zusammen, der zwölf Jahre dauerte und | |
75.000 Menschen das Leben kostete. Die fünf kleinen Guerillaorganisationen | |
des Landes schlossen sich zur FMLN zusammen und bekamen massenhaft Zulauf. | |
Die Guerilleros lernten schnell, den toten Bischof für sich zu | |
vereinnahmen. Wenn in einem stockkatholischen Land ein vom Volk geliebter | |
Bischof von rechten Militärs ermordet wird, dann kann das nur der | |
rebellischen Linken nutzen. Schnell hat man vergessen, dass auch der | |
Aufstand gegen die blutige Repression in den Augen des Bischofs Terrorismus | |
gewesen war. Aber so ist das, wenn Menschen nach ihrem Tod zu Heiligen | |
werden. Sie sind nur noch Gefäße, in die jeder seine Hoffnungen und Wünsche | |
füllt. Für die Armen in El Salvador ist und bleibt der Heilige Romero die | |
Hoffnung darauf, dass es einen gibt, der ihnen zuhört und sie ernst nimmt, | |
der ihnen Würde gibt und Gerechtigkeit. Wenn sich Präsident Funes am 30. | |
Jahrestag des Mordes demonstrativ demütig vor die Füße des Märtyrers wirft, | |
kann er sich damit nur selbst erhöhen. Und es ist fast ein Glück, dass das | |
Verfahren für eine längst beantragte Heiligsprechung im Vatikan einfach | |
nicht von der Stelle kommt. So wenigstens kann Josef Ratzinger dieses Gefäß | |
nicht mit seinen eigenen Inhalten füllen. | |
23 Mar 2010 | |
## AUTOREN | |
Toni Keppeler | |
## TAGS | |
El Salvador | |
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