# taz.de -- KONFRONTATIVE PÄDAGOGIK: Schüler sollen auf heißen Stuhl | |
> Hamburger Schulen führen mit gewaltauffälligen Kindern soziale Trainings | |
> durch. Eine Initiative kritisiert dabei vor allem das Konzept des heißen | |
> Stuhls. | |
Bild: Heißer Stuhl: In Hamburgs Schulen sollten gewalttätige Jugendliche expl… | |
Anderthalb Jahre dauert der Konflikt der Initiative [1]["Kein heißer Stuhl | |
in Hamburgs Schulen"] mit dem Landesinstitut für Lehrerbildung (LI) nun | |
schon an. Kern des Streits ist das Anti-Gewalt-Projekt "Cool in School" und | |
das darin enthaltende Konzept von einem heißen Stuhl. Die Initiative hat | |
den Konflikt nun dokumentiert und am Montag im Internet veröffentlicht. | |
Auslöser war ein Anfang des Jahres 2008 erstelltes Konzept des LI für das | |
Projekt "Cool in School". Zunächst 24 Lehrkräfte sollten qualifiziert | |
werden, um an zwölf Schulen "Coolnessgruppen" mit 12- bis 15-jährigen | |
gewaltauffälligen Jungen durchzuführen. "Diese Schüler haben Spaß an der | |
Gewalt", heißt es darin. In den halbjährlichen Kursen sollten sie | |
Handlungsalternativen entwickeln und "Schuld- und Schamgefühl durch die | |
Konfrontation mit dem Opferleid" erweckt werden. Ein "typisches und | |
wiederkehrendes Ritual" dabei sei "das Einüben explosiver Stresssituationen | |
auf dem so genannten heißen Stuhl". Die Maßnahme diene Schülern, denen die | |
Abschulung droht, als "Bewährungsauflage". | |
Kritiker sehen bei dieser Maßnahme die seelische Gesundheit der Kinder | |
gefährdet. "Hier wird nicht gesehen, dass Jungen oft auch Opfer sind", sagt | |
Alexander Bentheim von der Agentur Männerwege. Durch die Behandlung könnten | |
etwa neue Traumatisierungen entstehen. Zudem stamme der Begriff "heißer | |
Stuhl" aus Anti-Aggressionstrainings (AAT), wie sie in Gefängnissen erprobt | |
wurden. Die Person auf dem heißen Stuhl muss dabei Provokationen, | |
Beleidigungen, lautes Brüllen und sogar körperliche Berührungen ertragen. | |
Die Initiative bat sogar in einem Brief an Schulsenatorin Christa Goetsch | |
(GAL) darum, die Sache zu stoppen. Im Herbst 2008 kam es dann zu einem | |
Gespräch im Lehrerbildungsinstitut. Danach aber brach die Kommunikation ab. | |
Der Initiative zufolge wurde ein weiteres Gespräch wieder abgesagt. | |
Daraufhin verschickten die Kritiker des heißen Stuhls im Mai 2009 ein | |
Papier an Vertreter aus Politik, Schule und Wissenschaft. | |
Im Landesinstitut ist man über dieses Vorgehen "befremdet", wie es in einem | |
Antwortbrief vom Juni 2009 heißt. Die Kritik beruhe auf Missverständnissen, | |
"Unsachlichkeiten und Unterstellungen", schreibt der Leiter der | |
Präventionsabteilung, Hermann Schlömer. In den Coolnessgruppen werde mit | |
einer "deutlich abgeschwächten Form der Methode heißer Stuhl gearbeitet", | |
schreibt dieser, von einer "erniedrigenden Sonderbehandlung" könne nicht | |
die Rede sein. | |
Schlömer bedankt sich aber zugleich für "konstruktive Anregungen". | |
Inzwischen wurde das Konzept überarbeitet. Der Begriff heißer Stuhl taucht | |
nicht mehr auf, stattdessen ist von "Mr. Cool"- oder "Lady Cool"-Sitzungen | |
die Rede. Auch der Hinweis auf den "Spaß an Gewalt" und auf die | |
Bewährungsauflage entfällt. Und aus dem "Einüben explosiver | |
Stresssituationen" wurde "die Simulation realer Stresssituationen". | |
Außerdem gibt eine Stopp-Regel, mit der die Kinder die Sitzung abbrechen | |
können. Nicht zuletzt verschickte das LI Stellungnahmen an die neun | |
Schulen, die seit Februar 2009 die ersten Coolnessgruppen anbieten und | |
durchweg von positiven Erfahrungen berichten. | |
"Wir hatten da am Anfang im Konzept einige naive Formulierungen drin", | |
sagte Christian Böhm, Leiter Beratungsstelle Gewaltprävention am LI. Die | |
Kritik der Initiative sei aber überzogen. "Mich stört, dass dort alles | |
vermischt wird. Alles sei schlecht an der konfrontativen Pädagogik." | |
Coolnesstrainings würden aber in der Jugendhilfe bundesweit angeboten. | |
"Wenn der Ansatz falsch wäre, müssten all diese Maßnahmen überprüft | |
werden." | |
In den "Mr. Cool"-Sitzungen würde jeweils ein Jugendlicher vom Trainer mit | |
seinen Verfehlungen, "dem, was in der Woche schief gelaufen ist", | |
konfrontiert und das dann in der Gruppe diskutiert. "Wir würden nie | |
zulassen, dass da etwas passiert, was jemandem nicht gut bekommt", sagte | |
Böhm. "Wir wissen von der Sensibilität durch die Kritik." | |
Doch für Bentheim und seine Mitstreiter bleiben offene Fragen. Etwa, ob | |
nicht Lehrer in einen Rollenkonflikt geraten und ob 12- bis 14-jährige | |
Kinder reif genug für solche Kurse sind. "Wir kritisieren Teile des | |
Konzepts. Wir kritisieren nicht die Praxis der Schulen, weil wir ja gar | |
nicht wissen, wie die arbeiten." | |
Würde ihm eine Hospitation angeboten, würde er dies gerne annehmen, sagte | |
Bentheim. Allein die Implementierung der Kurse, für die in Hamburg extra | |
das Schulgesetz geändert wurde, sei ein Paradigmenwechsel. "Das sollte | |
nicht ohne öffentliche Diskussion passieren." | |
29 Mar 2010 | |
## LINKS | |
[1] http://www.kein-heisser-stuhl-in-hamburger-schulen.de | |
## AUTOREN | |
Kaija Kutter | |
Kaija Kutter | |
## TAGS | |
Gewalt gegen Kinder | |
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