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# taz.de -- Flugverbot mit Folgen: Illegal durch die Aschewolke
> Das Flugverbot über Europa hat viele Konsequenzen: BerlinbesucherInnen,
> die nicht nach Hause fliegen können, läuft das Visum ab. Umgekehrt
> bleiben BerlinerInnen im Ausland stecken.
Bild: Wenn nichts mehr fliegt, muss ein anderer Weg nach Hause her.
Ljudmila Kalmykova greift an den Metallreifen, ihr Rollstuhl bewegt sich am
Reichstagsufer entlang. Die 62-Jährige lächelt, die Sonne scheint ihr ins
Gesicht. Aber Kalmykova ist illegal in Berlin. Das Visum in ihrem Reisepass
ist am Sonntag abgelaufen.
Eigentlich darf die Weißrussin sich also nicht mehr in Deutschland
aufhalten. Genauso wie drei anderen Mitglieder der Belarussischen
Invalidenorganisation, die zur Geburtstagfeier des Allgemeinen
Behindertenverbands in Deutschland (ABiD) am 14. April einreisten. Laut
Programm sollten die Gäste am 18. April zurück fliegen. Doch wegen der
Aschewolke konnte ihr Flugzeug nach Minsk nicht starten. Auch Zugfahrkarten
waren vergriffen.
Erst am Dienstagabend können sie per Bus die Heimreise antreten. Bis dahin
werden die ausländischen Gäste vom ABiD-Vorsitzenden und
Bundestagsabgeordneten Ilja Seifert (Die Linke) betreut. Auf den ABiD
kommen durch die unerwartete Reiseverlängerung Kosten zu.
Die größten Unannehmlichkeiten sind jedoch nicht finanzieller Art. Für
Rollstuhlfahrerin Kalmykova ist die 20-stündige Busfahrt eine Zumutung. Die
Reisezeit könnte noch länger werden, wenn es bei der Passkontrolle an der
Grenze zu Schwierigkeiten kommt. Gastgeber Seifert erwartet von den
Grenzbehörden aber trotz abgelaufener Visa Toleranz: "Sonst mache ich im
Bundestag großes Theater."
Auch anderen bringt das Flugverbot Probleme. Das irakisch-deutsche
Theatertreffen, dass vom 18. bis 21. April unter anderem in der Neuköllner
Werkstatt der Kulturen stattfinden sollte, musste wegen des Flugverbots
komplett abgesagt werden. Das Ballhaus Naunynstraße, wo derzeit das
deutsch-türkische Theaterfest Diyalog gefeiert wird, holt fünf
KünstlerInnen, die in den nächsten Tagen auftreten, mit dem Bus aus
Istanbul ab.
Und nicht nur der Landesvorsitzende der Linkspartei Klaus Lederer sitzt
gezwungenermaßen im Ausland fest. Der deutsch-türkische Schüleraustausch
der Kreuzberger Aziz-Nesin-Europagrundschule kann derzeit nicht fortgesetzt
werden: Eine Gruppe von GastschülerInnen aus der Türkei konnte erstmal
nicht kommen, so die stellvertretende Leiterin Schule Adelheid Riehm. An
der benachbarten Carl-von-Ossietzky-Oberschule, die den deutsch-türkischen
Europazweig weiterführt, hängt dagegen eine Besuchsklasse aus der Türkei in
Berlin fest. Die SchülerInnen würden in den Gastfamilien weiter betreut, so
der stellvertretende Schulleiter. Probleme mit abgelaufenen Visa sind ihm
nicht bekannt.
Die hatten allerdings einige TeilnehmerInnen der Wikimedia-Konferenz, die
am Sonntag endete. Per Blog suchte der Veranstalter nach Freiwilligen, die
die Betroffenen am Montag zwecks Verlängerung der Visa zur Ausländerbehörde
begleiten sollten. Die Bitte, "Zeit einzuplanen", da der Besuch der Behörde
etwas länger dauern könne, erwies sich als unnötig: Unproblematisch,
schnell und kostenlos seien die Visa der indischen, russischen und
philipinischen Staatsbürger verlängert worden, lobte Pavel Richter,
Geschäftsführer der Wikimedia Deutschland.
Dies entspricht der kurzfristig festgelegten Linie der Berliner
Ausländerbehörde im Umgang mit Aschewolke-Opfern: Nach ihrer Auffassung
gilt ein abgelaufener Aufenthaltstitel "von Gesetzes wegen als
fortbestehend", wenn die Betroffenen auf dem Luftweg ausreisen wollten,
heißt es in einem Informationsschreiben. Da die Ausreise aufgrund höherer
Gewalt nicht stattfinden könne, machten sich die Betroffenen weder strafbar
noch begingen sie eine Ordnungwidrigkeit. Die Behörde hält es nicht einmal
für notwendig, eine Visaverlängerung zu beantragen.
Ob das den weißrussischen Rollstuhlfahrern bei ihrer Ausreise auf dem
Landweg helfen wird, ist dennoch unklar: Mit ihren abgelaufenen
Schengenvisa, die auch für Polen gelten, werden sie die deutsch-polnische
Grenze zwar passieren können, weil dort keine Kontrollen stattfinden.
Probleme könnten jedoch an der Grenze zwischen Polen und Weissrussland
auftreten. Dort werden die Pässe Ausreisender von polnischen Grenzbeamten
kontrolliert. Für die abgelaufenen Visa könnte dann eine Geldstrafe fällig
werden.
Ljudmila hofft jedenfalls, dass die Ausreise trotz des abgelaufenen Visums
genauso barrierefrei wird wie der öffentliche Nahverkehr in Berlin. Die für
Behinderten zugänglichen Busse und S-Bahnen haben der Weißrussin in Berlin
am besten gefallen. Und die Dali-Ausstellung. "Die wollte ich schon immer
besuchen", sagt Ljudmila. Nun geht ihr Traum in Erfüllung - dem Himmel und
seiner Aschewolke sei dank.
20 Apr 2010
## AUTOREN
Olga Kapustina
Alke Wierth
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Abschiebungen ausgesetzt: Freiheit dank Aschewolke
Die Abschiebung von vier Vietnamesen scheitert am Flugverbot. Nun sind sie
auf freiem Fuß. Aufgrund des Vulkanausbruchs wird ein Ziel von
Flüchtlingsinitiativen erreicht: der Abschiebestopp.
Kommentar: Die Ausnahme als inspirierender Zustand
Die Stadt, die Gesellschaft, jeder einzelne könnte aus dem Aschechaos
lernen. Dass nicht jede Flugreise nötig ist, zum Beispiel.
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