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# taz.de -- Debatte Junge Utopien: Not my Generation
> Ein Deutschland, das für Frieden und großzügiges Asyl steht? Dafür hatte
> ich mir einmal von meinen Altersgenossen mehr Einsatz erwartet.
Bild: Süß, bio und fair? Vielleicht - aber darum sollte es hier überhaupt ni…
Warum wollte ich mal, dass die Jüngeren an die Macht kommen sollen? Ich
versprach mir davon mehr Offenheit für neue Lebensweisen, eine geringere
Neuverschuldung, einen bezahlbaren Kranken-, Sozial- und
Versicherungsschutz sowie bessere Arbeitsbedingungen in einer Welt ohne
Arbeitsverträge. Vor allem aber war ich mir sicher, dass die Generation der
heute 30- bis 45-Jährigen für eine humanere Asyl- und Flüchtlingspolitik
sowie eine Außenpolitik ohne Waffen stehen würde - was man sich halt so
naiv daherträumt.
Meiner Generation ist die Welt durch Tourismus und Internet und das
Miteinander mit Mitschülern, deren Eltern nicht in Deutschland zur Welt
kamen, nicht fremd. Deshalb meinte ich, müssten wir mehr Anteil am
Schicksal anderer Länder nehmen. Ich glaubte, die Welt werde besser, wenn
junge Menschen am Hebel sind, weil sie die Konsequenzen ihrer
Entscheidungen noch zu Lebenszeiten tragen müssen. Man kennt das vom
Gassigehen mit dem Hund: Niemand lässt seinen Hund in den Garten scheißen,
in dem er später noch grillen will. Dieser Umstand, so meinte ich, mache
umsichtig und sensibel.
Nicht im Traum dachte ich an Politiker wie unsere Familienministerin
Kristina Schröder (32), den gesundheitspolitischen Sprecher der CDU/CSU,
Jens Spahn (29) oder den parlamentarischen Staatssekretär aus dem
Gesundheitsministerium Daniel Bahr (34). Auch nicht an Leute wie den
Generalsekretär der FDP, Christian Lindner (31), den SPD-Fraktionsvize
Hubertus Heil (37) oder die Jusovorsitzende Franziska Drohsel (29) - an so
eine Politikerriege, die mit ihren Köfferchen ins Büro gehen, mit Blazern
und blonden Strähnchen, und die in Talkshows die einschläfernden Attitüden
und krampfverstärkenden Phrasen der Alten nachäfft. An so etwas hatte ich
nicht gedacht, als ich meiner Generation das Vertrauen aussprach.
Was ich nicht bedacht hatte, war, dass die Kinder aus den
Reihenhaussiedlungen vor allem für bessere Bedingungen in den
Reihenhaussiedlungen kämpfen würden. Das Engagement der jungen
Entscheidungsträger von heute kreist um den eigenen sozialen Brutkasten.
Hat man von einem dieser Jungpolitiker schon einmal den Satz gehört: "Ich
möchte für meine ehemaligen migrantischen Mitschüler gleiche
Aufstiegschancen, wie ich sie hatte!"? Oder: "Deutschland muss seine
Grenzen für politisch Verfolgte öffnen"?
Wer von den heutigen jungen Mandatsträgern über den eigenen Tellerrand
schaut, der bleibt immer noch in der gleichen Geschirrserie. Eine soziale
Politik hat eben nichts mit Jung und Alt zu tun - das hat mit den
Verhältnissen zu tun, aus denen man kommt. Den sozialen Feinschliff, den
ich meine, diese haarfeine Antenne, die schon bei Ungerechtigkeiten im
Nanobereich anfängt zu vibrieren, kriegt man nicht, wenn man seine Jugend
mit eigenem Kinderzimmer, Ponyreitstunden, Tennisunterricht oder
Damastservietten zu hohen Feiertagen auf den Knien in Erinnerung hat.
Es ist cool geworden, Möbel und Kleidung aus nachwachsenden Rohstoffen oder
recycelten Materialien zu kaufen. In bestimmten Kreisen wird es sogar für
zwingend notwendig erachtet, für den Kaffee 1 Euro mehr auszugeben, damit
es der Bauer aus dem Kongo oder aus Uganda besser hat. Doch den gleichen
Konsumenten ist das Schicksal dieser Menschen egal, sobald sie an Europas
Pforten klopfen.
Warum ist es so aus der Mode gekommen, für eine freundliche Asyl- und
Flüchtlingspolitik zu kämpfen? Der letzte große Massenprotestmarsch, der
die Asylpolitik betraf, liegt nun nahezu 20 Jahre zurück. Und noch nie habe
ich als Karriereziel gehört: Ich will zum Bundesamt für Migration und
Flüchtlinge. Es scheint mir, dass sozial Sensibilisierte ihren Idealismus
und Kampfgeist vor allem in Nichtregierungsorganisationen investieren. Der
Rest meiner Generation, der Verantwortung übernimmt, trägt Köfferchen und
macht sich Strähnchen in die Haare.
Seit 2001 befindet sich Deutschland in Afghanistan in einem bewaffneten
Einsatz. Krieg ist ein anderes Wort dafür und wird im Sprachgebrauch immer
üblicher. Als ich noch zur Schule ging, war ich mir sicher, dass niemals
mehr ein Ausländer auf der Welt durch die Kugel eines Deutschen sterben
würde. Heute sitzen Journalistenkollegen meines Alters in
Regierungsfliegern und schreiben Silbe für Silbe mit, was Kanzlerin oder
Verteidigungsminister zwischen Start und Landung einer Afghanistanreise so
von sich geben. Dann schreiben sie einen Bericht, als würden sie Protokoll
führen und hätten keinerlei Fähigkeit zur Reflexion. Sie unterscheiden sich
auch äußerlich nicht sehr von den Politikern, die sie begleiten. Und ich?
Finde mich politisch irgendwo zwischen Gregor Gysi und Christian Ströbele
eingeklemmt.
Wo sind die Stimmen, die sagen, wir wollen nicht die Fehler wiederholen,
die man seit Jahrhunderten auf diesem Erdball macht? Wir sind jung, gut
ausgebildet, vernetzt, die Welt steht uns Kindern der Wohlstandsgeneration
offen. Wir sind solidarisch mit unseren Altersgenossen auf der ganzen Welt
und haben in der Schule gelernt, dass Krieg selten zu einem Happy End
führt. Wir können auf ein umfangreiches Archiv an Büchern, Dokumenten und
Filmen über den Zweiten Weltkrieg zurückgreifen. Gelernt haben wir daraus
offensichtlich wenig. Bald lebt in Deutschland niemand mehr, der je einen
Krieg im eigenen Land erlebt hat. Damit sind wir von der Situation in den
USA nicht mehr weit entfernt.
Hin und wieder kommt ein Sarg zurück, aber die Begräbnisse fallen immer
bescheidener aus. Woher diese Ruhe an der
Schröder-Söder-Heil-und-Lindner-Front? Weshalb traut sich nur noch Helmut
Schmidt zu sagen: "Krieg ist scheiße!" Wenn es stimmt, dass nicht der Krieg
revolutionär ist, sondern der Frieden, dann ist unsere Generation
rückständig und zurückgeblieben. Das Schwerste ist am Anfang wohl immer das
Aufhören. Schwer, aber nicht unmöglich.
***
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22 Apr 2010
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Schwerpunkt Rassismus
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