# taz.de -- Kommentar Journalismus: Auf den Trümmern | |
> Keiner weiß, wie im Onlinezeitalter Qualitätsjournalismus - etwa eine | |
> aufwendige Reportage - finanziert werden soll. Die Gesellschaft wird sich | |
> stärker für unabhängige Medien engagieren müssen. | |
Es ist das Jahr 2008. Ein Dozent der Deutschen Journalistenschule in | |
München fragt die 15 Schüler vor ihm, warum sie in diesen Zeiten überhaupt | |
Journalisten werden wollen - und dann noch in einem Printmedium? Nebenan | |
wird derweil krachend das Verlagsgebäude der Süddeutschen Zeitung | |
abgerissen: Ein Investor will das Gelände neu bebauen, die Zeitung weicht | |
in einen günstigeren Vorort aus. Ihr Abschlussfoto wird die | |
Journalistenschulklasse wenig später auf den Trümmern des Verlagshauses | |
machen. | |
Es war meine Journalistenschulklasse, 46 B, und der Moment auf der | |
Baustelle entsprach dem Gefühl vieler Nachwuchsjournalisten: Für uns gibt | |
es eigentlich keine Zukunft mehr. Heute ist noch ein bisschen Geld für uns | |
da, aber es wird jedes Jahr etwas weniger. Die traditionellen Medien | |
verschwinden in der virtuellen Öffentlichkeit des Internets. Erschreckend | |
ist, wie hilflos sie den eigenen Niedergang in Kauf zu nehmen scheinen. | |
Doch nur wenn sie bisherige Einnahmequellen erhalten und neue erschließen, | |
wird es in Zukunft noch Qualitätsjournalismus geben. | |
Meine Generation steht wie keine andere an der Schwelle vom Print- in das | |
Onlinezeitalter. Das Geschäftsmodell Tageszeitung funktioniert noch, aber | |
seine Tage scheinen gezählt. Parallel dazu wächst eine Onlinemedienwelt, | |
mit der wir aufgewachsen sind, in der wir recherchieren, schreiben, Themen | |
entdecken und in der wir uns wohl fühlen. Das Problem ist nur: Keiner weiß, | |
wie in dieser Welt irgendwann Qualitätsjournalismus - etwa eine aufwendige | |
Reportage - finanziert werden soll. | |
So, wie die meisten Verlage heute ihren Print- mit ihrem Onlinebereich | |
verbinden, wird es jedenfalls nicht gehen. Fast alle Verlage stellen die | |
Zeitung vom nächsten Tag zuvor schon online. Morgen am Kiosk soll also | |
jemand für etwas bezahlen, dass er einen halben Tag vorher schon gratis | |
haben konnte? Das kann auf Dauer nicht funktionieren. So wird der bezahlte | |
Qualitätsjournalismus aufs Spiel gesetzt - und damit das Berufsfeld | |
Journalismus sowie dessen demokratische Funktion als "vierte Gewalt". | |
Das Konzept, auf "Bezahlinhalte" zu setzen, gilt als gescheitert. Zu Recht? | |
Die Berliner Morgenpost hat erst jüngst mal wieder versucht, Texte im | |
Internet nur noch gegen Gebühr anzubieten. Kaum überraschend, wurden ihre | |
Seiten daraufhin weniger angeklickt. Klickzahlen sind leicht zu messen. | |
Weniger leicht zu messen ist, wie viele Leser der Printausgabe erhalten | |
bleiben, weil deren Inhalte dadurch wieder an Exklusivität gewinnen. Doch | |
auch diesen Effekt gibt es. | |
Klar ist aber auch: Die Zeitung wird als Nachrichtenquelle nie wieder so | |
wichtig werden, wie sie es einmal war. Dafür ist das Internet mit all | |
seinen Möglichkeiten viel zu stark. Aber so lange die Verlage ihr Geld mit | |
Zeitungen verdienen und auch ihre Onlineredaktionen damit finanzieren, | |
müssen sie alles dafür tun, sich diese Einnahmequelle so lange wie möglich | |
zu erhalten. Online können sie ihren Teil dazu beitragen - etwa indem | |
besondere Inhalte der Printausgabe über die Website beworben werden. | |
Ausdifferenzierung, aber wie? | |
Zukunftsträchtig wäre es, die Angebote konsequent aufzufächern. Über | |
Onlinekommentarfunktionen oder Blogs bietet das Internet unschlagbare | |
Möglichkeiten, ein Medium zur Diskussionsplattform auszubauen; über Videos | |
und Audiokommentare oder Chats können die Redakteure näher an die Leser und | |
User herangeführt werden. Auf einmal bekommt die Zeitung Stimmen und | |
Gesichter! Dazu können schnelle News und Liveberichte von Veranstaltungen | |
und Demonstrationen kommen. Auf so einer lebendigen und interaktiven | |
Internetseite braucht es die langen Reportagen und Analysen aus der Zeitung | |
gar nicht. | |
Auf jeden Fall wird sich die Gesellschaft in Zukunft stärker für einen | |
unabhängigen Journalismus engagieren müssen, als sie dies bisher getan hat. | |
Genossenschaftsmodelle wie das der taz werden darum an Bedeutung gewinnen. | |
Direkten Einfluss können die Genossen auf die Geschäftspolitik nicht | |
nehmen. Aber sie können solidarisch den Journalismus unterstützen, den sie | |
für wichtig halten. | |
Bürger machen neue Medien | |
Ein Blick in die USA zeigt, welche Möglichkeiten des bürgerschaftlichen | |
Engagements es noch geben kann. Dort existiert seit 2007 die Website | |
[1][propublica.org], die sich auf investigative Recherchen spezialisiert, | |
die sie anderen Redaktionen zur Verfügung stellt. Dafür hat sie gerade den | |
Pulitzer-Preis gewonnen: ein Zeichen der Jury, das in die Zukunft weist. | |
Finanziert wird [2][propublica.org] über Mäzene - von Bürgern, die statt in | |
eine Oper oder ein Museum in unabhängigen Journalismus investieren, weil | |
sie ihn für wichtig halten. | |
In den USA gibt es mittlerweile viele Modelle dieser Art. Die Alternative | |
dazu wäre ein stärkeres finanzielles Engagement des Staates. Doch ob | |
Sponsoring oder Subventionen - beides hat seine Tücken. Denn was, wenn die | |
Geldgeber auf einmal auf redaktionelle Inhalte Einfluss nehmen wollen? Fest | |
steht: Der Journalismus der Zukunft muss um seine Unabhängigkeit kämpfen. | |
Die gegenseitige Kontrolle der Medien wird deshalb wichtiger werden. | |
Das Internet bietet aber auch neue Chancen für den Journalismus. Bestimmte | |
Informationen werden, etwa über Initiativen wie Wikileaks, schneller einer | |
breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Der Austausch mit Bloggern | |
sollte selbstverständlich werden. Blogger sind zwar keine Journalisten im | |
herkömmlichen Sinn, aber sie können Informanten und Komplizen sein. Der | |
Journalismus kann nur besser werden, indem er sich auf eine breitere | |
Informantenbasis stützt: So kann er letztlich transparenter und damit auch | |
demokratischer werden. | |
Je mehr Verantwortung die Generation der Onlineprofis in den Redaktionen | |
bekommt, umso schneller wird diese Entwicklung vonstatten gehen. Aus den | |
Trümmern der alten Medienwelt könnte so schon bald ein neuer Journalismus | |
entstehen. | |
GORDON REPINSKI | |
19 Apr 2010 | |
## LINKS | |
[1] http://propublica.org | |
[2] http://propublica.org | |
## AUTOREN | |
Gordon Repinski | |
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