# taz.de -- Putin-Gegner Michail Chodorkowski: "Gefängnis ist eine schwere Pr�… | |
> Michail Chodorkowski über sein Verhältnis zu Putin und die | |
> Reformbereitschaft der Gesellschaft. Damit ein Gericht in Russland | |
> unabhängig entscheide, müsste ein Wunder geschehen, sagt er. | |
Bild: Michail Chodorkowski am 6.4.2010. In der Glaswand spiegelt sich ein russi… | |
taz: Herr Chodorkowski, Sie haben beantragt, Ministerpräsident Wladimir | |
Putin im laufenden Verfahren in den Zeugenstand zu rufen. Das Gericht | |
lehnte den Antrag ab. Was wollten Sie ihn fragen? | |
Michail Chodorkowski: Wladimir Putin könnte Licht in die Anklage bringen. | |
Mir wird vorgeworfen, 350 Millionen Tonnen Öl unterschlagen zu haben. Putin | |
müsste mehr darüber wissen, denn es handelte sich bei dieser Menge um 20 | |
Prozent der gesamten russischen Ölförderung damals. Er könnte sich zu dem | |
Vorwurf äußern, Yukos sei wie ein Geheimbund des organisierten Verbrechens | |
geführt worden. Fragen der Unternehmensführung hat er schließlich mit mir | |
persönlich besprochen. Nicht zuletzt könnte er klarstellen, dass Erlös und | |
Gewinn aus den Ölverkäufen nicht, wie die Staatsanwaltschaft unterstellt, | |
verschwunden sind. Sie flossen in Yukos-Aktiva, die nach der Liquidierung | |
unserer Firma der Staatskonzern Rosneft mithilfe der Baikal-Finanzgruppe | |
übernahm. Putin sollte es wissen, denn hinter der Baikal-Finanzgruppe, | |
sagte er damals, stünden "ihm persönlich bekannte Experten". | |
Im September 2011 endet Ihre erste Haftstrafe. Was muss geschehen, damit | |
Sie das Gefängnis verlassen können? | |
Der Spruch eines gewöhnlichen Gerichts würde ausreichen, wonach es nicht | |
angehen kann, dass von Yukos einerseits Steuern für gefördertes Öl verlangt | |
werden, dieses Öl später aber als verschwunden deklariert und Chodorkowski | |
als Dieb dargestellt wird, der die eigene Firma bestohlen haben soll. Was | |
müsste geschehen, damit ein Gericht diese selbstverständliche Entscheidung | |
träfe? Ein Wunder, "die Unabhängigkeit der russischen Justiz", wie sie | |
Präsident Medewedjew versprochen hat. | |
Gibt es Anzeichen dafür, dass die Obrigkeit ein Einsehen haben könnte? | |
Medwedjew versucht, das System zu reformieren. Auch Putin scheint | |
Reformbedarf erkannt zu haben. Vor jeder Reform steht aber eine der | |
schwierigsten Aufgaben: Persönliche Interessen müssen zum Schweigen | |
gebracht werden. Bislang werden private Anliegen und Vorteilssuche als | |
staatliche Interessen ausgegeben. Noch sehe ich keine Bereitschaft, an | |
diesem Übel etwas zu ändern. | |
Wenn man Ihnen anböte: Freiheit gegen Emigration, würden Sie darüber | |
nachdenken? | |
Vor dieser Entscheidung stand ich 2003 schon einmal. Ich habe abgelehnt. | |
Gefängnis ist eine schwere Prüfung. Auch die Interessen und Wünsche meiner | |
Familie liegen auf der Waagschale, auf der anderen Seite aber auch die | |
Wahrung eines ehrlichen Namens. Ich hoffe, mir bleibt eine Entscheidung ein | |
zweites Mal erspart. | |
Wladimir Putin unterstellte Ihnen im Dezember, sie hätten Morde zu | |
verantworten. Wenn Sie so etwas hören, was geht dann in Ihnen vor? | |
Das war nicht das erste Mal. Mir geht es wie wohl jedem Menschen. Erst ist | |
es schwer, dann gewöhnt man sich dran. Oder sagen wir: fast. In der | |
Geschichte Russlands ist es keine Seltenheit, Gegner auf diese Weise zu | |
diskreditieren. In Ländern ohne Rechtsstaat ist es eine ohnehin übliche | |
Praxis. So einfach ist das. | |
Hat sich in den zwei Jahren der Präsidentschaft Medwedjews etwas zum | |
Positiven verändert? | |
Persönlich sind mir Werte und Prioritäten, wie sie Medwedjew vertritt, | |
näher und verständlicher als die Putins. Auch die Methoden, die er für | |
akzeptabel hält. Jeder von beiden will natürlich nur Gutes für sein Land. | |
Gewisse Veränderungen sind auch zu erkennen, bislang haben sie aber nur | |
symbolische Bedeutung. Mir scheint es strategisch klüger, den Akzent statt | |
auf Polizeieinsätze auf Recht und Gesetz zu setzen. | |
Für Außenstehende ist es schwer nachzuvollziehen, wie das Tandem | |
Medwedjew/Putin funktioniert. Haben Sie eine Vorstellung? | |
Medwedjews Selbständigkeit ist durch die totale Loyalität zu Putin | |
begrenzt. Nur in diesem Rahmen kann er handeln. Die Beschränkungen werden | |
in jeder konkreten Frage sichtbar. Andererseits glaube ich nicht, dass sich | |
Grenzen nicht auch verschieben lassen. | |
Medwedjew drängt der Elite eine Modernisierungsdiskussion auf. Säßen Sie im | |
Kreml, womit würden Sie beginnen? | |
Modernisierung muss von verschiedenen Stellen im ganzen Land, nicht nur vom | |
Kreml ausgehen. Das ist die Herausforderung. Der erste und wichtigste | |
Schritt wäre die Schaffung einer unabgängigen Gerichtsbarkeit. Natürlich | |
ist damit nicht alles getan. Veränderung braucht Gleichgesinnte, die am | |
Erfolg interessiert sind. Ich hoffe, Medwedjew gelingt es, wenn ihm dafür | |
genügend Zeit bleibt. | |
Viele aus der Elite halten nichts von Veränderungen, und auch die Mehrheit | |
der Bürger bleibt skeptisch. | |
Ein erheblicher Teil der Elite möchte die Modernisierung einfach zerreden | |
und zumindest für eine gewisse Zeit alles so belassen, wie es ist. Nach dem | |
Motto: Nach uns die Sintflut. Das ist in der Tat ein riesiges Problem. Die | |
Menschen erkennen das und reagieren daher skeptisch auf das Vorhaben. | |
Ihr ehemaliger Mitarbeiter Dmitri Gololobow geht mit Ihnen hart ins | |
Gericht: Sie verdienten kein Mitleid, weil Sie im Interesse politischer | |
Ambitionen eigene Leute geopfert hätten. Wie stehen Sie dazu? | |
Mir tun alle leid, die durch die Yukos-Liquidierung Schaden genommen haben. | |
Ich wünschte, ich könnte etwas für sie tun. Jeder hat das Recht, selbst zu | |
entscheiden, für wie schuldig er mich hält. Ich weise keine Verantwortung | |
von mir und bin bereit, vor Gott und den Menschen dafür geradezustehen. Ein | |
anderer hätte vielleicht klüger gehandelt. Heute sehe ich jedoch keinen | |
anderen Weg, als vor Gericht und der Öffentlichkeit unseren guten Namen zu | |
verteidigen. | |
Einige russische Beobachter gehen davon aus, dass das politische System die | |
nächsten zwei Jahre nicht mehr überstehen wird. Stimmen Sie dem zu? | |
Nein, es gibt keine Anhaltspunkte, warum der politische und | |
gesellschaftliche Stillstand nicht auch noch zwei weitere Jahre anhalten | |
sollte. | |
Yukos-Manager haben vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag | |
erreicht, dass Rosneft-Konten in England und den USA für den Geldverkehr | |
von Öltradern gesperrt wurden. Dies soll so lange in Kraft bleiben, bis | |
Rosneft die Schulden von 400 Millionen Dollar an ehemalige Yukos-Aktionäre | |
beglichen hat. | |
Die Anleihe einer ausländischen Yukos-Gesellschaft ging an eine russische | |
Tochtergesellschaft von Yukos, die von Rosneft schon nach meiner Festnahme | |
geschluckt wurde. Mit mir hat das nichts mehr zu tun. Andererseits aber | |
hält die Anklage in meinem laufenden Verfahren gerade diese Millionen für | |
Schwarzgelder und hat das auch in aller Öffentlichkeit kundgetan. Wenn dem | |
so ist, bedeutet dies, dass sich Rosneft von "schmutzigem kriminellem Geld" | |
nicht trennen möchte. | |
Auch in Straßburg vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ist | |
ein Verfahren anhängig: "Yukos gegen Russland". Was sagen Sie dazu? | |
An diesem Prozess bin ich nicht beteiligt. Ich verfolge ihn ausschließlich | |
vor dem Hintergrund meines Moskauer Verfahrens. In Straßburg behaupten die | |
Vertreter des Staates, Yukos hätte alle Vorteile aus dem Verkauf des Öls | |
erhalten und müsse dafür Steuern zahlen. Dies widerspricht aber der | |
jetzigen Anklage, ich hätte das Öl gestohlen. Ich hoffe, dass die Obrigkeit | |
begreift, in was für eine unangenehme Lage korrumpierte Bürokraten sie | |
gebracht haben. Ich kann mir nicht vorzustellen, dass die einen Beamten | |
nicht erkennen, wenn die andere Fraktion lügt. | |
In einem Beitrag für die Zeitung Nesawissimaja Gaseta beschrieben Sie das | |
russische Justizsystem als einen Geschäftszweig, der Recht und Gesetz zur | |
Durchsetzung der eigenen Interessen instrumentalisiert. Gilt das auch für | |
andere Bereiche des Staates? | |
Zweifelsohne, jeder Apparat, der keiner gesellschaftlichen Kontrolle | |
unterliegt, wird nicht im Interesse der Bürger handeln. Die völlige | |
Unkontrollierbarkeit der Sicherheitsstrukturen ist jedoch noch viel | |
gefährlicher. Sie kommt einer militärischen Besetzung gleich. | |
Unter Wladimir Putin strebte Russland die Rolle einer Energie-Supermacht | |
an. Ist dieses Ziel noch realistisch? | |
Der russische Anteil an der Weltproduktion von Energieträgern beträgt | |
weniger als 10 Prozent. Diese 10 Prozent machen 50 Prozent des russischen | |
Budgets aus. Ich glaube nicht, dass Putin das für einen großen Erfolg hält. | |
Wenn Europa den Verbrauch von Gas und Öl erhöht, führt das zwangsläufig zu | |
größerer Abhängigkeit von Entscheidungen der russischen Regierung. | |
28 Apr 2010 | |
## AUTOREN | |
Klaus-Helge Donath | |
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