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# taz.de -- Menschenrechtler über Medwedjew: "Eine bescheidene Bilanz"
> Der Menschenrechtler Lew Ponomarew beklagt die mangelnde Liberalisierung
> Russlands. Mit der Amtsübernahme von Medwedjew hat sich die Lage
> verschärft.
Bild: Seit einem Jahr im Amt: Russlands Präsident Dmitri Medwedjew.
taz: Herr Ponomarew, im April wurden Sie auf offener Straße wohl aus
politischen Motiven niedergeschlagen. US-Präsident Barack Obama sprach
seinen russischen Amtskollegen beim ersten Treffen darauf an. Hat sich
jemand von der russischen Führung bei Ihnen danach gemeldet?
Lew Ponomarew: Nein. Das ist wohl unter ihrer Würde.
Aber mit Präsident Dmitri Medwedjew sitzt seit einem Jahr ein neuer Mann im
Kreml. Mit der Amtsübergabe Wladimir Putins verband sich auch die Hoffnung
auf eine neue Tauwetterperiode. War das unbegründet?
Ich möchte nicht allzu radikal sein, die Bilanz fällt jedoch bescheiden
aus: Unter Medwedjew hat sich nichts zum Besseren gewendet. Die
optimistische Stimmung von damals herrscht zwar weiter vor, und das ist an
sich schon von Nutzen. Aber Medwedjew wollte gegen den "Rechtsnihilismus"
bei uns zu Felde ziehen, doch Maßnahmen zur Stärkung der Rechtssicherheit
unternahm er bislang nicht. Trotz allem wächst die Zahl der Menschen, die
mit ihm Hoffnungen auf eine Lockerung der verkrusteten Verhältnisse
verbinden. Obwohl sich gleichzeitig auch Enttäuschung breitmacht.
Wovon sind die Bürger besonders enttäuscht?
Statt das Recht zu stärken, leitete der Präsident Schritte ein, die in die
entgegengesetzte Richtung weisen. Den Geschworenengerichten wurde die
Möglichkeit genommen, Beweismaterialien einzusehen, die mit Untersuchungen
des Geheimdienstes FSB zu tun haben. Und das sind meist alles Fälle, die
die öffentliche Ordnung betreffen. Ausschreitungen der Sicherheitsorgane
bei Demonstrationen fallen auch darunter. Das ist ein schwerwiegender
Rückschritt. Den Ukas unterzeichnete der Präsident. Was als Reform des
Gerichtswesens dargestellt wird, ist eigentlich eine Gegenreform.
Machen Sie daran den anhaltenden Einfluss der Sicherheitsstrukturen fest?
Die Dominanz der Sicherheitsstrukturen ist ungebrochen. Negative
Entwicklungen, die mit Expräsident Putin einsetzten, wurden nicht etwa
gestoppt oder wenigstens abgebremst. Selbst die Gewissensfreiheit gerät ins
Visier der Staatsmacht. So wurde unter der Kuratel des Justizministeriums
ein Komitee zur Zusammenarbeit mit religiösen Organisationen gegründet.
Vorsitzender ist ein Lobbyist des Moskauer Patriarchats der orthodoxen
Kirche, die sich offen gegen Gewissensfreiheit wendet und auch die
allgemeinen Menschenrechte für einen zerstörerischen Westimport hält.
Im April lud der Präsident Vertreter oppositioneller NGOs in den Kreml ein
und sprach davon, dass das gängige Feindbild der NGOs korrigiert werden
müsse. Bedeutet das nicht, der Manövrierraum könnte breiter werden?
Medwedjew regte an, die Gesetzgebung zur Zivilgesellschaft zu ändern. Putin
engte deren Arbeitsbedingungen erheblich ein, vor allem die finanzielle
Seite wurde verschärft. Das ist auch ein Problem, aber nicht das
schlimmste. Hätte der Präsident die Gründung eines Fonds unter Leitung
unabhängiger Instanzen vorgeschlagen, der zivilgesellschaftliche
Organisationen nach eigenem Gutdünken unterstützt, dann wäre dies etwas
wirklich Neues gewesen. So weit wollte er aber wieder auch nicht gehen.
Sind der versöhnlichere Umgang und der liberalere Zungenschlag Medwedjews
nur Maskerade?
Im Russischen nennen wir das pokasucha. Nur zum Schein, mal sehen, wer
darauf hereinfällt. Aktive Vertreter der Zivilgesellschaft werden verfolgt,
und es sind inzwischen Tausende. Das begann mit Putin. Medwedjew führt es
nicht nur fort, die Tendenz scheint sich noch zu verstärken. Alle
oppositionellen Parteien und Bewegungen sind davon betroffen, aber
besonders hart rangenommen werden linke Vereinigungen und antifaschistische
Gruppen. Kurzum: Wir sehen kein Signal, dass die Bespitzelung über kurz
oder lang aufhören könnte. Auch im Prozess gegen den Exoligarchen Michail
Chodorkowski hält der Präsident an der Putin-Linie fest. Er stellt das
schändliche Verfahren nicht ein. Die Abhängigkeit unserer Gerichte von der
Politik ist kein Geheimnis.
Der Unterschied in Stil und Form zwischen Präsident Medwedjew und Premier
Putin ist augenfällig. Hier der verständige, erklärungsfreudige, nüchterne
Medwedjew, dort ein aggressiver, bärbeißiger Putin. Ist die Arbeitsteilung
gezielt?
Anfangs vermuteten wir, die Doppelführung werde nicht lange durchhalten.
Das Tandem handelt aber geschlossen, zumindest erkenne ich keine
nennenswerten Risse. Es sieht nach bewusster Arbeitsteilung aus, die sich
auf Äußerlichkeiten beschränkt. Kollegen aus der Menschenrechtsbewegung
haben dem Kreml Dutzende vernünftige Vorschläge eingereicht. Die Papiere
kommen kommentarlos zurück, als hätten sie den Präsidenten nie erreicht.
Medwedjew gab der oppositionellen Zeitung Nowaja Gaseta ein Interview. Ein
Novum in Putins Russland.
Die Sache als solche ist positiv. Nur sagte er in dem Gespräch nichts
Besonderes und wich klaren Antworten aus. Selbstverständlich ist Medwedjew
im Auftreten ein angenehmerer Zeitgenosse als ein wütende Grimassen
ziehender Putin. Bedauerlich ist nur: Es bleibt bei Worten. Wenn Medwedjew
meint, "Freiheit ist besser als Unfreiheit", so klingt das freundlicher als
Putins Drohung, Gegner "auf dem Klosett zu vernichten". Die Rhetorik
stimmt, aber Verfolgung und totale Überwachung von Oppositionellen gehen
weiter. Fast alle Demonstrationen werden verboten. Außenpolitisch tritt der
Präsident moderater auf, aber er unterscheidet sich in der Stoßrichtung
nicht von seinem Vorgänger.
Sie haben vor Kurzem die oppositionelle Bewegung Solidarnost mitgegründet.
Machen Menschenrechtler jetzt Politik?
Die liberalen Politiker sind von der politischen Bühne verschwunden.
Menschenrechtler müssen sich jetzt in die Politik einmischen, wenn nicht
auch noch die Reste einer Gegenöffentlichkeit wegbrechen sollen.
6 May 2009
## AUTOREN
Klaus-Helge Donath
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