# taz.de -- Expo 2010 in Schanghai: Schaufenster in eine bessere Welt | |
> Auf der Expo in Schanghai präsentiert China seine Stärke - und der Rest | |
> der Welt Visionen von der Stadt der Zukunft. Die sollten die Führung in | |
> Peking auch interessieren. | |
Bild: Zur Eröffnung der Expo 2010 gab es ein riesiges Feuerwerk. | |
SCHANGHAI taz | Wie riesige magische Trompeten wirken die Glastrichter am | |
Eingang der Expo. Noch mehr dieser Gebilde säumen die große Promenade, die | |
das Gelände der Weltausstellung durchschneidet. Die Trichter sollen | |
Tageslicht in die Dunkelheit der U-Bahn-Stationen leiten und Wasser für die | |
Pflanzen sammeln - und so dazu beitragen, den Alltag einer Megametropole | |
wie den der Gastgeberstadt Schanghai lebenswerter zu machen. | |
Eine spannende Idee, die von Architekten in Zukunft vielleicht aufgenommen | |
und weiterentwickelt wird. "Bessere Stadt, besseres Leben" lautet das Motto | |
der Expo, die am Wochenende für ein halbes Jahr ihre Tore geöffnet hat. | |
Schon in den ersten Stunden drängten sich zehntausende Menschen über das | |
Gelände, das größer ist als Monaco. | |
Großer Andrang | |
An den Trichtern vorbei streben viele zum chinesischen Pavillon, der höher | |
ist als alle anderen hier und rot wie der Kaiserpalast von Peking. "Er | |
sieht aus wie eine Krone oder ein Getreidesilo aus alten Zeiten", schreiben | |
Chinas offizielle Medien, Spötter nennen ihn eine "umgefallene | |
Beamtenmütze". Der Andrang in den ersten Tagen ist so groß, dass man nur | |
mit einer zusätzlichen Eintrittskarte hineinkommt. | |
Auch innen dominiert die Vergangenheit: Auf gewaltigen Digitalmonitoren | |
bekommen die Besucher eine stolze Rückschau auf die Reform- und | |
Öffnungspolitik der vergangenen 30 Jahre zu sehen, auf das rasante Wachstum | |
der Städte und auf die Geschichte des Landes, bis hin zu Straßenszenen der | |
Song-Dynastie vor tausend Jahren. | |
Braucht man dafür noch eine Weltausstellung? Die Frage nach dem Sinn einer | |
Expo in den Zeiten von Fernsehen, Internet und Massentourismus drängt sich | |
auf. Als die erste Schau 1851 im Londoner Hyde Park öffnete, sollte sie die | |
Besucher mit anderen Kulturen, Erfindungen und Ingenieursleistungen | |
vertraut machen. Ist diese Funktion nicht längst überholt? | |
Chinas Politiker nutzen die Expo im eigenen Land dazu, ihre Stärke zu | |
demonstrieren. Staats- und Parteichef Hu Jintao hielt am Freitag Hof für | |
die internationalen Gäste, darunter Frankreichs Staatschef Nicolas Sarkozy | |
und EU-Ratspräsident José Barroso. Hu tat dies steif, mit dem Habitus eines | |
alten Palastbeamten, er präsentierte ein traditionelles Bankett, eine | |
konservative Gala und ein Hightech-Feuerwerk. Seine unübersehbare | |
Botschaft: Nach dem Zeitalter der Demütigungen ist China wieder ganz vorn, | |
an uns kommt niemand mehr vorbei. Und dies ist allein der Kommunistischen | |
Partei zu verdanken. | |
Eingesperrte Kritiker | |
Damit niemand widerspricht, werden, wie bei wichtigen Ereignissen üblich, | |
Kritiker eingesperrt oder unter Hausarrest gestellt. "Sicherheit hat die | |
allerhöchste Priorität", verkündete ein hoher Funktionär. Doch vielleicht | |
schaffen es die Zuschauer aus China und der Welt ja dennoch, der Expo einen | |
anderen Dreh zu geben. Mit 70 Millionen Gästen, die meisten davon aus | |
Schanghais Umland, rechnen die Veranstalter bis Ende Oktober, am ersten Tag | |
kamen rund 204.000. Die meisten von ihnen waren niemals im Ausland und | |
werden China wohl auch nie verlassen. Ihre Kenntnisse über ferne Länder | |
erhalten sie aus den staatlichen Medien, gefiltert, sortiert, etwa, wenn es | |
um das Leben in einem Land wie Deutschland geht. Für sie ist die Expo, was | |
sie auch für die Londoner 1851 war: ein Schaufenster zur Welt. | |
Nun stehen die Chinesen Schlange, auch vor dem deutschen Pavillon: Der | |
liegt, zackig und verschachtelt, zwischen seinen verspielteren europäischen | |
Nachbarn. Die Organisatoren gehören zu jenen, die das Thema der Expo | |
"Bessere Stadt, besseres Leben" ernst nehmen und sich nicht wie auf einer | |
gewöhnlichen Tourismusmesse nur mit schönen Landschaften und technischen | |
Errungenschaften präsentieren wollen. Mit einem kräftigen Schuss Pädagogik | |
wird das Ziel eines klügeren Umgangs des Menschen mit der Umwelt | |
vermittelt. "Balancity" ist das Motto: Stadt im Gleichgewicht. | |
Die Besucher passieren Fotos mit Beispielen von Wäldern am Stadtrand, die | |
nicht nur schön sind, sondern auch nützlich, von Windrädern und | |
Solardächern, von neuen Freizeitparks dort, wo die Erde noch vor wenigen | |
Jahren vom Uranbergbau zernarbt und karg war. "Wir wollen zeigen, wie wir | |
es machen, aber nicht mit erhobenem Zeigefinger", sagt Sprecherin Marion | |
Conrady. Zum Schluss der Höhepunkt: eine "Energiekugel" in der Mitte eines | |
Raums, in dem hunderte Besucher gemeinsam schreien sollen, um die tausenden | |
Leuchtdioden auf der Kugel ins Schwingen zu bringen. Rund 50 Millionen Euro | |
kostet der deutsche Expo-Auftritt. | |
Aber wie viel Information, wie viel Umweltunterricht werden die Besucher | |
verkraften? Erstaunt beobachtet Pavillon-Mitarbeiterin Li Guannan, Chinesin | |
aus Frankfurt, am Sonntag den Andrang: "Jetzt warten sie schon über drei | |
Stunden auf den Einlass, und dabei bleiben sie auch noch gut gelaunt!" | |
Wuchernde Megacitys | |
Das Interesse am Leben der anderen ist also enorm. Die Expo soll | |
Gedankenanstöße geben - und das ist auch dringend nötig. Peking und | |
Schanghai ersticken im Verkehr, und doch werden täglich Tausende von Autos | |
neu zugelassen. Abermillionen Städter produzieren Berge von Müll, viele | |
Deponien sind überfüllt. | |
In den nächsten Jahrzehnten wird es in China immer mehr Millionenstädte | |
geben, schon jetzt sind es mehr als 160. Im Norden und Südwesten Chinas | |
haben die Städte nicht genug Wasser, und trotzdem wird unbeirrt weiter | |
gebaut. Wassersparende Gebäudetechnik und dichte Leitungen tun die | |
Bauherren als "zu teuer" ab, strengere Vorschriften, die den | |
Energieverbrauch von Wohn- und Geschäftshäusern senken, empfinden | |
Architekten höchstens als netten Hinweis. | |
Wer die Berichte im chinesischen Staatsfernsehen zur Eröffnung der Expo | |
sah, rieb sich die Augen: Weil die Propaganda-Abteilung der KP die | |
Journalisten angewiesen hatte, "positiv" zu berichten, priesen die | |
TV-Sprecher und geladenen Experten unermüdlich die schönen Pavillons und | |
die Idee "harmonischer" Städte - und blendeten dabei Beispiele urbaner | |
Katastrophen im eigenen Land einfach aus. So sprach niemand über ein | |
Problem, das Chinas Gesellschaft zersprengen könnte: das Zweiklassensystem. | |
Auf der einen Seite stehen jene, die in einer Stadt wohnen dürfen und ihre | |
Privilegien genießen, und auf der anderen Seite diejenigen, die wieder vor | |
die Tür gesetzt werden können. Immer mehr Wanderarbeiter drängen in die | |
Städte, weil sie die einzige Chance bieten, sich aus der Armut zu befreien. | |
Was städtische Familien für ein Abendessen ausgeben, verdienen sie in | |
manchen Regionen nicht einmal in einem ganzen Jahr. | |
Viele leben in primitiven Unterkünften und können ihre Kinder nicht zur | |
öffentlichen Schule schicken, weil sie keine vollen Stadtrechte erhalten. | |
Dieses mittelalterlich anmutende System hat die KP in den Fünfzigerjahren | |
eingeführt, um zu verhindern, dass die Bauern nach der | |
Zwangskollektivierung in die Städte ziehen. Der Druck, das "Hukou"-System | |
der Stadtrechte zu ändern, ist groß. 300 Millionen Landleute dürften in den | |
nächsten Jahrzehnten zu Neustädtern werden. | |
Immobilienfirmen haben im Einklang mit den Funktionären in Peking und | |
andernorts alte Gassen fortgeräumt, die Bewohner aus der Innenstadt an den | |
Rand in moderne Wohnsiedlungen getrieben und nicht immer ausreichend | |
entschädigt. Von Bürgerbeteiligung und Offenheit kann nicht die Rede sein. | |
Ob eine Expo heute noch sinnvoll ist, also über die Machtdemonstration der | |
chinesischen Politelite hinaus, liegt vor allem in den Händen der Gäste. | |
Innerhalb eines halben Jahres sollte es genug Gelegenheit geben, ernsthaft | |
über die Probleme der Verstädterung und die weltweiten Erfahrungen damit zu | |
debattieren. Und vielleicht hört der Gastgeber ja sogar zu. | |
3 May 2010 | |
## AUTOREN | |
Jutta Lietsch | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Korruption | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Expo 2015 in Mailand: Bauarbeiten bis zur letzten Minute | |
Trotz Bauverzögerungen eröffnet die Weltausstellung in Mailand. Italien | |
erhofft sich einen großen Aufschwung. Die Kritiker sind nicht verstummt. | |
Mit Horst Köhler in Shanghai: Deutschlandtag auf der Expo | |
Die Wartezeiten vor dem deutschen Pavillon sind lang. 45.000 Besucher | |
werden hier Tag für Tag durchgeschleust. Der Bundespräsident hat deutsche | |
Fußballer mitgebracht. | |
Architekt Cui Tong über Expo 2010 und Bauboom: "Götter haben Europa besser be… | |
In China könnte es in wenigen Jahren bereits 15 Megastädte mit jeweils mehr | |
als 25 Millionen Menschen geben, sagt der chinesische Architekt Cui Ton | |
anläßlich der Expo in Shanghai. |