| # taz.de -- ZWANGSEINWEISUNG UND MENSCHENRECHT: Wer hat Angst vorm PsychKG? | |
| > Das Psychisch-Kranken-Gesetz (PsychKG) soll nach dem Willen der | |
| > Gesundheitssenatorin unverändert verlängert werden. Kritiker fordern die | |
| > Anpassung an die UN-Behindertenrechtskonvention. | |
| Bild: Heftig: Psychiatrisierung im Thriller der 60er. Wegsperren ist aber auch … | |
| Wegsperren, das ist durchaus Praxis. 1.314 Zwangseinweisungen von Menschen | |
| mit psychischen Störungen, Suchtkrankheiten und seelischen Behinderungen | |
| hat es 2008 in Bremen gegeben. Das scheint unvermeidlich bei Menschen, die | |
| sich in Phasen psychischer Krankheit nicht selbst steuern können, andere | |
| oder sich selbst gefährden. Die Frage ist, ob das so sein darf. | |
| Schließlich hat Deutschland im März 2009 die UN-Behindertenrechtskonvention | |
| unterzeichnet - die sichert den Schutz von Menschen mit Behinderungen vor | |
| Diskriminierungen. | |
| Geregelt sind Zwangsunterbringung und Zwangsbehandlung im | |
| Psychisch-Kranken-Gesetz (PsychKG). Ende Juni läuft es aus. | |
| Gesundheitssenatorin Ingelore Rosenkötter (SPD) plant eine Verlängerung | |
| über fünf Jahre, unverändert. Psychiatrie-Erfahrene fordern eine Reform. | |
| Zweifel haben auch Juristen. Beide berufen sich auf das neue Abkommen. | |
| "Es ist juristisch unumstritten, dass sich die Konvention auch auf seelisch | |
| Behinderte bezieht", sagt der Bremer Rechtswissenschaftler Helmut Pollähne. | |
| Und kritisiert das Ressort: "Man kann eine solche Konvention nicht | |
| unterzeichnen und sie hinterher nicht konsequent umsetzen." Auch in der | |
| Bürgerschaft gibt es bislang wenig Interesse an der Debatte. | |
| Die Konvention soll mehr sein als eine bloße Absichtserklärung. Es ist auch | |
| schon viel getan worden: Eine konkrete Folge ist die Einführung der | |
| inklusiven Schule im Sommer, an der behinderte und nicht-behinderte Kinder | |
| gemeinsam unterrichtet werden. Gefördert wird auch der barrierefreie Zugang | |
| zum öffentlichen und politischen Leben. Die Konvention verbietet es | |
| außerdem, Menschen aufgrund ihrer Behinderung die Freiheit zu entziehen | |
| oder zur Behandlung zu zwingen. Wie das im Hinblick auf das PsychKG zu | |
| bewerten sei - darüber tobt laut Pollähne die juristische Fachdiskussion. | |
| "Die radikale Position sieht in den Gesetzen Menschenrechtsverletzungen - | |
| und entsprechenden Überarbeitungsbedarf." Einiges spreche dafür. | |
| Das Gesetz sei "sauber", sagt dagegen Silke Stroth, Psychiatrie-Referentin | |
| im Gesundheitsressort, "auch in Bezug auf die Behindertenrechtskonvention". | |
| Das sei auch Konsens in der Gruppe der Psychiatrie-Referenten der Länder, | |
| so Stroth. | |
| Anderslautende Positionen haben es da schwer. Eine lange Liste mit | |
| Änderungsforderungen haben Bremer Psychiatrie-Betroffene schon Mitte 2009 | |
| bei der Gesundheitsbehörde eingereicht. Dass sie angekommen ist, bestätigt | |
| Behördensprecherin Petra Kodré erst auf mehrmalige Nachfrage. | |
| Die Psychiatrie-Erfahrenen wollen strengere Vorschriften für | |
| Zwangsbehandlungen und medikationen, mehr Aufklärung über Nebenwirkungen, | |
| einen besseren Schutz der Privatsphäre von Psychiatrie-PatientInnen - und | |
| die Berücksichtigung der Behindertenrechtskonvention. "Die meisten | |
| Forderungen beziehen sich nicht auf das Gesetz, sondern seine Umsetzung", | |
| sagt Behördensprecherin Kodré. "Ohnehin problematisch" sei alles, was auf | |
| die Abschaffung der Zwangsunterbringung hinauslaufe. Denn die sei "der Kern | |
| des Gesetzes". | |
| Etwas mehr Gehör sollte man den Betroffenen schon schenken, findet der | |
| Jurist Pollähne. Er fordert eine kurze Verlängerung des Gesetzes um ein | |
| Jahr. Sprich: Zeit genug, um ein transparentes Verfahren mit Beteiligung | |
| von Bürgerschaft, Sachverständigen und Betroffenen zu organisieren. "Wir | |
| brauchen einen offenen Diskurs über die Vereinbarkeit von Landesgesetz und | |
| internationaler Konvention", sagt er. | |
| Denn auch er hat keine Patentlösung: Selbst Kritiker halten die Möglichkeit | |
| der Zwangsunterbringung für unverzichtbar. Nach der UN-Konvention, erklärt | |
| Pollähne, wäre letztlich wohl nur eine allgemeine Regelung vertretbar, nach | |
| der alle Menschen eingesperrt werden können, sobald eine Gefahr von ihnen | |
| erwartet wird. | |
| "Das", warnt er, "könnte auch neue Möglichkeiten für | |
| Sicherheitsverwahrungen oder längerfristige Gewahrsamnahmen bedeuten". Also | |
| dass Menschen, die zur Gefahr zu werden drohen, ohne Urteil eingesperrt | |
| werden können - ob mit oder ohne psychische Erkrankung. | |
| 5 May 2010 | |
| ## AUTOREN | |
| Teresa Havlicek | |
| Teresa Havlicek | |
| ## TAGS | |
| Psychiatrie | |
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