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# taz.de -- Volksfest in Tempelhof: Viele Berliner bleiben Zaungäste
> Am Tag der Eröffnung lässt der Senat die Zugänge zum Feld zeitweise
> schließen. Die Zaungegner sehen damit ihre Befürchtung bestätigt, dass
> nicht jeder willkommen ist.
Bild: Wegen der Demonstranten mussten andere draußen bleiben. Sagt der Senat
Der Violinist muss es gesehen haben. Nachdem das offizielle Programm auf
der Hauptbühne des frisch eröffneten Tempelhofer Feldes beendet ist, lassen
sich Demonstranten gegen Zaun und Wachschutz vor der Bühne nieder. Es ist
21 Uhr. Nach dem Willen des Senats sollte das Feld jetzt menschenleer sein.
Doch auf der Bühne spielt und singt der Violinist politische Lieder, die
Menge antwortet mit "Der Zaun muss weg"-Rufen. Langsam, ganz langsam,
postieren sich Polizisten mit Schutzausrüstung um die Demonstranten. Erst
wie zufällig mit ein paar Lücken, dann enger mit heruntergeklapptem Visier.
Umzingelt.
Unter dem Motto "Bewegungsfreiheit" hat der Senat am Samstag zur Öffnung
des Tempelhofer Feldes geladen. Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung
wird später von 100.000 Besuchern am ersten Eröffnungstag sprechen, die
Polizei von 1.200 Teilnehmern an zwei Demos. Dass nicht alle gleich
willkommen sind, macht schon gegen Mittag der Regierende Bürgermeister
Klaus Wowereit (SPD) in seiner Eröffnungsrede deutlich. "Das ist kein Park
für die krakeelenden, sondern für die friedlichen Bürgerinnen und Bürger",
sagt er als Reaktion auf Rufe und Trillerpfeifenlärm.
Und als jemand etwas von Meinungsfreiheit brüllt, antwortet Wowereit:
"Freiheit bedeutet in einer Demokratie, dass man demonstrieren darf, aber
dass man einander auch zuhört." Dass er damit unfreiwillig die Kritik der
Anwohner wiedergibt, in dem Prozess um die Entwicklung des Flugfeldes zu
wenig gehört zu werden, fällt Wowereit nicht auf.
Die Bürger, die sich der Regierende wünscht, beschäftigen sich an diesem
ersten Eröffnungstag gerne mit dem offiziellen Programm: Sie schwitzen beim
Aerobic, fallen beim Inline-Skaten auf die Nase und über die kulinarischen
Angebote her. Viele sind "nur zum Gucken" hier, wie Matthias P. und
Familie. Sie kämen aus Charlottenburg und würden daher den Grunewald
bevorzugen, meint P. Zum Zaun hat er trotzdem eine Meinung: "Von mir aus
kann das Gelände ganz aufgemacht werden."
Wer sich um 14 Uhr am Hermannplatz einfindet, will mehr als Gucken. "Wir
sind da, weil wir nicht wollen, dass die Mieten weiter steigen und dass der
Park für Besserverdienende vermarktet wird", ruft eine Moderatorin ins
Mikro, mehrere Hundert Demonstranten johlen. Während die Demo "Recht auf
Stadt" durch Neukölln zieht, geben sich die Teilnehmer Mühe, die Anwohner
einzubeziehen: Sie verteilen Flyer gleich stapelweise, die Redebeiträge
gibt es auf Deutsch und Türkisch.
Abseits der Demo, vor dem Parkeingang Oderstraße, steht Konny und ist
wütend. Vor ihm ist ein kleiner Klapptisch aufgebaut, auf dem Plakate der
Initiative Reclaim Tempelhof liegen. Wie auch die Organisatoren der Demo
setzt sie sich für ein Feld ohne Zaun und Wachschutz ein. Doch der
Infopunkt, den die Initiative auf dem Feld aufbauen wollte, sei samt
Aktivisten vom Wachschutz des Platzes verwiesen worden. "Und jetzt sollen
wir auch noch von dem Eingang weg." Um Konny und eine Hand voll Aktivisten
stehen mehrere Dutzend Polizisten. "Das bestätigt uns, was wir immer schon
dachten: Tempelhof wird ein Hochsicherheitsgebiet", sagt er. In seine
Stimme mischt sich Enttäuschung.
Eine Stunde später ist es tatsächlich so weit. Die Demo kommt vor dem
Eingang an der Allerstraße an und alles ist zu. Am Straßenende stehen
Polizeiketten, die Eingänge sind innen vom Wachschutz und außen von
Polizisten abgeriegelt. Es sieht alles aus wie vor knapp einem Jahr, als in
einer groß angelegten Aktion das Flugfeld gestürmt werden sollte. "Ihr
beschützt ne Wiese", höhnten die Demonstranten damals. Was heute beschützt
werden soll, ist weniger klar.
Nach und nach kommen nicht einmal mehr die Bürger herein, die Wowereit wohl
gerne dabei gehabt hätte. Auch die Eingänge Richtung Norden und Nordwesten
sind zu. Kinder drücken ihr Nasen durch die Maschen, Eltern starten
Erklärversuche und ein Radioteam führt ein Interview durch den Zaun
hindurch. Die Schließung der Tore sei eine Weisung von oben, erklärt ein
Polizist, der Hausherr wolle es so. "Der Hausherr?", fragt eine Frau. "Der
Senat", kommt die Antwort. Eine weitere Demo sei auf dem Gelände geplant
und es sollten nicht "noch mehr Krawallmacher" herein.
Die weitere Demo besteht aus rund 500 Menschen, die im Zickzack über das
Gelände ziehen und Bewegung in die letzten Programmminuten der Hauptbühne
bringen. Dort schnulzt Frank Zander gerade "Nur nach Hause gehen wir nicht"
und wendet sich an die Demonstranten: "Was sollen wir denn zu Hause bei
diesen hohen Mieten? Wir bleiben alle auf dem Feld". Die meisten Besucher
gehen trotzdem, es bleiben die Demonstranten und eine Reihe von Anwohnern,
die auch gegen den Zaun sind. Dann kommt der Violinist.
Der Polizeikessel fasst nicht mehr als 200 Menschen, die sich langsam von
der Feldmitte bis zum Ausgang an der Oderstaße bewegen. Immer wieder gibt
es Sitzblockaden und Handgemenge, doch insgesamt sind die Demonstranten
nett zur Polizei. Auch, wer sich außerhalb des Kessels befindet, läuft mit.
Vielleicht, weil es mit Einbruch der Dunkelheit doch sehr schnell kalt
geworden ist und die Proteste andere Besucher zum Nachdenken gebracht
haben. Es ist kurz vor zehn, als die Beamten die letzten Demonstranten aus
dem Tor schieben und die beiden Gittertüren gegen den Druck von außen
verschließen. Für diese Nacht.
9 May 2010
## AUTOREN
Svenja Bergt
## TAGS
Schwerpunkt Schillerkiez in Berlin
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