# taz.de -- Die geschönten Studien der Pharmaindustrie: Forschen fürs Geheima… | |
> Gefährliche Geheimniskrämerei: Viele Patienten könnten noch leben, wenn | |
> alle unerwünschten Nebenwirkungen von Arzneimitteln veröffentlicht werden | |
> müssten. | |
Bild: Damit der Umsatz nicht einbricht, werden oftmals die Studienergebnisse ü… | |
BONN/BERLIN apn/taz | Die Geheimniskrämerei in der Arzneimittelforschung | |
hat in den vergangenen Jahrzehnten wahrscheinlich Zehntausende Menschen das | |
Leben gekostet. Das geht aus einer vom [1][Institut für Qualität und | |
Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG)] veröffentlichten | |
Untersuchung hervor. Für die in der Fachzeitschrift [2][Trial] | |
veröffentlichte Studie trugen IQWiG-Forscher über 60 Fälle zusammen, die | |
zeigen, wie die Ausbreitung von Wissen in der Medizin behindert wurde. | |
"Die Sammlung liest sich wie ein Skizzenbuch zu einer Krimiserie", | |
beschreiben die Wissenschaftler ihre Ergebnisse. Vor allem das Verschweigen | |
negativer Untersuchungsergebnisse bei neuen Medikamenten ist der Studie | |
zufolge weit verbreitet. So zeige eine Analyse von 90 in den USA | |
zugelassenen Medikamenten, dass diese in insgesamt 900 Studien erprobt | |
worden seien. Doch auch fünf Jahre nach der Zulassung seien 60 Prozent | |
dieser Studien noch nicht veröffentlicht worden. | |
Bei zahlreichen Arzneimittelstudien konnte zudem gezeigt werden, dass nur | |
ein Teil der Ergebnisse veröffentlicht wird. Sogar vor einer Veränderung | |
der Studienergebnisse schreckten die Pharmaforscher nicht zurück. "Dadurch | |
werden Studienergebnisse oft positiver dargestellt, als sie eigentlich | |
sind", sagte Beate Wieseler vom IQWiG. | |
Leidtragende dieser Manipulationen sind der Studie zufolge häufig die | |
Patienten. Dies gelte besonders, wenn Misserfolgsmeldungen unveröffentlicht | |
blieben, betonten die Forscher. Denn: "Das hat zur Folge, dass Ärzte und | |
Patienten Therapien einsetzen, die in Wahrheit nutzlos oder sogar schädlich | |
sind", berichtete Wieseler. So gingen Forscher davon aus, dass in den | |
1980er-Jahren verschriebene Medikamente gegen Herzrhythmusstörungen | |
Zehntausende Menschen das Leben gekostet hätten, weil frühe Hinweise auf | |
die Nebenwirkungen nicht veröffentlicht worden seien. | |
Dabei hat die Geheimniskrämerei Tradition. Nachdem die Brüder Chamberlen | |
Anfang des 17. Jahrhunderts die Geburtszange erfanden, wurde sie über drei | |
Generationen von ihnen und ihren Nachkommen eingesetzt, aber vor anderen | |
Geburtshelfern geheim gehalten. Niemand wisse, wie viele Mütter und Kinder | |
in dieser Zeit gestorben seien, weil das Instrument anderen Geburtshelfern | |
nicht zur Verfügung gestanden habe. | |
Angesichts der Neigung, unliebsame oder nicht den eigenen Erwartungen | |
entsprechende Ergebnisse unter den Tisch fallenzulassen, fordern die Kölner | |
Forscher "zum Schutz von Patienten gesetzliche Regelungen, damit Ergebnisse | |
aller klinischen Studien zügig und vollständig veröffentlicht werden". | |
Appelle und freiwillige Lösungen könnten das Problem offenbar nicht wirksam | |
beheben. | |
20 May 2010 | |
## LINKS | |
[1] http://www.iqwig.de/index.1045.html | |
[2] http://www.trialsjournal.com/content/11/1/37 | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Chefarzt über Arzneistudien: „Wir müssen unabhängig bewerten“ | |
Der Chef der Arzneimittelkommission, Wolf-Dieter Ludwig, über die | |
Beeinflussbarkeit von Studien, Tamiflu und neue Wirkstoffe. | |
Transparenz bei Arzneimittelstudien: Das Rezept für den Durchblick | |
Sollen Ergebnisse klinischer Medikamentenstudien für alle zugänglich sein? | |
Die EU will mehr Transparenz. Die Pharmaindustrie fürchtet um | |
Geschäftsgeheimnisse. |