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# taz.de -- Eurovision Song Contest: Lena im Wunderland
> Lena Meyer-Landrut ist cool und natürlich. Mit ihrer Art und einem
> grandiosen Auftritt konnte sie Europa überzeugen. An ihrem Erfolg
> erfreuen sich auch Raab und die ARD.
Bild: "Es ist passiert, ich weiß nicht, was los ist": Lena.
OSLO taz | Auch Hierarchen können sich berühren lassen. Und Lena
Meyer-Landrut hat ihre Tränen und ihre Begeisterung provoziert. Thomas
Schreiber, Unterhaltungschef der ARD, aber auch ProSieben-Entertainer
Stefan Raab hatten Wasser in den Augen, als diese ihre Kandidatin immer
wieder Punkte zugepurzelt bekam.
Die junge Frau aus Hannover, die sich im Herbst vergangenen Jahres auf
eigene Faust bei Stefan Raabs Firma meldete, weil sie sich am Casting
"Unser Star für Oslo" beteiligen wollte, hat in der Nacht von Sonnabend auf
Sonntag den 55. Eurovision Song Contest mit dem Lied "Satellite" gewonnen.
Sie bekam von neun Ländern die höchste Punktzahl und, von wenigen Ausnahmen
wie Israel und Weißrussland abgesehen, aus allen Ländern Punkte
gutgeschrieben. Das mag damit zu tun haben, dass sie, die kecke
Abiturientin, die, so Raab, ein "schönes, neues Frauenbild aus Deutschland
verkörpert", von der Bühne aus das Publikum in der Telenor-Arena vor den
Toren bezauberte. Sie lächelte, sie sang so gut wie während der ganzen
Probenwoche nicht, sie genoss sich selbst.
Und sie hatte erkennbar ihren Spaß in eigener Sache. Viele ihrer
KonkurrentInnen hatten an diesem Abend urplötzlich an nervösen Stimmen
gelitten, verfehlten Töne - ProbenkönigInnen, aber in den drei Minuten, in
denen es drauf ankommt, gestrauchelt über die Erwartungen ihrer
Angehörigen.
Lena Meyer-Landrut hingegen, verblüffend, aber wahr, schien unter der Last
des Hypes, der in Deutschland, inzwischen auch in anderen Ländern Europas
um sie herum zelebriert ward, erst aufzublühen. Jeden Tag, so durfte
beobachtet werden, schlüpfte sie stärker in eine Lust auf die Performance
hinein. So sah sie denn auch als Startnummer 22 aus: a German girl who
rocks the music.
Es ist der zweite Sieg für Deutschland in der seit 1956 währenden
Geschichte der Eurovision. Der erste Sieg, 1982 durch die Saarländerin
Nicole errungen, lag lange genug auf dem deutschen Popgemüt wie eine
Grabplatte des Unfriedens. "Ein bisschen Frieden" wurde von der zunehmend
zur Minorität werdenden Szene der Sentimentalitässchlagerfreunde als Beweis
dafür hergenommen, dass man den Komponisten Ralph Siegel, überhaupt solche
Schlagerlein brauche, um Deutschland als Kulturnation zu behaupten.
Der Schatten der Siegelschen Vergangenheit wurde nun kräftig verscheucht;
Lena Meyer-Landrut ist, wie es ein britischer Journalist von der BBC
formuliert, "a modern German Girl, walking in the wonderland of pop". Lena
im Wunderland - von dieser Rolle ließ sich Europa verführen.
Die Begeisterung über den Sieg hielt sich keineswegs in Grenzen. Aus
Städten wie Berlin, Frankfurt am Main, Hamburg und Hannover wurden
Autohupkonzerte gemeldet, in den Bars und Kneipen, in denen zum Public
Viewing geladen war, schien die Stimmung nach Mitternacht zu perlen. Und
die kühlen Norweger? In der Halle selbst wurde die Deutsche während ihres
Siegesvortrags von "Lovely Lena, Lena lovely"-Chören begleitet, während die
Chanteuse dauernd ihren Text änderte und, beispielsweise, "Das ist
verrückt, verrückt, Wahnsinn, verrückt" rappte.
Offensichtlich hat Raabs Rezept funktioniert: Mit einer internationalen
Nummer als Deutsche, als coole Deutsche an den Start zu gehen, sich auf das
Schlichte zu konzentrieren und Freude am Auftritt zu verströmen. In den
Medien, von Frankreich über Großbritannien, Norwegen und Lettland bis zu
Slowenien, Serbien oder der Türkei, wurde sie von der ersten Probenwoche
als Favoritin gehandelt - sie hat, entsprechend den Sympathien, die sie
einheimste, die allermeisten 12-Punkte-Wertungen erhalten (siehe Spalte).
Lena Meyer-Landrut: sie fliegt als Star nach Hause, ein international
fähiger Star, der Wörter wie "natürlich" und "authentisch" salonfähig
macht. Sie ist wohl vor allem eigensinnig, selbst im Moment des Sieges. Sie
sagte: "Ich freue mich über den Sieg, ich bin geschockt, es ist passiert,
ich weiß nicht, was los ist. Aber siegen ist nicht alles im Leben." Raab
sekundierte später: "Sie wird vom Hype herunterkommen", von der Aufwallung,
die so ein Wettbewerb eben stifte. "Aber sie wird das können, das Leben
geht ja gut weiter."
In medialer Hinsicht war dieser Eurovision Song Contest ein fulminanter
Erfolg. Nicht allein das Konzept, dass ARD und ProSieben alliieren, dass
das Erste die Lizenz für diese Show beisteuert und Raab seine Kredibilität,
hat beiden Sendern, die jeweils eine Hälfte der Castingshow ausstrahlten,
gutgetan. Der Eurovision Song Contest trug der ARD eine Quote ein, die sie
seit Einführung der Messungen nicht mehr erzielte für eine
Unterhaltungssendung. 14,7 Millionen Menschen schauten zu, in der Spitze,
vor allem während der Wertungen, lag die Zahl gar bei knapp 20 Millionen.
Im Segment des jüngeren Publikums jenseits der Kukidentsphäre betrug die
Quote für die ARD spektakuläre 61 Prozent. Da konnte weder die
Fußballnationalmannschaft im ZDF noch Boxweltmeister Vitali Klitschko bei
RTL mithalten.
Wie sagte Stefan Raab: "Wenn ein Land gewinnt, hauen sich die Menschen
Furchen in die Schenkel. Das ist nicht zu toppen, das ist Entertainment,
wie es vergleichbares nicht gibt."
Raab sagte auf der Pressekonferenz Ähnliches, was auch Franz Beckenbauer
nach dem Gewinn der Fußball-WM 1990 in Italien leider mitteilte: dass es
nun schwer werde, Deutschland zu schlagen. Raab sagte: "Nächstes Jahr
wollen wir den Titel verteidigen." Das war ein Ausdruck angemessenen
Sportsgeistes. Und Lena fügte hinzu, sie werde sich nicht scheuen, diesen
Titel zu halten.
In der ARD weiß man, dass das Niveau der Shows aus Oslo hoch war. Insofern
war es sinnvoll, dass selbst hartnäckigstes Insistieren Thomas Schreiber
vom NDR nicht dazu bewegen konnte, den Ort des nächstjährigen Wettbewerb zu
nennen. "Es könnten viele Orte in Deutschland sein", sagte NDR-Intendant
Lutz Marmor. Das sei offen.
In Hannover jedenfalls empfingen am Sonntagnachmittag tausende Fans Lena
Meyer-Landrut. Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff nahm sie
auf dem Flughafen in Empfang und übermittelte ihr die Glückwünsche der
Kanzlerin. Am Abend sollte sich Lena im Rathaus, vor dem ebenfalls tausende
Fans warteten, ins Goldene Buch der Stadt eintragen.
Jetzt hat Lena die Reste ihrer Schulzeit zu absolvieren. Mitte Juni erhält
sie die Resultate ihrer Abiturprüfungen. Spricht man sie auf die Schule an,
wirkt sie längst nicht so locker und lustbetont wie sonst: "Ich will das
Abitur und dann nie mehr Schule." Ein ziemlich bodenständiger Gedanke für
eine, die gerade vom Ausflug ins Wunderland des Pops zurückkam.
30 May 2010
## AUTOREN
Jan Feddersen
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