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# taz.de -- MÜGGELTURM: Wenn die Köpenicker Trauer tragen
> Das einst beliebte Ausflugsziel gammelt vor sich hin. Auch seit dem
> Verkauf vor drei Jahren ist nicht viel passiert. Im Bezirk wächst die
> Verzweiflung.
Bild: Es könnte so schön sein: das ehemals beliebte Ausflugsziel Müggelturm
Die verrostete Eingangstür zum Turm ist mit einem Schloss verriegelt.
Hinter der Tür steht noch eine Kasse, auf dem Boden ist eine Pfütze. An der
Wand hängen zwei Schilder. Sie verkünden, dass das Vorhaben von der
Europäischen Gemeinschaft sowie vom Bund und Land gefördert wurde. Die
Schilder glänzen in den abendlichen Sonnenstrahlen. Das Gebäude neben dem
Müggelturm sieht dagegen düster aus. Zerschlagene Fenster, abgebrochene
Schilder, Spinngewebe auf den Geländern.
Ein Mann steigt die Treppe zum Turm hoch. Er betritt die Dachterrasse der
heruntergekommenen Gaststätte und bleibt vor der Dachkante stehen. Zu
seinen Füßen unterhalb der Müggelberge liegt der Müggelsee, eingerahmt vom
Müggelwald. "Der Ausblick ist wunderschön. Ich bin einfach begeistert",
sagt Noah Ehlers. Der 23-Jährige entdeckte den Müggelturm, das Wahrzeichen
des Ostberliner Stadtteils Köpenick, zufällig während einer Fahrradtour.
Der erste Müggelturm wurde bereits 1890 im chinesischen Pagodenstil
errichtet, in den folgenden Jahren wurde das Areal schrittweise ausgebaut.
Nach dem 2. Weltkrieg übernahm die HO Köpenick das Gelände, der Turm sollte
saniert werden, brannte jedoch im Mai 1958 vollständig ab. Mit Spenden aus
der Bevölkerung und freiwilligen Arbeitseinsätzen wurden Turm samt
Aussichtsplattform und Restaurantgebäude wieder aufgebaut und Silvester
1961 feierlich neu eröffnet.
Während der ganzen DDR-Zeit war das Ensemble in den Müggelbergen ein
beliebtes Ausflugsziel. Dennoch zeigte sich nach der Wende ein dringender
Sanierungsbedarf an den Gebäuden. 1991 verkaufte die Treuhand das Gelände
an die bcb GmbH. Danach wurden diverse Nutzungskonzepte vorgeschlagen, doch
immer wieder sprangen Investoren wegen der ungeklärten
Eigentumsverhältnisse ab.
1995 ging das Areal ans Land. Der Bezirk, der es seitdem verwaltet, suchte
jahrelang nach einem neuen Investor für den verfallenden Gebäudekomplex.
Nach mehreren vergeblichen Ausschreibungen wurde das 600 Quadratmeter große
Gelände Ende 2007 an den Geschäftsmann Marc Förste aus Krefeld verkauft.
Der Projektentwickler wollte die Anlage sanieren und die Gastronomie
wiederbeleben. Doch seit dem Verkauf habe sich nicht viel getan, bedauern
die Politiker des Bezirks. "Es ist traurig, dass die Erwartungen, dass da
was voran geht, nicht erfüllt werden", sagt der Treptow-Köpenicker
Baustadtrat, Rainer Hölmer (SPD).
Radfahrer Noah Ehlers wendet seinen Blick vom Müggelsee ab. Vor dem Turm
stehen ein Dixi-Klo und ein Container mit Bauschutt. "Hier wurde
bautechnisch etwas unternommen", vermutet der Student. "Doch alles sieht
ganz heruntergekommen aus." An den zerschlagenen Fenstern des unteren
Gebäudes hängen alte Tüllgardinen, es tropft vom Dach.
"Es ist schon was geschehen am Müggelturm, wenn man daran denkt, wie es
dort davor war", sagt Investor Förste der taz. Den Zustand der Gebäude vor
der Übernahme beschreibt er als Schlachtfeld. "Die ehemalige Gaststätte
wird derzeit entkernt. Danach wird alles step by step neu aufgebaut." Er
verweist darauf, dass der Komplex unter Denkmalschutz steht. "Deswegen
können wir nicht alles abreißen. Wir müssen sanieren. Das ist nicht
einfach", seufzt er.
Das Projekt des Investors wird von der Unteren Denkmalschutzbehörde
Treptow-Köpenick befürwortet. "Vor einem halben Jahr hat uns Herr Förste
eine Konzeption vorgestellt. Wir hatten das Gefühl, seine Idee ist
umsetzbar", sagt Amtsleiter Christian Breer. Er bedauere jedoch sehr, dass
er seitdem nichts von Förste gehört habe. "Wir warten erst mal ab, denn bei
so einem schwierigen Objekt gehört Feingefühl dazu."
Auch die Kommunikation zwischen dem Baustadtrat und dem Investor ist
eingeschlafen. "Den letzten Kontakt hatte ich mit ihm vor einem Jahr", sagt
Hölmer. Seine Mitarbeiter hätten immer wieder versucht, ihn zu erreichen.
Doch es sei nicht einfach, "ihn an die Strippe zu kriegen". Der Baustadtrat
wartet seit langem auf den Bauantrag des Investors. "Bis jetzt ist es noch
nicht geschehen", sagt Hölmer.
Köpenicks SPD-Vorsitzender Oliver Igel glaubt inzwischen nicht mehr an den
Erfolg des Vorhabens. "Nachdem der Investor jahrelang Zeit hatte und nichts
gemacht hat, würde es mich überraschen, wenn jetzt plötzlich ein Wunder
geschieht und da was passiert", sagt Igel.
Wenn nicht, könnte das Spielchen mit der Investorensuche bald von vorne
beginnen. "Zum Jahresende hat das Land die Möglichkeit, den Vertrag
aufzulösen, wenn bis dahin kein Bauantrag eingereicht wird", erklärt die
Sprecherin des Liegenschaftsfonds, Irina Dähne. Ob das Land von seinem
Rücktrittsrecht Gebrauch machen wird, sei jedoch fraglich. "Das Objekt ist
in den heutigen Zeiten nicht vermarktbar", so Dähne. Schon 2007 sei es
schwierig gewesen. Damals hatte sich auch der Förderverein Müggelturm, der
aus den Anwohnern des Bezirks besteht, beworben. "Doch er konnte die
Finanzierung nicht nachweisen", sagt Dähne.
Förste kann die Aufregung im Bezirk ohnehin nicht verstehen. Natürlich
wolle er bauen, das Objekt habe für ihn "Liebhaber-Charakter" - und es gehe
ihm nicht um die Rendite, betont er. "Ich bringe mein Herzblut ein."
Traurig sei er wegen der "reißerischen Schlagzeilen" in Berliner Zeitungen,
die von der Schande schrieben, dass er das schöne Objekt so verkommen
lasse. "Traurig" ist das Wort, das bei den Gesprächen um den Müggelturm am
häufigsten fällt.
Der Einzige, der mit positiven Gefühlen den Müggelturm betrachtet, scheint
Noah Ehlers zu sein. Der Ausflug wird für ihn zu einer Zeitreise. Der
Student steigt die enge Treppe zum Kellerraum der verfallenden Gaststätte
herunter. Er leuchtet den Schaltkasten für den Stromanschluss mit seinem
Handy an. "Baujahr 1961", liest er. "Spannend!" Oben auf der Dachterrasse
findet er einen Papierblock mit den Speisekarten aus dem Jahr 1969. Zum
Dessert gab es gemischtes Kompott für 90 Pfennig und Eistorte für 2,20
Mark. Das Restaurant Müggelturm wünschte seinen Gästen "Guten Appetit!"
Wann die neue Gaststätte Besucher begrüßen wird, bleibt offen. "Die
Eröffnung ist für das Jahr 2011 geplant. Aber ich kann nichts versprechen",
sagt Förste. "Eine Baugenehmigung werden wir beantragen, wenn wir mit der
Aufteilungsplanung fertig sind." Bis dahin können die Besucher täglich von
10 bis 18 Uhr auf den Turm steigen und sich am fahrbaren Kiosk zu dessen
Füßen stärken.
Die Anwohnerin Heike S. kommt häufig hierher. Sie war schon zu DDR-Zeiten
Stammgast. "Abends und am Wochenende war hier damals alles voll. In der
Gaststätte wurden Familienfeste gefeiert. Dampfer sind hierher gefahren.
Die Bands haben gespielt und es gab Tanz", erinnert sich die 52-Jährige.
"Es ist traurig, wenn man das hier heute sieht", sagt sie und schaut auf
das abgebrochene Schild vor dem Eingang.
2 Jun 2010
## AUTOREN
Olga Kapustina
## TAGS
DDR
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